Er hat Träume kaputt gemacht. Träume, der deutsche Kugelhaufen-Reaktor könne in alle Welt exportiert werden. Auf 51 Seiten hat Rainer Moormann die Schwachstellen dieser Technologie beschrieben, das ist gerade mal drei Jahre her. Es war nicht so, dass es bis dato keine Kritik gegeben hätte. Doch Moormann ist nicht irgendwer. Seit nunmehr 35 Jahren arbeitet der Chemiker im Forschungszentrum Jülich, war dort für Sicherheitsfragen zuständig. Doch nachdem er 2008 den Bericht veröffentlicht hatte, wurde er versetzt.
Anscheinend haben ihm viele seiner Kollegen nie verziehen, dass er die in Deutschland entwickelte Reaktortechnik nicht in den Himmel lobte sondern statt dessen auf deren Probleme aufmerksam machte und ihr damit bis heute alle kommerziellen Chancen vermasselte. „Meine Leute wurden mir weggenommen, ich saß alleine im Büro, wurde zu keinen Besprechungen mehr eingeladen“, sagt der Wissenschaftler heute. Dienstreisen seien ihm verweigert worden, dann habe es Probleme mit der Abrechnung von Reisekosten gegeben. Den Zorn, die Wut der Atomforscher-Community – all das bekam er zu spüren. „Ich habe dreimal schriftlich, dass ich verrückt bin.“
Offiziell wird die Geschichte ganz anders erzählt. „Die von Dr. Moormann dargestellten Fakten werden – nach Einschätzung des Forschungszentrums – in der Fachwelt nicht in Frage gestellt“, teilt das Institut in Jülich mit. „Wissenschaftlich kontrovers“ würden aber die Schlussfolgerungen diskutiert. Mit anderen Worten: Fehler in der Studie hat man nicht gefunden, den Glauben an die sichere Kugelhaufen-Technologie möchte man aber nicht aufgeben.
Weltweit den Todesstoß versetzt
Im Unterschied zu anderen Reaktoren werden dabei tennisballgroße Kugeln als Brennelemente verwendet, das soll den Prozess der Kernspaltung „inhärent sicher“ machen. So jedenfalls wird die Technik oft beworben. In Jülich wurde von 1967 bis 1988 ein Versuchsreaktor betrieben, wissenschaftlich vom Forschungszentrum begleitet, auch in Hamm stand ein Prototyp. Nach zahlreichen Störfällen war die Technik tot – zumindest in Deutschland. Weitgehend unbemerkt wurde der Export in Länder wie Südafrika, China oder USA geplant, bislang erfolglos.
Moormann habe der Reaktorlinie „weltweit den Todesstoß versetzt“, glaubt Horst Blume von der Bürgerinitiative Umweltschutz in Hamm. Wie Moormann beschäftigt er sich seit Jahren mit dem Kugelhaufen-Reaktor. Blume ging auf die Straße, Moormann zur Arbeit. Mittlerweile kennen sich die beiden, duzen sich, sind fast schon Freunde.
Moormann arbeitet inzwischen zu „europäischen Spallationsquellen“, eine alternative Methode, um freie Neutronen für Forschungs- oder Anwendungszwecke zu erzeugen. Er konnte in dem Bereich aber nie Fuß fassen, wie er sagt. 2013 will er mit 63 Jahren in Rente gehen. Zu verlieren hat er nichts mehr, aber zu gewinnen: Am Freitag erhält er den „Whistleblowerpreis“, der von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und weiteren Organisationen alle zwei Jahre verliehen wird. Dann steht Moormann im Rampenlicht, denn der zweite Preisträger ist anonym: der unbekannte Wikileaks-Hinweisgeber.
In der Begründung der Jury heißt es, Moormann habe „aufgedeckt“, dass der Jülicher Versuchsreaktor „jahrelang unzureichend gegen überhöhte Betriebstemperaturen im Reaktorkern gesichert war“. Damit habe der Forscher „maßgeblich dazu beigetragen, dass das mit Kugelhaufen-Reaktoren verbundene Risikopotenzial in einem neuen Licht erscheint.“ Preisverdächtig wurde Moormann aber erst durch die Inkaufnahme persönlicher Nachteile. Die Organisatoren des Whistleblower-Preises schreiben, am Forschungszentrum habe das „ungeschriebene Gesetz“ gegolten, „dass keine Negativmeldungen über die Reaktorsicherheit ‚nach draußen‘ gelangen sollten“.
Eine Selbstverständlichkeit
Das sieht man in Jülich natürlich anders: Die Forschungsergebnisse seien „mit ausdrücklicher Unterstützung des Forschungszentrums publiziert“ worden, berufliche Nachteile seien dadurch nicht entstanden. Auch Moormann bestätigt, dass der Vorstand erlaubt habe, den Bericht zu veröffentlichen – allerdings nur „zähneknirschend“, sagt der Forscher. Ein Jahr lang habe er für die Veröffentlichung streiten müssen, immer wieder wurde ihm vorgeschlagen, den Bericht umzuschreiben, Formulierungen zu entschärfen. Kleinigkeiten habe er geändert, bei der inhaltlichen Kernaussage sei er aber stur geblieben.
Vorher hatte Moormann noch mit sich selbst gerungen. „Das war kein ganz einfacher Prozess“, sagt er. Schließlich habe das auch die Beziehungen zu Kollegen auf die Probe gestellt, die entweder „Unsinn geglaubt“ oder „andere getäuscht“ hätten.
Doch die Hoffnung auf das Gute in der Wissenschaftler-Seele hatte Moormann damals noch nicht verloren. Dass er sich mit dem Bericht zum unbeliebten Außenseiter machen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. „Damals hatte ich noch die feste Überzeugung, dass es eine Selbstverständlichkeit wäre, Sicherheitsbedenken zu benennen und offenzulegen.“ Wie man es von verantwortungsvollen Wissenschaftlern – insbesondere im Hochrisikobereich – erwarten sollte.
Doch dann wurde Moormann schlauer, lernte nach über 30 Jahren Berufserfahrung eine Lektion des Atomwissenschaftsbetriebs. Hinter vorgehaltener Hand hätten ihm zwar einige Kollegen zugestimmt. Die meisten waren aber nur sauer. Heute hat Moorman dafür auch eine Erklärung: Der Kugelhaufen-Reaktor sei der Stolz der deutschen Atomforscher, werde deshalb gerne „hochgehalten“. Wenn sie nun das Loblied beenden und den Todesgesang anstimmen, dann würden sie sich unglaubwürdig machen. Sie seien „gefangen in ihren marktschreierischen Versprechen“.
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