Als SPD und Grüne 2001 den Atomausstieg beschlossen, sollte es noch 20 Jahre dauern, bis das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet würde. Nun wird erneut über einen Ausstieg diskutiert, und jetzt soll alles viel schneller gehen: Bereits in weniger als zehn Jahren könnte Schluss sein mit der kommerziellen Kernspaltung. Wie kann das sein?
Die Rechnung des Öko-Instituts
Dass die derzeitige Regierung Grüne und Sozialdemokraten in Sachen Ausstiegsgeschwindigkeit überholen kann, hat mehrere Gründe. Erstens wurden seit 2001 bereits zwei kleinere AKW endgültig vom Netz genommen. Zweitens müssten eigentlich schon weitere Uralt-Anlagen abgeschaltet sein – die Betreiber haben es aber auch Dank der Konstruktionsfehler des rot-grünen Ausstiegsgesetzes geschafft, die Meiler über die letzte Bundestagswahl zu retten. Drittens orientieren sich Parteien auch an politischen Opportunitäten. Technisch wäre ein schnellerer Ausstieg möglich gewesen. Und er ist es heute noch.
Der Umweltverband BUND fordert nun, dass in vier Jahren der letzte Reaktor vom Netz genommen wird. Die Deutsche Energieagentur Dena ist für eine Rücknahme der Laufzeitverlängerungen. Dabei hatte sie in der Vergangenheit mit ihren ständigen Warnungen vor einer Stromlücke eher den Atomkraftfans in die Hände gespielt. Ihre Arbeit wird übrigens zu großen Teilen von der Energiewirtschaft finanziert.
Das Öko-Institut hat jetzt vorgerechnet, wie der Atomausstieg so beschleunigt werden kann, dass Deutschland schon vor dem Jahr 2020 ohne die Hochrisikotechnik auskommt. Insgesamt müssen 17 Atomkraftwerke stillgelegt werden. Acht Reaktoren könnten auf die Schnelle abgeschaltet werden, weil Deutschland im Moment zu viel Strom produziert (und ihn exportiert), obwohl gleichzeitig noch Kraftwerke stillstehen. Zwei weitere AKW-Blöcke könnten durch die so genannte „Kaltreserve“ ersetzt werden. Das sind (fossile) Kraftwerke, die im Prinzip einsatzbereit sind und derzeit nicht angeschaltet werden, weil ohnehin genug Strom produziert wird. Weil momentan trotzdem neue Kraftwerke gebaut werden, kommen noch Kapazitäten hinzu, die zwei weitere Reaktoren überflüssig machen. Durch Maßnahmen zum so genannten Lastmanagement können noch zwei Blöcke stillgelegt werden. All diese 14 Reaktoren könnten laut Öko-Institut bereits 2013, also in zwei Jahren, abgeschaltet sein. Die letzten drei Blöcke könnten in den folgenden Jahren, aber noch vor 2020, durch neue Biomasse- oder Gaskraftwerke ersetzt werden.
Waghalsige Rechnung
Dass Deutschland 2020 schon atomkraftfrei sein kann, lässt auch die „Leitstudie 2010“ erahnen, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums entstanden ist. Darin werden Szenarien durchgespielt, unter anderem, was passieren würde, wenn es beim rot-grünen Ausstieg bliebe. Dann wäre Atomstrom bis 2020 auf etwa ein Fünftel seines heutigen Anteils geschrumpft, die Kapazitäten lägen bei vier Gigawatt. Zum Vergleich: Die Erneuerbaren kämen auf über 110 Gigawatt. Michael Sterner, einer der Autoren der Studie, meint, bei geringfügiger Anpassung der Szenarien sei ein Ausstieg „schon bis 2020 problemlos möglich“.
Inzwischen lässt sich das nur schwer leugnen. Um nicht ganz auf verlorenem Posten zu stehen, bemühen Atomlobbyisten nun das Kostenargument. „Ein schnellerer Umbau“, sagt etwa FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, sei „nicht zum Nulltarif zu haben“. Konkrete Zahlen nennt er nicht. Die liefert jedoch Spiegel Online mit einer waghalsigen Rechnung. „Turbo-Ausstieg würde 230 Milliarden Euro kosten“, heißt es da unter Bezug auf die Leitstudie. „Turbo“ meint hier einen Ausstieg bis 2020 – und mit Kosten sind hier alle erwarteten Investitionen in regenerative Energien gemeint. Die werden allerdings ohnehin früher oder später getätigt, und sie sind auch keine Folge des Atomausstiegs, sondern notwendig für den Übergang hin zu erneuerbaren Energieträgern.
Eine realistischere Berechnung der Kosten eines schnellen Abschaltens wäre mit vielen Unsicherheiten behaftet: Würden die AKW durch fossile oder erneuerbare Energieträger ersetzt? Wie entwickelt sich der Preis für die CO2-Zertifikate? Entfallen Nachrüstungen für die Reaktoren?
Trotz aller Unwägbarkeiten wird auch ein zügiger Ausstieg bezahlbar bleiben. In den umstrittenen Energieszenarien für die Bundesregierung lassen längere AKW-Laufzeiten die Strompreise sinken – es geht um etwa drei Prozent, die Haushalte sparen würden. Kehrt die Politik nun wieder zum rot-grünen Atomausstieg zurück, müssten die Verbraucher womöglich diesen Aufpreis zahlen. Die Auswirkungen dürften jedoch überschaubar bleiben, wenn zusätzlich die drei oder vier letzten Reaktoren fünf Jahre eher abgeschaltet werden. Und viel mehr ist gar nicht nötig für einen „Turbo-Ausstieg“.
Kommentare 8
Die Energierevolution ist in vollem Gange und ist nicht mehr aufzuhalten:
Der Vorstandsvorsitzende der SolarWorld AG Aspeck zum letzten Geschäftsjahr:
„Die deutschen Kunden haben mit ihrer Nachfrage nach Solarstromprodukten nicht weniger als eine Energierevolution ausgelöst! In den ersten neun Monaten des Jahres wurden allein 5,3 GW neu installiert – genug Leistung, um fast vier Atomkraftwerke voll zu ersetzen. Die deutschen Kunden zeigen es: Das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist auch ohne die sogenannte „Brückentechnologie“ Atomkraft machbar.“ Quelle
Allein die Solartechnik, installiert für Haushalte und Kommunen werden voraussichtlich in vier Jahren die AKW ersetzen können.
Und sieht man sich die Liste der von 2011 bis 2018 geplanten konventionellen Kraftwerke an, so stellt man fest, dass auch diese die Kapazität aller AKW mehr als ersetzen werden.
Die Energielobbyisten nutzt die allgemeine Uninformiertheit um Panik vor AKW-Abschaltungen zu schieben, künftige Preiserhöhungen zu rechtfertigen und eine Entrechtung der Bürger durchzusetzen, denen die Widerspruchsrechte gegen Hochspannungsanlagen und Monster-Windkraftwerke genommen werden sollen. Ein dementsprechender Deal wird wohl schon zur Unterzeichnung bereit liegen.
Energiepolitik darf nicht von den Stromkonzernen bestimmt werden. Eine Unterstützung dezentraler konzernunabhängiger Energieversorgung der Haushalte und Kommunen ist nötig.
Mehr braucht es nicht.
Die Zahlen des BDEW sind natürlich auch mit Vorsicht zu genießen. Also auch die Studie des Öko-Insituts nimmt ja Kohlekraftwerke im Bau mit auf, allerdings z.B. das in Datteln nicht, das ja rechtlich auf unsicheren Beinen steht. Und bei nur "geplanten" Kraftwerken ist natürlich noch unsicherer, ob sie jemals ans Netz gehen und AKW ersetzen können.
Es gibt eine ganz hübsche Karte, wo welche Kohlekraftwerke geplant sind und wo genehmigt/im Bau und wo verhindert worden sind: Unter www.kohle-protest.de/ rechts auf "Die Kohle-Karte" klicken.
Ja klar, die geplanten Kohlekraftwerke sollten vermieden werden – und es geht auch. Danke für den Link. Ich wollte mit der Erwähnung der geplanten Anlagen eigentlich nur die absurde Argumentation der AKW-Befürworter angehen, dass der schnelle Ausstieg aus der nuklearen Stromproduktion zu nennenswerten Kosten und gar Energieengpässen führen muss.
Die sensationelle Meldung ist aber, dass die Solartechnik so eine schnelle Verbreitung findet. Und wenn die Kleinanlagen intelligent vernetzt werden und Speichermöglichkeiten installiert werden, um Energieproduktionsdifferenzen auszugleichen, sehe ich eine sonnige Zukunft - unabhängig von den Stromkonzernen und perspektivisch günstig im Preis.
"Und wenn [...] Speichermöglichkeiten installiert werden, um..."
Riesige Speicher stehen schon in Norwegen. Alles, was es bräuchte, wären die dicken Leitungen nach dort. Wenn der Wind bläst, könnten die Norweger ihre Wasserkraftwerke abstellen und unseren Strom nehmen, wenn der Wind nicht bläst, bekämen wir den Strom von den Norwegern zurück.
Natürlich können wir uns selber auch noch ein paar Speicher bauen. Überzähliger Strom könnte zur Wasserstoffproduktion genutzt werden. Damit könnten die Brennstoffzellen betrieben werden, die Mercedes wie blöde entwickelt. Druckluftspeicher in alten Bergwerken sind um Vieles weniger gefährlich und kostenaufwendig als z. B. Gorleben.
Solarstrom muss eh nicht gespeichert werden, weil er tagsüber und besonders Mittags an fällt, wenn eh der meiste Strom benötigt wird.
Es ginge schon, wenn nicht nur das Volk wollte, sondern auch die Stromkonzerne ihre Blockadehaltung bei Investitionen besonders ins Netz aufgäben. Für Afrika könnte gelten: die Solarzelle ist die Dampfkraft des 21. Jahrhunderts.
Konjunktive ohne Ende, so lange die Konzerne bestimmen, wo's lang geht.
@Fro
Laß dich doch nicht so von der Solar-Lobby verarschen. Damit macht man sich dochl ächerlich, wenn nachher gegen die Atom-Lobby angeschimpft wird.
5 GW installierte PV-Leistung entspricht zwar ungefähr 4 modernen AKWs (die älteren haben teilweise unter 1 GW Leistung, da wären es sogar noch mehr), aber leider braucht Mensch nicht Leistung sondern Energie. Das ist Leistung mal Zeit. Und da steht die sporadisch anfallende PV eben nahezu pausenlos verfügbaren konventionellen Kraftwerken gegenüber.
Optimistsch geschätz liefert 1 KW installierte PV-Leistung im Jahr knapp 1000 KWh. Das ist vergleichbar mit einem konventionellen Kraftwerk, das von Januar bis Mitte Februar läuft und den Rest des Jahres stillsteht.
Sinnvoll ist also nicht ein Vergleich der (maximalen) Leistung einer Anlage sondern deren Ertrag über einen sinnvollen Zeitraum (z. B. ein Jahr). Und dann müsste man eignetlich noch diskutieren, wie man Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung bringt - aber wollen wir mal nicht so sein.
@Verwendungszweck
Glaubst du ernsthaft, dass die Skandinavier seit Jahrzehnten fließig Kraftwerkskapazitäten aufgebaut haben, die sie gar nicht brauchen? Damit irgendwan aus Mitteleuropa die Leitungen gezogen werden? Und bis dahin rosten Kraftwerke für zig Mrd vor sich hin?
Denk mal nach: Du brauchst nicht nur große Stauseen, die mit dem überschüssigen Strom aus Deutschland gefüllt werden können. Das gibt es in Skandinavien natürlich. Was du aber auch brauchst, ist Kraftwerksleistung, um die Energiemenge in der Zeit, in der sie anfällt, auch speichern bzw. - bei Bedarf in Deutschland - wieder erzeugen zu lassen.
Ansonsten versuchst du einen riesen Öltank durch einen Strohhalm zu befüllen bzw. zu entleeren. Und natürlich sind die Kraftwerke in Skandinavien nur Strohhalme verglichen mit der Leistung, die in Zentraleuropa nachgefragt wird.
Man müsste dort also massenhaft zusätzliche Fallrohre und Turbinen installieren, sprich Kraftwerkskapazität bauen. Viel, viel mehr als die 15 Mio Schweden und Norweger selbst nutzen können. Ein paar Starkstromkabel durchs Meer zu legen wird leider nicht reichen.
@gweberbv
Ich denke nicht, dass das so ist, die Skandinavier insbesondere die Norweger haben Stromkapazitäten ohne Ende. Die heizen fast durchgängig mit Strom. Strom ist in Norwegen sagenhaft billig und wenn wir deren Speicherkapazität mitbenutzen würden würden wir das denen bezahlen und die fänden das toll.
Die bekommen von uns den überflüssigen Windstrom für 5 oder 6 Cent, das sind die so gewohnt, und wir kaufen den Wasserkraftstrom von denen für 20 Cent, das sind wir so gewohnt. Das ist ein Bombengeschäft für die Norweger, investitionsfreier Ad-hoc-Speicher für uns und physikalisch super, weil es keine echte Speicherung gibt, sondern in Norwegen nur die Wasserkraftwerk weniger produzieren.
Nicht nur wir Deutsche haben Terawatt an Überkapazität sondern auch die Norweger. Bei uns sind das Kraftwerke, die in Teillast laufen oder einige ältere Gas-/Kohlekraftwerke, die gar nicht laufen. Bei den Norwegern sind das, Wasserkraftwerke, die in Teillast laufen. Stinkreiche Industriestandorte können sich das nicht nur leisten, sie leisten es sich auch.
Außerdem muss da gar nichts gepumpt werden, du hast das Prinzip einfach nicht verstanden.
Was dein Strohalm-Öltankbeispiel soll, habe ich wiederum nicht verstanden. Vermutlich gibt's da auch nichts zu verstehen, außer dass du dir evtl. vorstellst die komplette Stromversorgung Deutschlands solle nun über Norwegen laufen. Die Idee ist so absurd, ich glaub, da spart ich mir eine Einlassung.
@Verwendungszweck
Nein, 100% des Stromverbrauchs in Deutschland wird nicht durch skandinavische Wasserkraft gedeckt werden. Aber so 20-25% sollten es schon sein, damit man Skandinavien als DIE Speicher-/Ausgleichsoption für ungleichmäßig anfallende Wind- und PV-Erzeugung in Deutschland ins Spiel bringt. Wenn du dagegen nur ein paar Prozent im Sinn hast, dann kann das natürlich funktionieren. Allerdings hat man dann das große Problem, dass manchmal viel zu viel und anderntags viel zu wenig EE-Strom erzeugt wird, auch nicht gelöst.
Und nehmen wir mal an, dass 25% des deutschen Stromverbrauchs vom Norden gedeckt werden sollen, wenn hier mal wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint, dann müssten Schweden + Norwegen neben ihren 15 Mio Einwohnern auch noch 20 Mio Deutsche (inklusive Industrie, öffentliche Verbraucher, etc.) versorgen.
Tja, und ich glaube einfach nicht daran, dass man in Skandinavien auf Zuruf die Stromproduktion um über 100% steigern kann. Da mögen die Speicherseen noch so voll sein. Das Wasser kann nunmal nur durch die Turbinen fließen, die auch installiert wurden. Und warum sollte man sich in Norwegen doppelt soviele Kraftwerke leisten als man selbst braucht?
Da müsste also gewaltig zugebaut werden, wenn man Deutschland mitversorgen soll.