Es gibt nur wenige Menschen, die sich freiwillig in überfüllte Zugwaggons setzen. Hubertus Zdebel ist einer von ihnen. „Ich wurde schonmal von einer Schaffnerin aufgefordert, mich in den Wagen der ersten Klasse zu begeben“, erzählt er. Als Bundestagsabgeordneter besitzt er nämlich automatisch eine Netzkarte der Bahn, kann kostenlos durch Deutschland fahren, auch in der ersten Klasse. „Aber ich will wissen, was die normalen Menschen denken, worüber sie reden.“ Darum fährt er zweite Klasse.
Zdebel, graue Haare, Pferdeschwanz, sitzt für die Linkspartei im Bundestag. Seit September pendelt er zwischen Berlin und Münster, seiner Heimat. In der Hauptstadt wohnt er im Hotel, er hat noch nicht die richtige Wohnung gefunden. Auch auf seiner Internetseite sind bislang lediglich seine Kontaktdaten zu sehen, während andere Politiker schon Positionspapiere, aktuelle Berichte und Videos veröffentlichen. Immerhin: Für sein Bundestagsbüro hat Zdebel seine Mitarbeiter zusammen, auch sein zweites Wahlkreisbüro in Gelsenkirchen wurde vor wenigen Wochen eröffnet.
"Was soll ich mit denen besprechen?"
Der 59-Jährige ist eben kein Politiker wie jeder andere. Treffen mit Wirtschaftslobbyisten interessieren ihn nicht, die Einladungen schlägt der Umweltpolitiker regelmäßig aus. „Ich könnte jeden Abend irgendwo hingehen. Aber was soll ich mit denen besprechen?“
Stattdessen trifft er sich mit Aktivisten, er glaubt an die Kraft der außerparlamentarischen Bewegung. „Wenn auf der Straße nichts passiert, wehen im Bundestag nur die Gardinen“, sagt Zdebel. Er nimmt auch selber an Protesten teil: Ostermarsch, 1. Mai, Energiewende-Demo, Blockupy.
Zdebel gehört zum linken Flügel seiner Partei. Er ist Unterstützer des Netzwerks „Marx21“ und arbeitet auch mit der gewerkschaftsnahen Strömung „Sozialistischen Linken“ sowie mit der „Antikapitalistischen Linken“ zusammen. Nordrhein-Westfalen gilt innerhalb der Partei als linker Landesverband, Münster als linker Kreisverband.
Die Grünen-Vergangenheit
Früher war Zdebel bei den Grünen, zählte dort auch zum linken Flügel. Als Rot-Grün an die Regierung kam, arbeitete er als Mitarbeiter für den Bundestagsabgeordneten Christian Simmert, der zu den vier Grünen gehörte, die gegen den Kosovo-Krieg stimmten. Nach vier Jahren wendete der sich resigniert von der Politik ab und Zdebel ging zu Rüdiger Sagel, der für die Grünen im Düsseldorfer Landtag saß. Als sich dann im Jahr 2007 die Linkspartei gründete, wechselten Zdebel und Sagel gemeinsam die Partei.
Zu einigen Grünen hat Zdebel immer noch Kontakt, große Hoffnungen setzt er aber nicht in den linken Flügel seiner ehemalige Partei. „Christian Ströbele ist doch längst nur noch ein Feigenblatt.“
Ungeliebte Umweltpolitik
Das Interesse für die Umweltpolitik hat Zdebel behalten. In der Linksfraktion ist das – anders als bei den Grünen – kein besonders prestigeträchtiges Thema. Bei den Linken reißt sich kaum jemand um einen Sitz im Umweltausschuss.
In dieser Legislatur sitzen sie dort zu viert: Eva Bulling-Schröter ist schon seit vielen Jahren dabei, sie ist die Sprecherin für Energie- und Klimapolitik. Ralph Lenkert hat auch schon vier Jahre im Umweltausschuss hinter sich, er ist nun zuständig für Ressourcenschutz und Energienetze. Heidrun Bluhm kümmert sich um Bau- und Wohnungspolitik, war in der vergangenen Legislatur im Bauausschuss, doch nun ist der Umweltausschuss zuständig.
Und dann ist da Hubertus Zdebel, der sich mit Atompolitik, Natur- und Tierschutz befasst. Er ist zudem Mitglied der parteiübergreifenden Atommüll-Kommission, die über die Endlagersuche diskutieren soll. Am heutigen Donnerstag ist die erste Sitzung.
Aktuelles im Münsterland
Seine Themen passen zu seinem Wahlkreis. Im westfälischen Ahaus steht ein Atommüll-Zwischenlager, in Gronau die bundesweit einzige Urananreicherungsanlage. Zdebel hat dazu direkt eine Anfrage an die Regierung gestellt – und die Atomkraftgegner im Münsterland sind froh, dass sie einen Ansprechpartner haben, der sich in Berlin für ihre Forderungen nach Abschaltung der Anlage stark macht.
Auch die umstrittene Gasfördermethode „Fracking“ fällt in Zdebels Themenbereich. Im Münsterland ist das aktuell: An einigen Orten wollen Konzerne wie ExxonMobil die Technologie ausprobieren, Bürgerinitiativen fürchten die Verseuchung des Trinkwassers.
Wenn Zdebel in Berlin etwas unternimmt, bespricht er das mit dem gesamten Büro. Er war lange genug selbst Mitarbeiter, nun will er als Chef eine Art Demokratie leben. „Die Meinungen und Erfahrungen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fließen in alle Entscheidungsprozesse ein.“
Aber in welchem Zugwaggon er fährt, das entscheidet er immer noch selber.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.