Von einem Tag auf den anderen wurde er vom Hinterbänkler zum Hoffnungsträger. Die linke SPD-Ikone Andrea Ypsilanti war an dem Versuch eines rot-rot-grünen Bündnisses gescheitert, nun sollte er die Hessen-SPD wieder aufpäppeln. Das war vor knapp fünf Jahren.
Heute ist Thorsten Schäfer-Gümbel mit neuen Hoffnungen und Erwartungen konfrontiert. Der 43-Jährige hat der hessischen SPD als Spitzenkandidat zu einem guten Wahlerfolg verholfen und könnte nun auch für etwas anderes als seine dicken Brillengläser und seinen langen Nachnamen bekannt werden. Ihm gelingt womöglich, woran Ypsilanti gescheitert ist: eine Regierung mit Grünen und Linken zu bilden und damit auch den Weg für diese Konstellation auf Bundesebene zu bereiten.
Politisch nein, formal vielleicht
Im Hessen-Wahlkampf hat er zwar immer wieder betont, er sehe für eine Zusammenarbeit mit der Linken „politisch“ keine Grundlage. „Formal“ jedoch wolle er keine Koalition ausschließen. Diese Sprachregelung ist eine Lehre aus dem Ypsilanti-Desaster. 2008 hatte die SPD vor der Wahl eine Regierung mit der Linken ausgeschlossen, jedoch auch einen Frontal-Wahlkampf gegen die Roland-Koch-CDU geführt – um sich später zwischen diesen beiden Koalitionsmöglichkeiten entscheiden zu müssen. Sofort war von einem „Wortbruch“ die Rede, als mit der Linken verhandelt wurde.
Diesmal, mit Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze, ist alles anders. Keine eindeutige Ansage vor der Wahl, nun ist theoretisch Rot-Rot-Grün möglich oder eine rot-grüne Regierung unter Duldung der Linkspartei. Und wenn erstmal in einem westdeutschen Flächenland die Berührungsängste zwischen SPD und Linkspartei abgebaut sind, klappt es vielleicht auch irgendwann im Bund.
Gewonnen und bald zerrieben?
Nach der Landtagswahl darf sich Schäfer-Gümbel zwar erstmal als Sieger fühlen: Die SPD hat sieben Prozentpunkte dazugewonnen und kann sich nun aussuchen, ob sie lieber mit der CDU oder der Linkspartei regieren möchte. Aber genau dadurch könnte Schäfer-Gümbel auch zerrieben werden.
Die CDU hat mehr Stimmen als die SPD bekommen und ihr Noch-Ministerpräsident Volker Bouffier hat gleich den „politischen Führungsanspruch“ klargestellt. Heißt: Er will erneut Ministerpräsident werden. Zudem hat die Union ein Druckmittel in der Hinterhand: Sie könnte auch mit den Grünen regieren – obwohl dies wegen der inhaltlichen Differenzen als wenig wahrscheinlich gilt. Die Verhandlungen mit der Linken dürften für die SPD noch schwieriger werden und in den eigenen Reihen und bei den Medien Widerstand hervorrufen.
Sturz einer Heldin
Alleine der Gedanke an eine mögliche Wiederholung des Ypsilanti-Debakels – einer Art Trauma für die gesamte SPD – dürfte Thorsten Schäfer-Gümbel zu einer großen Vorsicht bei den Sondierungsgesprächen bewegen. Andrea Ypsilanti, sie war einmal die Heldin der hessischen SPD. Landesvorsitzende, Fraktionsvorsitzende und im Volk überaus beliebt. Sie gehörte dem linken Flügel an, kritisierte einst die Hartz-Reformen als „sozial unausgewogen“.
Doch dann scheiterte sie an ihren eigenen Genossen. Nachdem monatelang mit Grünen und Linkspartei verhandelt worden war, verweigerten ihr im letzten Moment vier SPD-Abgeordnete die Unterstützung – angeblich wegen ihres Gewissens.
Nun kam die Stunde von Thorsten Schäfer-Gümbel. Der Landtag beschloss Neuwahlen, Ypsilanti schlug Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidaten vor. Der war bislang in der Öffentlichkeit kaum bekannt, die Süddeutsche Zeitung fragte: „Thorsten Schäfer-wer?“ Der Wahlkampf dauerte zwar nur wenige Wochen, aber leichter wurde er dadurch für die SPD auch nicht. Und er war einfach nicht zu gewinnen, weil die Sozialdemokraten nun als unglaubwürdig galten. Zwar erklärte Schäfer-Gümbel: „Der Fehler war der Wortbruch.“ Die Union attackierte ihn dennoch als „Marionette“ Ypsilantis.
Die SPD verlor damals 13 Prozentpunkte, aber ihr Spitzenkandidat brauchte sich nicht zu ärgern. Das ging auf das Konto seiner Vorgängerin, die von nun an nur noch in der dritten Reihe saß.
Die Fraktion wieder vereint
Schäfer-Gümbel führte die Fraktion, und er führte sie wieder zusammen. Er selbst wird dem linken Parteiflügel zugerechnet, der eher konservative Günther Rudolph wurde Parlamentarischer Geschäftsführer. Schäfer-Gümbel gilt als Analytiker, es heißt, er verbinde den linken Standpunkt mit dem Führungsstil eines Konservativen. Sollte man für die Verhandlungen über ein rot-rot-grünes Bündnis bestimmte Charaktereigenschaften brauchen: Diese wären sicher nicht schlecht.
Schon in seiner Kindheit und Jugend hat er gelernt, wie man Verantwortung übernimmt, wie man Entscheidungen trifft. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, der Vater ist Zeitsoldat, dann Lkw-Fahrer, die Mutter geht putzen. Als der kleine Thorsten 13 Jahre alt ist, bricht sein Vater zusammen und muss fünf Monate im Krankenhaus bleiben. Die Mutter pflegt ihren Mann, Thorsten muss sich um seine zwei jüngeren Geschwister kümmern.
Auch politisch übernimmt er früh Verantwortung: Bereits als Schüler ist er bei den Jusos aktiv, später studiert er Politikwissenschaft, mit 33 Jahren zieht er in den Landtag ein.
Brille und Name sind Kult
Als er durch Ypsilanti berühmt wird, muss er viel Spott und Häme ertragen, aber er blendet das einfach aus. Der Doppelname, die unmodische Brille. Was nur wenige wissen: Die dicken Gläser sind nötig wegen einer Netzhautablösung im Alter von 20 Jahren. Nur durch eine Notoperation behielt er das Augenlicht.
Inzwischen ist die Brille Kult geworden und der Name gleich dazu. Im Wahlkampf verteilte die SPD Brillen aus Pappe, mit der Aufschrift „TSG“, für Thorsten Schäfer-Gümbel. Allerdings: Die Brille ist schwarz und nicht rot-grün. Was das über künftige Koalitionen aussagt, bleibt das Geheimnis der SPD.
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