Das können nur Aktivisten erleben

Protest Unser Redakteur hat vor sieben Jahren gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm demonstriert. Eine Geschichte über Polizeigewalt und einen halben Sieg des Rechtsstaats
Wir werden siegen - irgendwann einmal!
Wir werden siegen - irgendwann einmal!

Foto: Carl de Souza / AFP / Getty Images

Als Journalist erfahre ich jeden Tag neue Dinge. Ich kann schlauen Leuten dumme Fragen stellen und komme an Orte, die anderen Menschen verwehrt bleiben. All das macht den Beruf so spannend. Und trotzdem gibt es Erfahrungen, die man als Journalist einfach nicht machen kann. Als Demonstrant schon.

Vor acht Jahren habe ich mich an den Anti-G8-Protesten in Heiligendamm beteiligt. Ich habe damals studiert, mir eine Woche freigenommen, um von Berlin an die Ostsee zu fahren. Die erste Überraschung erlebe ich im Protestcamp. Dort treffe ich zwei meiner Uni-Dozenten. Zuvor haben sie im Seminar schon angekündigt, dass wir in der letzten Woche einen Film gucken und diskutieren werden, das werde doppelt so lange dauern wie sonst. Also muss das Seminar in einer Woche ausfallen. Mir war damals schon klar, dass sich meine Dozenten die Regelung ausgedacht haben, um protestwilligen Studenten die Reise nach Heiligendamm zu ermöglichen.

Von der Gewalt auf der Großdemonstration in Rostock werde ich überrascht. Viele große NGOs – von Greenpeace bis Pax Christi – haben aufgerufen und plötzlich fliegen Steine, Polizisten stürmen in die Demonstration. Wer angefangen hat, kann ich nicht sagen, es ist mir aber auch egal. Wir sind doch nicht im Sandkasten. Als ich später am Abend von Polizisten kontrolliert werde, habe ich mit ihnen gesprochen und gemerkt, dass sie eine starke Angst haben. Offenbar haben die Durchsagen von der Polizeiführung und die Falschangaben zu der Zahl schwer verletzter Beamter ihre Wirkung erzielt.

Mit der Faust ins Gesicht

Ein paar Tage später wird der US-Präsident George W. Bush eingeflogen. Wir kommen zu spät zu den geplanten Protesten, sind erst am Flughafen, als alles schon gelaufen ist. Ein paar Demonstranten sitzen noch auf der Straße und plötzlich beginnt die Polizei, ohne Vorwarnung ruppig an ihnen zu zerren, um sie zum Aufstehen zu bewegen. Die Demonstranten schreien, wir wollen uns beschweren.

Doch wir werden abgedrängt durch eine Polizeikette – ebenfalls ohne Vorwarnung. Ein Polizist entreißt mir meine Fahne, bricht die Bambusstange über seinem Knie. Eine andere Polizistin schlägt mir aus der zweiten Reihe mit ausgestrecktem Arm ihre Faust ins Gesicht. Der Schlag ist nicht besonders stark, meine Lippe blutet nicht einmal. Trotzdem bekomme ich eine Entzündung und es bleibt Körperverletzung. Leider habe ich mir das Gesicht in der Aufregung nicht so genau gemerkt, die Polizisten haben zudem keine individuellen Nummern. Auch später finde ich kein Foto von dem Vorfall. Ohne Personenbeschreibung keine Anklage.

Ordnung muss sein

Auf die Abschlusskundgebung gehe ich ohne einen guten Freund. Er muss zum Arzt – um sich ein Attest für die Schule zu holen. Seine Eltern haben ihm erlaubt, nach Heiligendamm zu fahren, und ihn krankgeschrieben. Doch in der Schule ist allen klar, was Sache ist. Am Freitag ruft der Schulleiter bei den Eltern an. Was ist mit Stefan*? Der ist krank? Könnte ich mit ihm kurz sprechen? Äh... der ist in Rostock.

Das Attest bekommt er noch in Rostock. Und als Quittung eine unangekündigte mündliche Prüfung in Mathematik. Vier. Gilt als mündliche Halbjahresnote. Aber das ist es ihm wert.

Als ich wieder in Berlin bin, stelle ich Anzeige gegen die Polizistin. Ich werde ins Landeskriminalamt gebeten, dort gebe ich alles genau zu Protokoll. Eineinhalb Stunden lang. Ich lese mir die Mitschrift durch und achte pingelig auf jede kleine Formulierung. Das muss Eindruck gemacht haben. Ich gelte als braver Staatsbürger. Ohne Beschreibung der Polizistin kann zwar nicht ermittelt werden, doch ich bekomme meine Fahne ersetzt. Nachdem ich später am Telefon noch mal versichere, dass nur Berliner Polizeieinheiten vor Ort waren, überweist mir die Landeskasse 13 Euro. 10 Euro für die Fahne und 3 Euro für den Bambusstab. Ordnung muss sein.

* Name geändert

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 30% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden