Aus Ja wird Nein

Sozialdemokraten Stimmt man mit einem Ja plötzlich doch gegen die GroKo? Der SPD-Mitgliederentscheid wird gern als demokratisches Vorzeige-Instrument gepriesen. Dabei hat er seine Tücke
Alles gut eingetütet?
Alles gut eingetütet?

Foto: Imago / Rüdiger Wölk

Es ist eine Regel, die jedes Kind versteht: Wenn ich mit Ja stimme, bin ich dafür. Wenn ich mit Nein stimme, bin ich dagegen. Man sollte denken, dass das auch beim SPD-Mitgliederentscheid gilt. Absurderweise kann dort jedoch eine Ja-Stimme zur Ablehnung des Vorschlags führen.

Im Fachjargon wird dieses Phänomen als "negatives Stimmgewicht" bezeichnet. Es ergibt sich aus dem sogenannten Beteiligungsquorum: Nur wenn 20 Prozent der Mitglieder mitmachen, ist der Entscheid gültig, so steht es im Organisationsstatut der SPD.

Im Fall der aktuellen Abstimmung über die große Koalition ist diese Hürde schon genommen, bis zum morgigen Donnerstag können noch alle in Ruhe abstimmen. Alles paletti, also? Nein, denn das Beteiligungsquorum ist ein gravierender Makel, der es verbietet, den Mitgliederentscheid als Vorzeige-Instrument für innerparteiliche Demokratie zu präsentieren.

Besser: Zustimmungsquorum

Um das Problem zu illustrieren: Nehmen wir an, die 20 Prozent seien noch nicht erreicht, 19 Prozent hätten aber schon mit Nein gestimmt. Sollte der Basisentscheid scheitern, entscheidet der SPD-Parteitag und es ist davon auszugehen, dass dieser seine Zustimmung gibt.

Wenn eine Befürworterin der großen Koalition nun beim Basisentscheid mit Ja stimmt, und ein paar andere Befürworter ebenfalls, dann sorgt sie dafür, dass das 20-Prozent-Quorum doch noch erreicht wird und die große Koalition ist abgelehnt. Kurz: Aus einem Ja wird ein Nein. Das heißt, für die Befürworterin könnte es taktisch klug sein, nicht wählen zu gehen.

Sinnvoller als ein Beteiligungsquorum wäre daher ein Zustimmungsquorum: Damit ein Ergebnis gültig ist, müssten dann zum Beispiel mindestens 10 Prozent aller wahlberechtigten SPD-Mitglieder für Ja stimmen – oder 10 Prozent für Nein. Sollten beide Seiten diese Hürde nehmen, gewinnt natürlich die Fraktion mit mehr Stimmen.

Taktische Spielchen

Warum sich diese Variante noch nicht durchgesetz hat, ist unklar. Derzeit setzen laut wahlrecht.de neben der SPD auch Linkspartei und FDP auf eine Mindestbeteiligung statt auf eine Mindestzustimmung. Eigentlich gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder sind die Politiker zu dumm, um das negative Stimmgewicht zu erkennen. Oder sie wollen ganz bewusst die Hintertür für taktische Spielchen offen lassen.

Die Befürworter der großen Koalition hätten beispielsweise dazu aufrufen können, nicht abzustimmen, um den Entscheid scheitern zu lassen. Wenn die Gegner der Koalition es dennoch schaffen, können die Befürworter immer noch behaupten: Vielleicht hätten wir ja die Mehrheit gehabt.

Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die Parteien am Beteiligungsquorum festhalten: die Angst vor der Abschaffung jeglicher Hürde. Denn auch die geforderten Mindestzustimmungswerte sind umstritten. Wenn man sich einmal entschlossen hat, über eine Frage abstimmen zu lassen, warum sollte dann am Ende das Ergebnis ungültig sein und ein kleinerer Personenkreis entscheiden?

Das einzig sinnvolle Quorum ist ein Quorum vor einem Basisentscheid. So wird verhindert, dass jede Woche abgestimmt werden muss. Aber wenn schon gewählt wird, dann sollte die Mehrheit zählen. Das ist Demokratie.

Zur Kritik am Zustimmungsquorum: "Die Hürde muss weg!"

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