Die Schweizer schotten sich ab – per Volksentscheid verordnet. Das finden die meisten Deutschen nicht gut und prompt wird die direkte Demokratie zum Sündenbock erklärt. Über Minderheitenrechte dürfe das Volk nicht abstimmen, heißt es immer wieder – auch hier im Freitag. In Wirklichkeit jedoch wird in der Diskussion vieles durcheinander geworfen.
Es geht los bei der Frage, ob sich die Schweizer Abschottung überhaupt gegen Minderheiten richtet. Minderheiten sind erstmal all jene Gruppen, die in einer Gesamtgruppe weniger als 50 Prozent ausmachen. Nun gehören potentielle Einwanderer aber gar nicht zur Gesamtgruppe der Schweiz-Bewohner. Streng genommen geht es also um die Frage, ob diese Menschen überhaupt zur Minderheit in der Schweiz werden
so um die Frage, ob diese Menschen überhaupt zur Minderheit in der Schweiz werden dürfen. Das nächste Problem ist eine Vermischung verschiedener Gründe, die angeblich gegen Volksentscheide sprechen. Geht es um die Verfassung und die Klagemöglichkeit gegen beschlossene Gesetze? Da ließen sich problemlos die gleichen Regeln einführen, die auch für Gesetze gelten, die vom Parlament beschlossen werden.Geht es um Minderheitenschutz oder um Menschenrechte? Das sind verschiedene Dinge. Dabei gibt es natürlich auch Verknüpfungen: Wenn die körperliche Unversehrtheit von Oppositionellen nicht gewährleistet wird, ist es mit dem Minderheitenschutz nicht weit her.Minderheitenschutz vs. MenschenrechteTrotzdem ist die Argumentation gegen Volksentscheide ganz unterschiedlich. Beim Minderheitenschutz geht es darum, dass jede Minderheit die Möglichkeit haben muss, mit den eigenen Positionen zur Mehrheit zu werden. Wenn sie dieser Möglichkeit beraubt wird, zerstört das die Demokratie. Es geht also um Demokratie, ein Verfahren zur Entscheidungsfindung.Bei den Menschenrechten hingegen geht es um Werte und politische Inhalte. Wer mit den Menschenrechten gegen Volksentscheide argumentiert, stellt das richtige Entscheidungsergebnis an oberste Stelle. Der Wert eines demokratischen Verfahrens an sich ist zweitrangig.Beide Einwände – Minderheitenschutz und Menschenrechte – haben ihre Berechtigung. Aber sie eignen sich nicht, um die direkte Demokratie zu diskreditieren. Schließlich gelten sie auch für ein repräsentatives System. Wenn Menschen in den USA auf dem elektrischen Stuhl umgebracht werden, wer zweifelt dann an der parlamentarischen Demokratie? Und wer erhebt Einspruch, wenn der Bundestag die Geldleistungen für Flüchtlinge unter das Existenzminimum sinken lässt?In Deutschland wird der Minderheitenschutz mit Füßen getreten. Viele Ausländer dürfen hier nicht wählen gehen. Es lässt sich kaum drastischeres vorstellen, um zu verhindern, dass Minderheiten zu Mehrheiten werden.Sind Politiker die besseren Menschen?Warum darf der Bundestag über solche Gesetze entscheiden, nicht aber das Volk? Häufig wird unausgesprochen angenommen, dass die Abgeordneten niemals gegen den Minderheitenschutz oder die Menschenrechte stimmen würden. Dabei ticken die Politiker auch nicht viel anders als die Wähler, die ihnen das Mandat erteilt haben.Zugegeben, ein paar Unterschiede wären durchaus vorstellbar: Die Abgeordneten sind möglicherweise intelligenter, wenn sie sich in ihrer Partei durchsetzen und einen Listenplatz ergattern konnten. Vielleicht haben sie auch mehr Angst, dass Deutschland einen schlechten Ruf im Ausland bekommen könnte, wenn zu stark gegen Minderheiten vorgegangen wird. Und eventuell trauen sich die Politiker auch nicht, ihren Ressentiments freien Lauf zu lassen – aus Angst vor negativen Schlagzeilen und einem öffentlichen Ansehensverlust.Das mag alles eine Rolle spielen. Aber empirische Belege fehlen. Natürlich gibt es repräsentative Umfragen, dass Mehrheiten rassistische Gesetze befürworten. Nur: Wie bei einem Volksentscheid tatsächlich abgestimmt würde, weiß niemand. Vorher gäbe es schließlich eine breite öffentliche Diskussion. Und von Parlamentariern wurden auch schon genügend schlimme Gesetze beschlossen.Es gibt Fragen, die sind tabuJa, es gibt Fragen, bei denen ist es richtig zu sagen: Darüber darf weder der Bundestag noch das Volk abstimmen. Wenn beispielsweise zur Abstimmung stünde, ob Muslimen das Wahlrecht entzogen werden sollte. Ob man die Abstimmung von vornherein verbietet oder das Ergebnis anschließend für ungültig erklärt, macht dabei kaum einen Unterschied. Es gibt Fragen, die höhlen die Minderheitenrechte so sehr aus, dass man nicht mehr von einer Demokratie sprechen kann.Das Problem: Das ist eine komplizierte Abwägungsfrage, denn jeder Minderheitenschutz schränkt die Rechte der Mehrheit ein – und Demokratie ist nunmal die Herrschaft der Mehrheit.Es gibt keine klare Grenze, die zeigt, ab wann der Minderheitenschutz verletzt wird. Jede neue Verwaltungsvorschrift, die Ausländern einen Gang zur Behörde vorschreibt, schränkt deren Recht auf politische Betätigung ein – schließlich haben sie weniger Zeit dafür. Ab wann sind die Einschränkungen so groß, dass es in einer Demokratie nicht mehr akzeptiert werden kann?Erfahrungen statt ArgumenteDies ist letztlich die Frage, an der sich der politische Streit entzündet. Da geht es nicht mehr um klare Argumente, die sich be- oder widerlegen lassen, sondern um politische Werte und Erfahrungen. Sie erklären letztlich auch die unterschiedlichen Haltungen zu Volksentscheiden über Fragen, die offensichtlich die Minderheitenrechte betreffen.Gehöre ich selbst zu einer Minderheit? Oder fühle ich mich einer Mehrheit zugehörig, die aber ihre Rechte nicht durchsetzen kann, zum Beispiel der Arbeiterklasse?Beachte ich vor allem die Folgen einer Abstimmung und welche Auswirkungen das auf Minderheiten hat? Oder stelle ich das Wahlverfahren in den Vordergrund und auch das abstrakt-logische Prinzip, dass nur die Mehrheit entscheiden darf, weil sich sonst jede Minderheit beliebige Sonderrechte herausnehmen kann?Eine einfache Antwort gibt es nicht. Aber wenn sich alle Diskussionsteilnehmer bewusst sind, um welche Fragen es wirklich geht und um welche nicht, dann ist schonmal viel gewonnen.