Das Kreuz mit der Kirche und den Atheisten

Privilegien Nichtreligiöse Menschen werden in Deutschland oft benachteiligt, wie ein Bericht des Humanistischen Verbands zeigt. Doch was folgt daraus?
Symbole, Symbole, Symbole
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Bild: Imago/Imagebroker

Der Fall ging bundesweit durch die Medien: Eine 25-jährige Frau, vermutlich wurde sie in der Nacht vergewaltigt, wendet sich am nächsten Tag an zwei katholische Krankenhäuser in Köln, mit der Bitte um Spurensicherung. Die Klinikmitarbeiter lehnen die Behandlung der Frau ab, weil sie meinten, in dem Fall auch über Schwangerschaftsabbruch beraten und die „Pille danach“ verschreiben zu müssen – was den kirchlichen Werten widerspreche. Eine Notärztin hatte dies zwar schon getan und hinterher stellte sich heraus, dass die Klinikmitarbeiter die kirchliche Dienstauffassung falsch verstanden hatten. Trotzdem: Katholische Krankenhäuser dürfen offenbar aus religiösen Motiven bestimmte Dienstleistungen verweigern. Nichtreligiöse Menschen werden dadurch benachteiligt.

Offiziell ist die Bundesrepublik ein weltanschaulich neutraler Staat. Doch in der Realität werden die christlichen Kirchen und religiöse Menschen immer noch bevorzugt – und damit die anderen benachteiligt. Der Humanistische Verband präsentiert heute einen neuen „Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland“. Auf 94 Seiten werden die vielen Ungleichbehandlungen kurz und knapp vorgestellt, auch der Fall aus Köln. Jedes Beispiel für sich wird womöglich als nicht so gravierend wahrgenommen, beispielsweise wenn Kreuze in Schulklassen hängen. In der Gesamtschau sind die Privilegien der christlichen Religionsgemeinschaften jedoch enorm.

Es gibt Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften, viele religiöse Feiertage sind staatliche Feiertage, an religiösen Trauertagen dürfen auch Atheisten nicht feiern. In Gerichten, Ministerien und Schulen hängen Kreuze, in frühkindlichen Bildungsplänen und Schulgesetzen sind religiöse Ziele wie „Gottesfurcht“ verankert. An den Hochschulen gibt es theologische Fakultäten und Lehrstühle anderer Fächer, über deren Besetzung Bischöfe entscheiden dürfen; für nichtgläubige Studenten gibt es keine eigenen Förderwerke mit Stipendien. Von den öffentlich-rechtlichen Sendern bekommen die Kirchen Zeit für Verkündigungssendungen geschenkt; der Staat kümmert sich um die Einziehung der kirchlichen Mitgliedsbeiträge, die sogenannte Kirchensteuer. Und, und, und.

Alles oder nichts? Lieber nichts!

Wer die Kirchenprivilegien abschaffen möchte, kann zwei unterschiedliche Wege verfolgen: Entweder werden die Vorteile keiner religiösen bzw. weltanschaulichen Gruppe gewährt – oder allen. Beispiel Rundfunkrat: Entweder werden alle Kirchenvertreter aus den Aufsichtsgremien der Sender geschmissen, oder Repräsentanten anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften müssen auch Eintritt finden. Damit ergibt sich jedoch die Frage, wer die rund 25 Millionen Menschen in Deutschland vertreten darf, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Sie sind schließlich in keinem Verband organisiert.

Der Humanistische Verband findet die Orientierung an Mitgliederzahlen „überaus problematisch“, wie in der Broschüre zu lesen ist. „Konfessionsfreie Menschen und ihre Organisationen kennen keine Taufe oder ein ähnliches, massenhaft formelle Mitgliedschaft erzeugendes Ritual. Daher sind Mitgliederzahlen für sie nicht die richtige Messgröße, um ihre gesellschaftliche Relevanz abzubilden.“ Vielmehr sollten Staat und Gesellschaft als Kriterien „den Anteil an der Bevölkerung, die Zustimmungswerte in repräsentativen Umfragen zu weltanschaulich geprägten Aussagen und – vor allem – die Nachfrage nach entsprechend profilierten Angeboten“ von Organisationen heranziehen.

Dieser Ansatz ist aber auch problematisch. Wenn sich Millionen Menschen als Atheisten verstehen, haben sie vielleicht trotzdem andere Ansichten als eine atheistische Organisation, die in ihrem Namen sprechen will. Nun kann das auch in den christlichen Religionsgemeinschaften der Fall sein. Viele Menschen werden kurz nach ihrer Geburt zum Kirchenmitglied gemacht und treten später nicht aus, nur weil die Familie, die Gesellschaft oder der Arbeitgeber das erwartet. Die Mitgliedszahlen der Kirche sind also auch nur bedingt aussagekräftig. Trotzdem: Die Mitgliedschaft ist wahrscheinlich immer noch der einfachste und sicherste Nachweis, dass ein Verband tatsächlich Rückhalt in der Bevölkerung hat. Über weitere Kriterien, die daneben herangezogen werden, sollte man jedoch diskutieren.

In der Regel dürfte es einfacher sein, wenn Staat und Gesellschaft gar keinen Gruppen irgendwelche Vorteile gewähren. Also kein Kreuz im Klassenraum statt Symbole aller Religionen und Weltanschauungen. Bis dahin muss aber zunächst das Problem der Ungleichbehandlung erkannt werden. Die Broschüre leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Michael Bauer, Arik Platzek: Gläserne Wände. Bericht zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland. Broschüre des Humanistischen Verbands Deutschlands, 2015. Kostenloser Download auf www.glaeserne-waende.de

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