Der Anti-Öko

Porträt Günther Oettinger soll erneut deutscher EU-Kommissar werden. Er hat sich als Freund der Wirtschaftslobby hervorgetan und schert sich nicht um die Meinung anderer
Ausgabe 27/2014
Der 60-Jährige schert sich weder um die Meinung der Kommission noch um die der Bundesregierung. Er ist überzeugt: Die Wirtschaft darf nicht mit
zu strengen Umweltauflagen belästigt werden
Der 60-Jährige schert sich weder um die Meinung der Kommission noch um die der Bundesregierung. Er ist überzeugt: Die Wirtschaft darf nicht mit zu strengen Umweltauflagen belästigt werden

Foto: Dieter Nagl/ AFP / Getty Images

Es sind harte Worte, mit denen Günther Oettinger die europäische Klimapolitik abwatscht: Wer glaube, dass die EU alleine die Welt retten müsse, sei „arrogant oder dumm“. Ob er damit seine Kollegen in der EU-Kommission gemeint hat? In der Woche zuvor haben sie noch gemeinsam das europäische Klimaziel beschlossen: Die CO2-Emissionen sollen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent gesenkt werden. Viel zu wenig, sagen Umweltschützer. Viel zu viel, sagt Oettinger. Er schert sich nicht um die offizielle Meinung der Kommission. Und auch nicht um die der Bundesregierung.

Seine Rede beim Arbeitgeberverband Businesseurope im Januar zeigt, wie der CDU-Politiker tickt: Die europäische Wirtschaft darf nicht mit Öko-Schnickschnack belästigt werden. Was andere darüber denken, interessiert ihn nicht. Und mit ein paar markigen Sprüchen kommt er schon gegen sie an.

Ein Ressort mit mehr Macht

Oettinger war jahrzehntelang in der baden-württembergischen Landespolitik, arbeitete sich hoch, hat es in der CDU-Hochburg zum Ministerpräsidenten geschafft. Dann wurde er aber überraschend nach Brüssel weggelobt. Seit bald fünf Jahren ist er EU-Energiekommissar, nun dürfte dem 60-Jährigen eine zweite Amtszeit bevorstehen. CDU, CSU und SPD haben sich in der vergangenen Woche schon für ihn als deutschen EU-Kommissar ausgesprochen. „Ich bleibe sehr gerne in Brüssel“, sagt Oettinger.

Allerdings wird er wahrscheinlich ein Ressort mit mehr Macht übernehmen. Im Gespräch sind die Posten des Wettbewerbs-, des Industrie- und des Binnenmarktskommissars. Oettinger selbst will sich nicht festlegen. „Ich persönlich wäre durchaus bereit, im Energiebereich zu bleiben“, sagt er dem Freitag. „Aber ich kann mir auch sehr gut vorstellen, in ein anderes, wirtschaftspolitisch geprägtes Ressort zu wechseln.“

Verlorene fünf Jahre

Die Grünen sind bereits in heller Aufregung. „Er vertritt den wirtschaftsliberalen Anti-Umwelt-Teil der CDU“, sagt der luxemburgische Europaabgeordnete Claude Turmes. „Die fünf Jahre Oettinger waren eine verlorene Zeit für die Energiewende in Europa.“ Turmes muss es wissen, er sitzt schon seit 1999 im Brüsseler Parlament.

Als Wettbewerbskommissar hätte Oettinger auch in Energiefragen ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes musste sich die Bundesregierung immer wieder mit dem jetzigen Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia streiten. Der bewertete verschiedene Regelungen im Gesetz als unerlaubte staatliche Beihilfen für bestimmte Unternehmen.

Verbündeter der Industrie

Oettinger könnte das Ganze noch schlimmer machen. Er ist Überzeugungstäter, auf den sich die Wirtschaftslobby verlassen kann. Johannes Lambertz, der Energiewende-Beauftragte des RWE-Konzerns, wird in der Stuttgarter Zeitung mit folgenden Worten zitiert: „Wir sehen EU-Kommissar Oettinger als Verbündeten, wenn es darum geht, dass die Belastung für Unternehmen durch Klimaschutzvorgaben nicht zu gravierenden Wettbewerbsnachteilen führt.“ Die Praxis gibt ihm recht.

Beispiel CO2-Grenzwerte für Pkw: Nicht nur Angela Merkel machte sich für die Interessen der deutschen Automobilindustrie stark, deren Wagen im europäischen Vergleich besonders viel Treibhausgase ausstoßen. Auch Oettinger lobbyierte für laschere Grenzwerte.

Seinen Erfolg im Juli 2012 vermeldete er auch gleich in einem Brief an den VW-Chef Martin Winterkorn. Der neue Gesetzentwurf enthalte „einige nicht unwesentliche Verbesserungen im Vergleich zu dem ursprünglichen Vorschlag“. Das Ende des Briefes hat Oettinger per Hand ergänzt, er sendet „freundliche Grüße von Brüssel nach Wolfsburg“. Man kennt sich.

Beispiel Fracking: Die Gasfördermethode wird in den USA zwar schon seit Jahren angewandt, ist wegen ihrer Umweltrisiken aber stark umstritten. Manche EU-Staaten haben das Fracking bereits verboten, in Berlin wird gerade ein Gesetz zur Regulierung erarbeitet. Oettinger glaubt fest an das neue Geschäftsfeld der Öl- und Gaskonzerne. „Das Fracking hat auch in Europa eine Chance.“ Deutschland dürfe „kein endgültiges Nein“ formulieren. „Sonst verlieren wir wichtige Kompetenzen.“

Beispiel Atomkraft: Oettinger hat einen Energiefahrplan 2050 ausgearbeitet, in dem es heißt, die Kernenergie werde in der EU immer noch benötigt. „Sie bleibt weiterhin eine zentrale Energiequelle für die CO2-arme Stromerzeugung.“ In einem Szenario sollten sogar in den kommenden Jahren 40 neue Reaktoren gebaut werden.

Für die Atomkraft-Propaganda werden auch schon mal Zahlen weggelassen: In einem Entwurf seiner Mitarbeiter zum Subventionsbericht stand, dass die Atomkraft im Jahr 2011 mit 35 Milliarden Euro gefördert wurde und damit stärker als die erneuerbaren Energien. Das wurde gestrichen, angeblich gebe es keine gesicherten Zahlen, hieß es dann.

Oettingers Vorschlag, europaweit eine Haftpflichtversicherung für Atomkraftwerke einzuführen, wurde irgendwann nicht weiter verfolgt. Hätte die Industrie auch einiges gekostet.

Austeilen kann er

Immerhin: Selbst Kritiker räumen ein, dass sich Oettinger in den vergangenen Jahren gut ins Energiethema eingearbeitet hat. Er hat Jura und Volkswirtschaft studiert, gilt als „Aktenfresser“ und Analytiker. Die Rhetorik hingegen ist nicht so sein Ding, obwohl er inzwischen halbwegs passabel Englisch spricht. Zu Beginn seiner Amtszeit haperte es noch gewaltig damit. Ein Video zeigt, wie er sich seine vorgefertigte Rede zurechtstammelte. Ohne Untertitel kaum verständlich. Besonders peinlich: Oettinger hatte zuvor gesagt, dass in der modernen Arbeitswelt jeder Englisch können müsse, vom Geschäftsführer bis zum Facharbeiter. Im Internet wurde das Video zum Hit.

Austeilen kann er trotzdem, wie immer wieder in der Bild-Zeitung nachzulesen ist. Etwa wenn er EU-Beamte nach Griechenland schicken will, um dort „den Schlendrian zu beenden“. Wenn er fordert, „die Flaggen von Schuldensündern vor den EU-Gebäuden auf halbmast zu setzen“. Oder wenn er sagt, Bulgarien, Rumänien und Italien seien „im Grunde genommen kaum regierbar“. Bei manch einem Diplomaten kam das nicht so gut an, gerade aus dem Mund eines Deutschen.

"Parteiinterne Entsorgungsaktion"

Warum wird er nun erneut nach Brüssel geschickt? Vor fünf Jahren war Oettinger laut einem Spiegel-Bericht doch nur dritte Wahl. Angela Merkel hat angeblich vorher Norbert Röttgen und Roland Koch gefragt, die jedoch lieber Bundesumweltminister und Ministerpräsident von Hessen bleiben wollten. Also nahm sie Oettinger. Offenbar galt da noch der Spruch: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. Unter Sozialdemokraten sorgte das für Empörung. Der Fraktionschef im Parlament, Martin Schulz, sprach von einer „Demütigung der zahlreichen qualifizierten CDU-Politiker in Berlin und Brüssel“, der damalige SPD-Industriekommissar Günter Verheugen von einer „parteiinternen Entsorgungsaktion“.

Brüssel ist in den Augen vieler Politiker ein Abstellgleis geblieben und so gibt es heute neben Oettinger keinen Politiker, der sich für diesen Posten aufdrängt. Für Merkel hat Oettingers zweite Amtszeit taktische Vorteile: Sie hält sich einen Konkurrenten vom Hals, mit dem sie angeblich nicht so gut kann. Gleichzeitig befriedigt sie den Wirtschaftsflügel ihrer Partei. Und die SPD hat sowieso nichts zu sagen, das ist Teil des Deals. Der Konservative Jean-Claude Juncker wird Kommissionspräsident, die Sozialdemokraten stellen mit Martin Schulz einen deutschen Parlamentspräsidenten, daher muss der deutsche Kommissar wieder von der Union kommen. Was das für die Zukunft Europas bedeutet, spielt da keine Rolle.

Mitte Juli soll der Kommissionspräsident gewählt werden, danach nominieren die Mitgliedsstaaten in Absprache mit dem Präsidenten die Kandidaten für die Kommissarsposten. Im September müssen sich die Bewerber einzeln einer Befragung der Europaabgeordneten unterziehen. Und am 1. November soll dann die neue EU-Kommission ihren Dienst antreten.

Zoff mit der CSU

Oettinger kann sich auf die Unterstützung der Großen Koalition in Berlin verlassen. Zunächst ließ Merkel über ihren Sprecher wissen, der EU-Kommissar leiste „sehr gute Arbeit“, dann stimmte das CDU-Präsidium für eine zweite Amtszeit. Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, erklärte, Oettinger sei wegen seiner Kompetenz und Erfahrung die „erste Wahl“.

CSU-Chef Horst Seehofer stimmte dann auch zu, obwohl er sich in der Vergangenheit schon öfter mit Oettinger angelegt hatte. Als Seehofer riesige Stromleitungen durch Bayern verhindern wollte, wetterte er gegen das „Geschwätz“ von Oettinger und „anderen Ortsunkundigen“. Später soll Seehofer dem EU-Kommissar im Streit über eine europaweite Pkw-Maut „Weltfremdheit“ vorgeworfen haben – angeblich war das nur ein „Hörfehler“, hieß es später.

Verstoß gegen den Verhaltenskodex?

Von der Union kriegt Oettinger nun Rückendeckung, die Umweltverbände sind gegen ihn. Franziska Achterberg von Greenpeace sagt: „Es ist fraglich, ob Oettinger den Verhaltskodex für EU-Kommissare eingehalten hat.“ Schließlich habe er „klare nationale Interessen“ vertreten, etwa bei den CO2-Grenzwerten für Pkw. Im Kodex hingegen heißt es, dass Kommissare ihr Amt „im allgemeinen Interesse der Union“ ausüben.

Im Kodex steht ein weiterer Satz: „Es wird von Kommissionsmitglieder erwartet, die Entscheidungen des Kollegiums zu verteidigen und zu unterstützen.“ Wie das mit Oettingers öffentlicher Kritik an den CO2-Zielen für das Jahr 2030 zu vereinbaren ist, weiß er wahrscheinlich nur selbst.

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