Der Mainstream-Bonus

Grüne Der Wahlsieg von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg stärkt den Realo-Flügel in der Partei. Die Linken sind ohnehin geschwächt
Dürfte auch in der Bundespolitik eine wichtige Rolle spielen: Winfried Kretschmann
Dürfte auch in der Bundespolitik eine wichtige Rolle spielen: Winfried Kretschmann

Bild: Thomas Niedermueller/Getty Images

Vor fünf Jahren hätten Grünen-Politiker darüber gelacht, jetzt ist das Unmögliche möglich geworden: Winfried Kretschmann hat zum zweiten Mal die baden-württembergische Landtagswahl gewonnen. Dabei war schon sein erster Sieg überraschend gewesen – und in erster Linie dem damaligen Höhenflug seiner Partei zu verdanken, angefeuert durch die Diskussionen über den Tiefbahnhof „Stuttgart 21“ und die Atompolitik nach Fukushima. Es reichte knapp für eine grün-rote Mehrheit, erstmals bekam Deutschland mit Kretschmann einen grünen Ministerpräsidenten, ausgerechnet im konservativen Südwesten. Dass Kretschmann fünf Jahre später sein phänomenal gutes Wahlergebnis noch einmal verbessern und sogar an der CDU vorbeiziehen kann, hätte er damals wohl selbst nicht geglaubt.

Nun sind die Grünen die stärkste Kraft in Baden-Württemberg. Für die Bundespartei verheißt das nichts Gutes. Der rechte Flügel gewinnt weiter an Einfluss, die Grünen beschleunigen noch einmal auf dem Weg von einer linken zu einer konservativen Partei. Bei den Wählern blieb dieser Trend bislang weitgehend folgenlos. Viele Linke schenken ihre Stimme weiterhin den Grünen. Schließlich gibt es dort immer noch einen linken Flügel. Nur: Wie viel hat der überhaupt noch zu sagen in der Partei?

Realos im Aufwind

Schon die vergangene Bundestagswahl war für die Linken unter den Grünen ein Desaster. Das Steuerkonzept der Partei, das die Reichen zur Kasse beten und für Umverteilung sorgen sollte, wurde im Wahlkampf von der politischen Konkurrenz, den Medien und der Öffentlichkeit diffamiert und zerrissen. Eine sachliche Diskussion war unmöglich. Später wurde der linke Parteiflügel für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich gemacht, und das Steuerkonzept verschwand heimlich in der hintersten Schublade. Ab jetzt hatte der rechte Parteiflügel das Sagen.

Mit dem erneuten Kretschmann-Sieg bekommen die Realos noch einmal Aufwind. Der Wahlsieg in Baden-Württemberg liegt eben nicht nur am Schlingerkurs des CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf in der Flüchtlingspolitik, der bei konservativen Wählern ziemlich schlecht angekommen sein dürfte. Er liegt auch an der wirtschaftsfreundlichen Regierungspolitik der Grünen, die selbst von der Metall- und Elektroindustrie so positiv bewertet wird, dass ihr Verband (in dem auch Rüstungsfirmen vertreten sind) fleißig Geld an die Grünen spendet. Und es liegt an den Positionen von Kretschmann, der nicht nur in der Asylpolitik so ähnlich tickt wie die CDU. Zuletzt warf er etwa dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck „schweres Fehlverhalten“ vor, weil dieser die illegale Droge Crystal Meth konsumiert haben soll.

Macht und öffentliches Gehör

Wenn Kretschmann eine Regierungskoalition zustande bringt und ein zweites Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wird, ist ihm die öffentliche Aufmerksamkeit weitere fünf Jahre lang sicher. Alleine weil die Große Koalition aus Union und SPD im Bundesrat auf grün-mitregierte Länder angewiesen ist, wird Kretschmann eine wichtige Rolle in der Bundespolitik spielen. Die Medien finden das Phänomen „grüner Ministerpräsident“ spannend und werden ihn ausführlich zu allen möglichen Themen zu Wort kommen lassen. Alleine dadurch bekommt er mehr Gewicht in innerparteilichen Diskussionen. Dieser Bonus kann eigentlich nur an den Realo-Flügel gehen. Wer bei den Grünen wirklich linke Politik betreibt, wird es wahrscheinlich erst in einigen Jahrzehnten oder nie an die Spitze eines Bundeslandes schaffen.

Weiteres Beispiel: Boris Palmer, der in Tübingen so beliebt ist, dass er zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Als Ober-Realo ist so etwas deutlich einfacher. Und die Medien interviewen ihn ständig, obwohl er in Landes- und Bundespartei kein wichtiges Amt mehr bekleidet, seitdem er 2012 aus dem Parteirat geflogen ist.

Wer mehrheitsfähige Meinungen vertritt, kommt an die Macht und findet Gehör. Es handelt sich also um einen Mainstream-Bonus. Dieser Effekt stärkt die Realos. Wenn die Grünen jedoch ihre linke Stammwählerschaft behalten möchten – und die gibt es immer noch! – , müssen sie dafür sorgen, dass Stuttgart jetzt nicht zum heimlichen Regierungssitz der grünen Partei wird.

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