Der dritte Weg

Ökologie In dem Buch „Rotes Grün“ plädiert Hans Thie für mehr Kapitalismuskritik in der Ökoszene und mehr Umweltbewusstsein in der Linken
Ausgabe 28/2013
Der dritte Weg

Was haben Wikipedia, Carsharing und das Erneuerbare-Energien-Gesetz gemeinsam? Es sind Projekte von heute für eine Wirtschaft von morgen. In einer Welt mit endlichen Ressourcen müssen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen – das ist inzwischen im politischen Mainstream angekommen. Streit gibt es hingegen über die Frage, wie das konkret aussehen soll.

In der Regel stehen sich zwei Lager gegenüber: Die einen wollen die Marktwirtschaft begrünen, setzen auf technische Lösungen und politische Vorgaben. Die anderen sehen die Ursache der Umweltzerstörung im Kapitalismus, hoffen auf ein anderes Wirtschaftssystem und darauf, dass dann alles besser wird. Die Ökologie gilt als „Nebenwiderspruch“, auch wenn dieser Begriff kaum noch verwendet wird. Aber es gibt einen erfrischenden dritten Weg, der die ökologische Herausforderung ernst nimmt und gerade deswegen das herrschende Wirtschaftssystem und seine Ideologie infrage stellt.

Vom Wunschdenken geprägt

Hans Thie versucht diesen Weg aufzuzeigen. Sein neues Buch Rotes Grün ist ein Plädoyer für mehr ökologisches Bewusstsein in der Linken oder auch für mehr Kapitalismuskritik in der Umweltbewegung. Thie, wirtschaftspolitischer Referent der Linksfraktion im Bundestag, vertritt in dem Buch die zentrale These: Grün und Rot gehen nur zusammen. Gerecht kann nur eine nachhaltige Wirtschaft sein – und die ökologische Transformation ist nur dann zu schaffen, wenn auf Kooperation statt Wettbewerb gesetzt wird, auf Gleichheit statt Ungleichheit, auf Planung statt Markt.

Nun ist diese These nicht besonders neu, und sie war schon immer stärker vom Wunschdenken geprägt als von einem tatsächlichen inneren Zusammenhang von Ökologie und Sozialem. Auch Hans Thie baut auf ein paar fragwürdige, unausgesprochene Annahmen. Wenn er etwa diskutiert, wie die endlichen Ressourcen unter den Menschen aufgeteilt werden sollten (er kommt zu dem Ergebnis: nach dem Prinzip der Gleichheit), geht er davon aus, dass „nicht Pragmatismus das Grundsätzliche vernebelt“ und dass „Faustrecht, der Krieg um Ressourcen, vermieden werden soll“.

Ohnehin glaubt Thie, dass solche Kriegsszenarien unrealistisch sind. Die Weltökologie erfordere – anders als etwa das Atomwaffenproblem – von den Nationen „nicht widerwillige Kooperation durch die angedrohte Vergeltung, sondern tatsächliche Zusammenarbeit im eigenen Interesse“.

Werden diese Annahmen infrage gestellt, beginnt die These der gegenseitigen Bedingung von Rot und Grün zu wackeln. Die Stärke des Buchs liegt im Grundsätzlichen. Es entwirft ein Modell der zukünftigen Wirtschaftsordnung, begründet die handlungsleitenden Grundprinzipien Kooperation, Gleichheit und Planung, befasst sich also mit dem großen Ganzen. Gleichzeitig wird die ökonomische Argumentation heruntergebrochen auf Beispiele wie, genau: Wikipedia, Carsharing oder das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Vor allem aber bleibt die Argumentation differenziert. Rotes Grün ist weder eine Kampfschrift für mehr Staat noch für mehr Markt.

Wenn etwa von „Planung“ gesprochen wird, dann ist damit nicht die vollkommene Abwesenheit von Märkten gemeint, sondern die „Ausdehnung und Systematisierung der ohnehin stets stattfindenden Planungsprozesse“. Märkte sind ohne politische Rahmenbedingungen überhaupt nicht vorstellbar, es gibt immer Strukturpolitik. Die deutsche Autoindustrie braucht beispielsweise das Autobahnnetz.

Private Unternehmen werden von Thie nüchtern gesehen. Sie können einige Aufgaben erfüllen, andere nicht. „Die Privatwirtschaft kann singuläre Öko-Effizienz hervorbringen, aber keine systematische: verbrauchsarme Autos, aber keine effizienten Verkehrssysteme; Öko-Häuser, aber keine ökologisch sinnvollen Siedlungsstrukturen; effiziente Heizungen und Elektrogeräte, aber keine nachhaltigen Energiesysteme; Bio-Lebensmittel, aber keine Bio-Agrarsysteme.“ Trotzdem will Thie keinen grünen Kapitalismus. Er sieht durchaus ökologisches Veränderungspotenzial im derzeitigen Wirtschaftssystem, glaubt aber nicht an „die gesamte bisherige von Konkurrenz, Expansion und Naturausbeutung geprägte Produktionsweise als durchgehend ökologische Veranstaltung“.

Rettungsboote für alle?

Durch den Zwang zum Wachstum läuft die Wirtschaft stets Gefahr, die natürlichen Grundlagen übermäßig zu nutzen und somit zu zerstören. „Die Wirtschaft braucht nicht nur einen grünen Rahmen, sondern auch eine innere Verfassung, die ökologisches Handeln ermöglicht und belohnt.“

Der Kern der Kritik zielt somit auf das Wirtschaftswachstum – eine Kritik, die mit der Enquete-Kommission des Bundestags immerhin, aber leider auch nur rhetorisch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dabei ist Wirtschaftswachstum nicht per se schlecht, es kann aber auch „unökonomisches Wachstum“ geben, bei dem die heute nicht eingerechneten ökologischen Kosten höher sind als der Nutzen. Das eigentliche Problem – das macht die Lektüre deutlich, auch wenn es leider nicht explizit gesagt wird – ist nicht das Wachstum, sondern der Wachstumszwang.

Vermutlich steige ja auch bei einem ökologischen Umbau der Wirtschaft das Bruttoinlandsprodukt, schließlich müssten effizientere und damit in der Regel auch teurere Geräte eingesetzt werden. Der gleiche Effekt ergibt sich, wenn die knapp werdenden Ressourcen immer teurer werden. Thie hat das auch erkannt: „Die gerechnete Wirtschaftsleistung steigt weiter, aber der Lebensstandard stagniert oder sinkt.“

Die Wachstumszwangskritik richtet sich sowohl gegen die Apologeten der Marktwirtschaft als auch gegen die klassische (Gewerkschafts-)Linke, die auf dem ökologischen Auge blind ist. Die Kritik an der Linken hat Thie in ein vermeintlich harmloses Bild gefasst: „Man ist dabei auf der dampfenden Titanic und bildet dort die Vereinigung kritischer Passagiere. Weniger Kronleuchter und bessere Mannschaftsdecks! Rettungsboote für alle! Beobachtungsposten rund um die Uhr doppelt besetzen! Das sind die Forderungen. (…) Aber niemand aus der Sprecherriege der kritischen Passagiere spricht aus, was heute auch zu sagen wäre: Wir sind auf dem falschen Dampfer!“

Rotes Grün: Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft Hans Thie VSA 2013, 173 S., 16,80 €

Das Buch kann auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung kostenlos im pdf-Format heruntergeladen werden.

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