Der Europäische Gerichtshof hätte ein wegweisendes Urteil sprechen können. Diese Chance hat er verpasst und damit auch der europäischen Idee geschadet. Viele arbeitssuchende EU-Bürger müssen jetzt in Deutschland weiterhin auf Sozialleistungen verzichten. Im Sozialgesetzbuch ist geregelt, dass Ausländer kein Hartz IV bekommen, wenn diese nur zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Eine in Bosnien geborene Schwedin klagte dagegen – erfolglos. Die deutsche Praxis wurde nun vom obersten europäischen Gericht für rechtmäßig erklärt.
Das Urteil zementiert ein Zwei-Klassen-Recht: Alle EU-Bürger dürfen in der Bundesrepublik arbeiten, aber Sozialhilfe gibt es oft nur für Deutsche. Das ist eindeutig diskriminierend, doch der Europäische Gerichtshof beruft sich auf eine EU-Unionsbürger-Richtlinie, in der für Sozialhilfe extra Ausnahmen erlaubt sind. Trotzdem: Das Gericht hätte auch andere Rechtsgrundlagen heranziehen, anders argumentieren und entscheiden können. Es war ein politisches Urteil. Die Botschaft: Die Staaten behalten ihre Souveränität, wir verordnen keine europäische Gleichmacherei.
Die Ausschlussklausel für Ausländer hatte der Bundestag eingeführt, um zu verhindern, dass schlecht qualifizierte Menschen nach Deutschland kommen und hier von Sozialhilfe leben. Sind die Sorgen berechtigt? Gäbe es einen Sozialtourismus, wenn alle EU-Bürger den gleichen Anspruch hätten? Würden die reicheren Staaten dann versuchen, das zu verhindern und die Sozialhilfe kürzen? Gäbe es einen Dumping-Wettbewerb unter den Staaten, bis nichts Soziales mehr übrig bleibt?
Diese Befürchtungen sind unbegründet. Erstens verlassen nur wenige Menschen ihre Heimat wegen ein paar Euros. Zweitens profitieren Länder mit hohen Sozialhilfeleistungen auch von den Immigranten, weil diese dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen; vielleicht wollen die Länder also gar nicht kürzen. Und drittens wird die heimische Bevölkerung ein Dumping nicht mitmachen, weil sie selbst betroffen ist.
Was aber stimmt: Eigentlich sollte das Existenzminimum europäisch geregelt werden. So wäre eine Abwärtsspirale ganz sicher ausgeschlossen. Eine einheitliche Regelung hat aber nur eine Chance, wenn Europa zusammenwächst. Der Gerichtshof hätte dazu beitragen können.
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