Das autonome Auto

Mobilität Der Hersteller soll haften, wenn ein Auto selbst lenkt und einen Unfall baut. Doch so leicht ist das nicht
Ausgabe 30/2016

Der Tesla-Fahrer war tot, und die Hoffnungen auf einen viel sichereren Straßenverkehr durch selbstfahrende Autos erschienen fraglicher denn je: Schon im Mai waren in Florida ein Tesla-Sportwagen im Autopilotmodus und ein Lastwagenanhänger zusammengeprallt. Erst im Juli aber wurde dies publik. Der 40-jährige Joshua Brown war in seinem Tesla Model S zum ersten Verkehrstoten in einem selbstfahrenden Auto geworden. Der Grund: Die Elektronik hatte den abbiegenden Lkw wegen dessen weißer Farbe nicht vom hellen Himmel unterscheiden können und ihn mit voller Geschwindigkeit in den Lastwagenanhänger gesteuert.

Ganz anders stellt sich Mercedes-Benz das automatisierte Fahren in einem Werbevideo vor: Über beide Ohren strahlt das Kind, der Mann macht auf der Rückbank ein Nickerchen, das Auto fährt automatisch über die leeren Straßen. Was im Clip so einfach aussieht, wird in Wirklichkeit noch jahrelang ein Traum bleiben. Die Entwicklung des komplett selbstlenkenden Autos steht noch am Anfang. Aber nun soll mit einem Bundesgesetz der Weg frei gemacht werden für das teilautomatisierte Fahren. Der Computer übernimmt zeitweise das Steuer und ruft in brenzligen Situationen um Hilfe des Menschen.

Für die deutsche Autoindustrie ist das automatisierte Fahren – neben der Elektromobilität – das große Thema der Zukunft. Autofahren wird attraktiver, wenn sich die Fahrerin nicht stundenlang auf die Straße konzentrieren muss. Auch die Bundesregierung erwartet enorme Vorteile, wenn die Fahrzeuge selbst steuern und miteinander kommunizieren: weniger Staus, weniger Abgase, weniger Unfälle. In einem Strategiepapier ist von einer „historischen Mobilitätsrevolution“ die Rede.

Doch der Fall Tesla lässt die Probleme des autonomen Fahrens erahnen: Wer ist schuld, wenn das Auto einen Unfall verursacht? Tesla betonte, die Software-Testversion im Wagen Joshua Browns habe den Fahrer darauf hingewiesen, dass beide Hände jederzeit am Lenkrad bleiben müssen.

Die Industrie freut sich

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bastelt derzeit an einem Gesetz, das noch in diesem Jahr beschlossen werden soll. Das freut den Verband der Automobilindustrie. Präsident Matthias Wissmann schwärmt: „Wenn die Bundesregierung rasch handelt, kann Deutschland auch gesetzgeberisch Vorreiter und das erste Land sein, das den rechtlichen Rahmen für den Betrieb automatisierter Fahrzeuge auf der Straße schafft.“

Derzeit sieht es so aus, als würde Schnelligkeit vor Gründlichkeit gehen. In einem Entwurf von Ende Juni bleiben entscheidende Stellen unklar. Dort heißt es, dass sich die Autofahrerin „während der automatisierten Phase von dem Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden darf, solange ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit gewährleistet ist“. Die Fahrerin muss die Steuerung übernehmen, sobald sie vom System aufgefordert wird oder eine technische Störung erkennbar ist. Aber was heißt das konkret? Wie viel Zeit hat die Fahrerin? Wer haftet, wenn sie in einer brenzligen Situation eilig das Lenkrad herumreißt und es dadurch aber noch schlimmer wird? Die Fahrerin – oder der Hersteller des automatisierten Systems?

Marion Jungbluth vom Bundesverband der Verbraucherzentralen bewertet es zwar positiv, dass Dobrindt die Initiative ergriffen hat, einige Stellen im Gesetzentwurf seien aber „noch sehr unspezifisch“. Im Entwurf selbst heißt es: „Dieses Gesetz dient der Herstellung von Rechtssicherheit.“ Zwei Seiten später aber ist zu lesen: „Die Konkretisierung der Anforderungen“ an Autofahrer „hat hier im Einzelnen durch die Rechtsprechung zu erfolgen“. Gerichte werden also über Fälle entscheiden müssen, die Dobrindt nicht eindeutig regelt.

Datensammelwut der Konzerne

Um die Schuldfrage klären zu können, sind auch Informationen notwendig, die künftig in einer Blackbox im Auto drei Jahre lang gespeichert werden sollen: Zu welcher Zeit befand sich das Auto wo? Wann wurde es vom Menschen, wann vom System gelenkt? Wann gab es technische Störungen, wann wurde der Mensch zur Steuerung aufgefordert? All dies soll aufgezeichnet und bei einem Unfall von der Polizei ausgelesen werden können. Falls es erforderlich ist, sollten auch andere Beteiligte Zugriff erhalten, zum Beispiel in Bezug auf Schadensersatzansprüche.

Verbraucherschützerin Jungbluth hält diese Regel aus Datenschutz-Sicht für unproblematisch, fürchtet aber, dass die Automobilhersteller weitere Informationen aufzeichnen könnten. Schon jetzt greifen Unternehmen massig Daten ab, teilweise in Echtzeit, wie in der Mitgliederzeitung des Autoclubs ADAC nachzulesen ist. „Die Mercedes B-Klasse etwa überträgt alle zwei Minuten ihre Position inklusive Kilometerstand, Verbrauch, Tankfüllung, Reifendruck, die Füllstände von Kühlmittel, Wischwasser und Bremsflüssigkeit.“ Ob Mercedes damit viel anfangen kann, ist fraglich. Sicher hingegen ist, dass Autofahrer so komplett überwacht werden können. Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass BMW in einem Gerichtsprozess jede Menge Daten geliefert hat, anhand derer sich unter anderem die Wegstrecke und die gefahrenen Geschwindigkeiten des Wagens genau rekonstruieren ließen. Wer sich über die Blackbox für das teilautomatisierte Fahren aufregt, müsste also eigentlich erst mal gegen die gängige Datensammelwut der Hersteller protestieren.

Außerdem: Wird das Autofahren durch automatisierte Systeme überhaupt sicherer? Ein einzelner Todesfall sagt nichts über das allgemeine Risiko aus. Doch was das automatisierte Fahren für die Sicherheit bringt, wird sich erst verlässlich zeigen, wenn mehr computergesteuerte Autos unterwegs sind. Am Anfang könnte es Schwierigkeiten geben, weil viele Autofahrer das Fahrverhalten anderer Computer-Autos nicht gewohnt sind und sich erst darauf einstellen müssen. Langfristig rechnet das Verkehrsministerium jedenfalls mit weniger Unfällen.

Was ist mit Hackerangriffen? Am sichersten wäre es wohl, wenn das automatisierte System von der Umwelt abgetrennt ist und somit auch nicht von außen gesteuert werden kann. Allerdings ist das Ziel gerade das vernetzte Auto: Die Wagen sollen miteinander kommunizieren, um beispielsweise Staus zu vermeiden.

Ethische Fragen

Bis dahin wird es allerdings noch dauern. Dobrindts Gesetz alleine reicht nicht, um selbstlenkende Autos auf die Straße zu bringen. Auch die Regelungen zur Zulassung dieser Fahrzeuge müssen bestimmt werden. Auf internationaler Ebene wird zudem über technische Details für die verpflichtende Blackbox diskutiert.

Der Opposition im Bundestag geht das ohnehin zu schnell. „Wir dürfen nicht im vorauseilenden Gehorsam der Automobilindustrie ein Gesetz schaffen, sondern sollten zuerst die gesellschaftliche Debatte führen“, sagt die Grüne Valerie Wilms. Und Herbert Behrens von den Linken meint: „Es ist unverantwortlich, eine Technologie zu legalisieren, bei der die gesellschaftliche Debatte über deren Sinn und Unsinn noch in den Kinderschuhen steckt.“

Nach dem Willen von Dobrindt soll immerhin eine Ethikkommission überlegen, was passiert, wenn irgendwann das Fahren komplett automatisiert ist und der Computer zwischen verschiedenen schlechten Situationen entscheiden muss. Soll das Auto einen Radfahrer anfahren oder auf die Gegenfahrbahn ausweichen und einen möglichen größeren Unfall riskieren?

Dobrindt hat bereits zwei Grundsätze aufgestellt: Sachschaden ist einem Personenschaden vorzuziehen und es soll keine Klassifizierung von Menschen geben, etwa nach Alter oder Größe. Zu klären gibt es immer noch genug. Es ist durchaus von Vorteil, dass die Gesellschaft gezwungen ist, sich mit derartigen Fragen auseinanderzusetzen.

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