Auf der Straße

Armut Es gibt gute Gründe, Bettlern kein Geld zu geben. Trotzdem ist es falsch, Kindern das Betteln zu verbieten
Ausgabe 27/2015

Ein Kind ist Gold wert auf dem Markt des Bettelns. Kinder gelten als unschuldig, lösen Beschützerinstinkte aus und bekommen deswegen mehr Geld zugesteckt als Erwachsene. Nun will der Berliner rot-schwarze Senat das „Betteln in Begleitung von Kindern und durch Kinder“ verbieten, auch um einen „augenfälligen Missstand im Straßenbild“ zu beseitigen, wie CDU-Staatssekretär Bernd Krömer es nannte.

Ich bin gegen das Betteln, ich gebe nie Geld an Bettler, schon gar nicht an Kinder – die eigentlich in die Schule gehen oder spielen sollten und manchmal sogar von ihren Eltern zum Betteln gezwungen werden. Aber ein Verbot finde ich auch falsch. Es kriminalisiert die Ärmsten in unserer Gesellschaft, ein totaler Irrsinn.

Zufall und Willkür

Einige Menschen mögen es herzlos finden, dass ich Bettlern nie Geld gebe. Doch dafür gibt es gute Gründe. Ich kenne die einzelne Person nicht und kann daher auch nicht einschätzen, wie bedürftig sie wirklich ist. Es könnte andere Menschen geben, die das Geld nötiger haben. Das Prinzip der individuellen Hilfe basiert auf Zufall und Willkür. Besser ist es, wenn ich mein Geld an eine Hilfsorganisation spende, die das Geld gleichmäßig oder mit Hilfe bestimmter Kriterien verteilt. Noch sinnvoller ist es freilich, eine Organisation zu unterstützen, die politischen Druck macht für eine Welt, in der niemand mehr in Armut leben muss.

Trotzdem finde ich ein Bettelverbot für Kinder falsch. Erstens ist es absurd, arme Menschen mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 500 Euro zu belegen. Einige Kritiker meinen nun, die Berliner Verordnung bleibe wirkungslos, weil die Sorgeberechtigten der Kinder meist ohnehin kein Geld haben. Dabei wird jedoch vergessen, dass in dem Fall die sogenannte Ersatzordnungshaft angeordnet werden kann. Menschen müssen also ins Gefängnis, weil sie oder ihre Kinder aus Armut und Verzweiflung um Geld gebeten haben. So hilft man den Kindern bestimmt nicht.

Zweitens ließe sich schon jetzt gegen das Betteln vorgehen, wenn die Kinder von ihren Eltern gezwungen werden und man das als Kinderarbeit versteht. Wenn die Kinder aber aus eigenem Antrieb betteln, kriegen sie bald ein Problem. Wie absurd eine zusätzliche Verordnung ist, zeigt sich daran, dass Ausnahmen für gesellschaftlich anerkannte Bräuche vorgesehen sind, etwa für Sternsinger oder für Halloween, wenn Kinder von Haus zu Haus ziehen und um Süßigkeiten bitten.

Sozialarbeiter statt Gefängniswärter

Drittens wird das Betteln wegen eines Verbots nicht aufhören. Der Kinderschutzbund spricht daher von einer „lebensunpraktischen“ Regelung. Wer dringend Geld braucht, schickt seine Kinder weiterhin auf die Straße. So oft werden sie sich schon nicht von der Polizei fassen lassen.

Viertens muss sich die Verwaltung mit zusätzlichen Bußgeldbescheiden herumschlagen, die Gefängnisse müssen zusätzliche Plätze zur Verfügung stellen. Das alles kostet den Staat Geld, das für Sozialarbeiter fehlt. Der Kampf gegen die Armut lässt sich nicht mit Law and Order gewinnen, sondern nur durch gute Sozialpolitik.

Fünftens wird durch ein Verbot die Armut nicht beseitigt, sondern bloß aus der Öffentlichkeit verdrängt. Die gut situierten Bürger müssen sich nicht mehr mit diesem lästigen Problem befassen. Für Politiker sinkt der Druck, die Armut zu bekämpfen. Das wäre für mich der einzige Grund, mein Geld doch an Bettler zu geben: Ich setze einen Anreiz, weiterhin auf die Straße zu gehen. Die Armut muss zumindest sichtbar bleiben.

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