Der Irrtum der Wachstumskritiker

Ökologie Nicht das Wirtschaftswachstum ist das Problem, sondern der Zwang dazu. Kurzfristig ist gar ein Wachstum nötig – nicht trotz, sondern wegen der Endlichkeit der Ressourcen
Ausgabe 36/2014
Sind umweltfreundliche Maschinen wie Elektroautos wirklich kostspieliger?
Sind umweltfreundliche Maschinen wie Elektroautos wirklich kostspieliger?

Foto: KAZUHIRO NOGI/ AFP/ Getty Images

Was die Wachstumskritiker überhaupt wollen, können sie wohl selbst nicht so recht beantworten. Eine andere Gesellschaft, so viel ist klar. Ökologischer, sozialer. Aber was bedeutet das eigentlich konkret? Muss der Kapitalismus abgeschafft werden? Ist es im Sozialismus besser? Sollen nur einige umweltschädliche Branchen schrumpfen oder die gesamte Ökonomie?

Viele Kritiker hängen einem Irrglauben an und verteufeln das Wirtschaftswachstum an sich. Dabei ist das Problem nicht das Wachstum, sondern der Zwang dazu. Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn so kann man der Falle entgehen, entweder eine algemeine Reduktion anzustreben oder blind den Heilkräften eines grünen Kapitalismus zu vertrauen.

Wir übernutzen den Planeten

Wachstum bringt erst mal mehr Wohlstand und kann helfen, ökologische und soziale Probleme zu lösen. Sparsame Autos, effiziente Kühlschränke, umweltfreundliche Technik: All das kostet Geld. Mehr Geld als die bisherigen Benzinfresser, Stromverschwender und Luftverschmutzer. Also wächst das Bruttoinlandsprodukt.

Es klingt paradox: Kurzfristig ist ein gewisses Wirtschaftswachstum nötig – nicht trotz, sondern wegen der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen. Derzeit übernutzen wir unseren Planeten. Wir saugen die fossilen Rohstoffe aus, wir missbrauchen die Atmosphäre als Müllhalde für die Treibhausgase. Das muss und das wird sich ändern. Wenn wir gleichzeitig aber unseren Lebensstandard halten wollen, brauchen wir den technischen Fortschritt und das mit ihm verbundene Wirtschaftswachstum. Wenn wir künftig genauso mobil sein wollen wie heute, müssen wir teurere Elektroautos bauen oder in eine moderne Bahn-Infrastruktur investieren. Auf einige Dinge werden wir natürlich auch verzichten müssen. Zum Beispiel ist derzeit nicht absehbar, ob sich die vielen Billigflüge überhaupt ohne Komfortverlust ersetzen lassen.

Billige, teure Maschinen

Sind umweltfreundliche Maschinen wirklich kostspieliger? Wer sie anschafft, will damit schließlich Geld sparen. In Wirklichkeit lohnt sich der Kauf oft aus dem Grund, dass zum Beispiel die Energiepreise steigen, was eben mit der Endlichkeit der Ressourcen zusammenhängt. Letztlich ist der Kauf neuer Maschinen dann zwar billiger als die Weiternutzung der alten – trotzdem wird es unterm Strich teurer als vorher.

Das lässt sich nicht immer so einfach in Euro und Cent beziffern, weil das Geld auch seinen Wert verändern kann. Wenn ein neues Produkt durch den technischen Fortschritt sehr billig wird, kostet es zwar wenig Geld, ist aber immer noch genauso nützlich wie vorher. Mit einem Euro kann ich mir dann mehr kaufen als früher, Zauberwort Deflation. Deshalb bedeuten billigere Produkte nicht automatisch, dass die Wirtschaftsleistung sinkt. Wenn Geld mehr wert ist, kann das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt dennoch steigen.

Notwendige Obergrenzen

Obwohl grünes Wachstum nötig ist, wäre es falsch, zu glauben, dadurch würden sich die meisten Probleme schon von allein lösen. Neue Technologien sind vielleicht die notwendige Voraussetzung, um der ökologischen Katastrophe zu entgehen, nicht jedoch eine hinreichende. Solange Ressourcenverbrauch und Treibhausgas-Ausstoß nicht hinlänglich politisch reguliert werden und feste Obergrenzen fehlen, so lange wird es den sogenannten Rebound-Effekt geben: Ein modernes Auto spart ein paar Liter Benzin, die werden aber direkt verwendet, um längere Strecken zurückzulegen. Dem Klima ist damit nicht geholfen.

Mit strenger politischer Regulierung ließe sich das Wirtschaftswachstum begrünen. Bisher hat das jedoch noch nie geklappt, weshalb die Wachstumsgegner das auch für eine Illusion halten. Den größten ökologischen Segen hat bisher die vergangene Wirtschaftskrise gebracht. Der globale CO2-Ausstoß ist langsamer gestiegen als zuvor – um allerdings nach der Krise das Tempo wieder zu erhöhen.

Vom Markt gefegt

Dass grünes Wachstum nicht gelingt, liegt am Widerstand der Industrielobby. Solange unser Wirtschaftssystem die privaten Unternehmen in einen Konkurrenzkampf um Marktanteile treibt, sind sie zum Kampf gegen Regulierung gezwungen. Und zum ständigen Wachstum. Wer sich nicht an diese Maxime hält, wird blitzschnell vom Markt gefegt.

Der Wachstumszwang führt dazu, dass immer wieder neu reguliert werden muss. Die Wirtschaft erschließt sich neue Märkte, die ersten ökologischen oder sozialen Probleme treten auf, und die Politik läuft hinterher. Wer das nicht will, muss die Produktion unter demokratische Kontrolle stellen. Nur so ist eine Wirtschaft vorstellbar, in der die Gesellschaft selbst entscheiden kann, ob und wie viel Wachstum sie will. Oder ob weniger Arbeit und weniger Konsum nicht manchmal auch mehr Lebensqualität bedeutet.

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