Die Energiewende der Bürger wird abgewürgt und keiner kriegt es mit. Über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wird zwar viel gestritten, zum Beispiel werden die gigantischen Industrierabatte immer wieder zu Recht kritisiert. Aber der große Paradigmenwechsel bleibt weitgehend unbemerkt: Die feste Einspeisevergütung für Ökostrom, einst das Erfolgsrezept des Gesetzes, wird abgeschafft. Und das gefährdet die Zukunft von Energiegenossenschaften und unabhängigen Ökostromanbietern. Die großen Konzerne hingegen profitieren, wie bei vielen anderen Vorschlägen im Gesetzentwurf.
Wie kann es sein, dass fast niemand darüber spricht? Die Diskussion ist relativ kompliziert, auch die Stichworte sind nicht unbedingt sexy: Direktvermarktung, Marktprämie, Marktintegration. Aber wer wissen will, was wirklich neu ist am Erneuerbare-Energien-Gesetz, muss sich damit befassen. Industrierabatte gibt es schon seit Jahren. Auch die Diskussion über höhere oder niedrigere Ausbauziele ist alt. Aber dass nun alle Ökostromerzeuger – bis hin zur Privatperson – an die Börse gedrängt werden sollen, das gab es noch nie.
Abschied vom Erfolgsrezept
Dabei konnte das Erneuerbare-Energien-Gesetz nur so erfolgreich werden, weil es den Stromproduzenten eine feste Vergütung garantiert hat. Das freute vor allem Privatpersonen, die ihr Investitionsrisiko nicht so leicht streuen können wie große Unternehmen. Nur so gelang die Energiewende von unten. Heute schätzt das „Bündnis Bürgerenergie“, dass ungefähr die Hälfte aller Ökostrom-Anlagen in Deutschland einzelnen Privatleuten und Genossenschaften gehören und nicht den Energiekonzernen. Rund 1,5 Millionen Menschen haben den Angaben zufolge in umweltfreundliche Energie investiert.
Das Modell der festen Vergütung hat sich durchgesetzt, dutzende Länder haben das deutsche Gesetz kopiert. Doch mit dem Ausbau der regenerativen Energien steigt auch der Reformdruck. Mittlerweile wird mehr als ein Viertel des deutschen Stroms umweltfreundlich produziert, die Politik will die Kosten für die Verbraucher senken. Zudem gibt es beim Strom aus Sonne und Wind starke Schwankungen, die ausgeglichen werden müssen. Das Zauberwort heißt „Marktintegration“: Die erneuerbaren Energien sollen sich in den Strommarkt einfügen, sie sollen konkurrenzfähig werden und sich auch ohne politische Unterstützung durchsetzen können. Schon seit Jahren werden die Vergütungssätze deshalb regelmäßig gesenkt.
Doch die aktuellen Pläne haben nichts mit einer behutsamen Marktintegration zu tun, stattdessen werden – im Glauben an die Segnungen des Marktes – die kleinen Erzeuger verdrängt. Anfang dieser Woche haben die Abgeordneten des Bundestags mehrere Experten angehört. Der Chef des Ökostromanbieters Naturstrom, Thomas Banning, brachte dort die Kritik an den Regierungsplänen auf den Punkt: „Das ist nicht Markt. Das ist Konzentrationsprozess. Bürgerenergie kann unter diesen Bedingungen einfach nicht funktionieren.“
Bisher dürfen sich die Ökostromerzeuger entscheiden: Sie können ihre Elektrizität an die Netzbetreiber geben und die staatlich garantierte Vergütung einstreichen. Oder sie verkaufen ihren Strom direkt und bekommen zusätzlich eine Prämie, die den Unterschied zwischen den erhöhten Herstellungskosten und dem Börsenpreis ausgleichen soll. Jetzt sollen alle Erzeuger zur zweiten Variante gezwungen werden, der sogenannten Direktvermarktung. Die Stromhandelsfirmen freut’s, sie werden bald wohl deutlich mehr Aufträge von kleineren Ökostromerzeugern übernehmen. Die Konzerne jedoch gehen direkt an die Börse, sie kennen sich dort sowieso schon aus. Bereits jetzt wird ungefähr die Hälfte des Ökostroms direkt vermarktet – auch deswegen, weil Erzeuger eine attraktive Managementprämie bekamen und die Sicherheit hatten, zur Not zur Pauschalvergütung wechseln zu können.
Nun wird die Direktvermarktung dauerhaft Pflicht. Für kleine Anlagen soll es zwar Ausnahmen geben, die Bagatellgrenze ist aber extrem niedrig. Wer nur ein einziges Windrad betreibt, muss den Strom schon selbst verkaufen oder verkaufen lassen. Die Bundesregierung kann sich hier auch nicht hinter der EU-Kommission verstecken, die eine Direktvermarktung vorschreibt. Die Kommission lässt nämlich Ausnahmen für bis zu drei Windräder zu, viele Genossenschaften wären dann befreit. Zudem wurde die entsprechende EU-Leitlinie auch erst im April veröffentlicht, die schwarz-rote Bundesregierung hätte vorher also noch größere Ausnahmen hineinverhandeln können, wenn sie gewollt hätte.
Die Politiker der Großen Koalition setzen jedoch große Hoffnungen in die Direktvermarktung. Der Strom soll dann erzeugt werden, wenn die Nachfrage besonders groß und der Börsenpreis entsprechend hoch ist. Das könnte die bestehenden Schwankungen abmildern. Ob das gelingt, darf jedoch bezweifelt werden. „Es wird weder bedarfsgerechter eingespeist noch investiert werden. Die Einspeisung aus Sonne und Wind steuert das Wetter und nicht die Börse“, sagt die energiepolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Eva Bulling-Schröter. „Eine Vermarktungspflicht bringt keine Vorteile, sondern nur höhere Kosten.“
Unkalkulierbare Risiken
Das hört sich einleuchtend an, ist aber doch recht kompliziert. Strom aus Biomasse zum Beispiel kann bedarfsgerecht ins Netz fließen. Die Einspeisung von Wind- oder Sonnenstrom hingegen dürfte in der Tat kaum vom Börsenpreis beeinflusst werden, schließlich verursacht die Produktion dieses Ökostroms praktisch keine Kosten, wenn die Anlagen einmal stehen – abschalten lohnt nicht. Vorstellbar ist allerdings, dass künftig andere Windräder und Fotovoltaik-Anlagen gebaut werden, wenn der Börsenpreis eine Rolle spielt.
Sogenannte Schwachwindanlagen produzieren zwar weniger Strom pro Stunde; dafür laufen sie aber auch, wenn nur wenig Wind weht – also dann, wenn die meisten Windräder ausfallen und somit der Börsenpreis hoch ist. Ähnlich ist es bei Solaranlagen, die normalerweise gen Süden ausgerichtet werden, das bringt am meisten Strom. Wenn sie bald aber verstärkt an der Morgen- und Abendsonne im Osten und Westen orientiert werden, könnte das vorteilhaft sein.
Die Anlagenbetreiber können den Strom schon heute direkt vermarkten und von höheren Börsenpreisen zu bestimmten Zeiten profitieren. Dieser Vorteil ist also nicht neu. Bald sollen aber alle zur Direktvermarktung gezwungen werden – auch diejenigen, denen das Risiko zu hoch ist, in eine Anlage mit zeitoptimierter Erzeugung zu investieren. Die tatsächlichen Einnahmen über mehrere Jahre lassen sich nämlich kaum überblicken. Dazu müsste man wissen, wie sich die Börsenpreise für Strom und für CO2 entwickeln und wie andere Investoren handeln. Wenn es etwa viele Schwachwindanlagen gibt, schwanken die Börsenpreise weniger stark, das macht die Anlagen wieder unrentabel.
Das höhere Risiko wird die Kredite verteuern und somit besonders Privatpersonen und Genossenschaften treffen. Die Konzerne hingegen haben das nötige Kapital und können auch mal ein unwirtschaftliches Windrad verkraften. Zudem verkaufen sie den Strom direkt an der Börse, während kleinere Erzeuger auf Dienstleistungen der Stromhändler angewiesen sind und dafür zahlen müssen. Die Grünen sind deshalb schon besorgt: „Insbesondere der Bürgerenergiewende droht durch verpflichtende Direktvermarktung das Aus“, sagt die energiepolitische Sprecherin Julia Verlinden.
Es stimmt zwar: Der deutsche Kraftwerkspark muss flexibler werden. Der Strom muss dann vorhanden sein, wenn er gebraucht wird. Es ist jedoch absurd, bei den wetterabhängigen, erneuerbaren Energien anzusetzen. Gaskraftwerke zum Beispiel lassen sich leichter hoch- und runterfahren als Kohlekraftwerke. Der Übergang von Kohle zu Gas würde also mehr Flexibilität bringen, und klimafreundlich wäre das auch noch. Zudem sollte stärker darüber nachgedacht werden, wie industrielle Großverbraucher ihren Stromverbrauch besser steuern können – auch so ließen sich Angebot und Nachfrage besser aufeinander abstimmen. Letztlich können auch Stromspeicher und Netzausbau ihren Beitrag dazu leisten. Stattdessen sollen nun aber die erneuerbaren Energien flexibler werden und an den konventionellen Kraftwerkspark angepasst werden. Dafür gibt es nur zwei passende Worte: Energiewende paradox.
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