Die Bundesregierung kuscht

Rüstung CDU, CSU und SPD boykottieren aussichtsreiche UN-Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot. Kann das den UN-Prozess stoppen?
Ausgabe 24/2017

Die Rollen sind klar verteilt. Donald Trump und Wladimir Putin überbieten sich mit nuklearen Aufrüstungsfantasien, Nordkorea zündelt immer wieder gerne – aber zumindest Deutschland setzt sich konsequent für eine Welt ohne Atomwaffen ein. In Wirklichkeit hat dieses Bild einen gravierenden Schönheitsfehler: Die Bundesregierung boykottiert die aktuellen Gespräche über ein Verbot dieser Massenvernichtungswaffen.

Bei den Vereinten Nationen in New York beginnt in dieser Woche die zweite und vermutlich letzte Verhandlungsrunde über ein internationales Verbot. Schon im Juli könnte das historische Abkommen stehen und eine Lücke im Völkerrecht schließen: Bio- und Chemiewaffen sind bereits verboten, jetzt geht es um die Ächtung von Atomwaffen. Deutschland allerdings fehlt bei den Verhandlungen.

Außenministerium und Politiker der Großen Koalition lassen sich viele Gründe einfallen, um das Fernbleiben zu rechtfertigen. Bei näherer Betrachtung lassen sich die Argumente oft widerlegen. Manche wirken wie an den Haaren herbeigezogen, etwa dass ein Verbotsabkommen von Schurkenstaaten bloß als Feigenblatt missbraucht würde, um aus dem bestehenden Atomwaffensperrvertrag auszusteigen. Richtig ist: Ein Land kann den Sperrvertrag problemlos verlassen, ohne Begründung. Wer sich die Bombe zulegen möchte, braucht dafür keinen Verbotsvertrag.

Dass über die völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen überhaupt diskutiert wird, ist ein Verdienst vieler Länder ohne diese Waffen. Sie müssen mit der ständigen Angst leben, durch einen Atomkrieg dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Trotzdem stagnieren die weltweiten Abrüstungsbemühungen seit Jahren. Die überwältigende Mehrheit der Länder will diese Situation nicht länger hinnehmen. Daher haben rund 130 Staaten im vergangenen Jahr offizielle Verhandlungen über ein Verbot beschlossen – gegen den Willen der mächtigen Atomwaffenstaaten.

Empörte Friedensforscher

Doch auf die abrüstungspolitische Revolution folgte der Boykott. Alle Atommächte sowie die meisten ihrer Verbündeten blieben der ersten Verhandlungsrunde im März fern. Fast alle NATO-Mitglieder gehören dazu, auch Deutschland. Dabei hatten Vertreter des Auswärtigen Amtes noch an den inoffiziellen Vorgesprächen sowie der vorbereitenden UN-Arbeitsgruppe teilgenommen und dort eigene Vorstellungen eingebracht. Dann aber entschied sich der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gegen die Teilnahme an den offiziellen Verhandlungen, kurz darauf übernahm Sigmar Gabriel dessen Amt und diese Position in der Sache.

Die Opposition im Bundestag ist empört, Linke und Grüne fordern eine konstruktive Beteiligung an den Verhandlungen, haben das Thema auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt. Ein Bündnis aus acht Friedens-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Oxfam und Medico International, hat zwei offene Briefe verfasst. Mehrere Friedensforscher raten der Bundesregierung dringend, an den Gesprächen teilzunehmen. Die Bevölkerung ist ohnehin dafür.

Steinmeier hat mit seiner Entscheidung die Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung des Ministeriums in Erklärungsnöte gebracht. Im Oktober vergangenen Jahres nämlich hatte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in der Bundespressekonferenz auf Nachfrage des Journalisten Tilo Jung erklärt: „Natürlich werden wir keine Gespräche boykottieren.“

Versprochen, gebrochen. Nun werden die Verhandlungsgegner sehr erfinderisch und basteln sich ihre Argumente zusammen. Angeblich sei ein Vertrag nutzlos ohne die Unterstützung der Atomwaffenstaaten. Allerdings wäre es wohl eher merkwürdig, wären die Atommächte die treibende Kraft hinter einem Verbotsvertrag. Als wäre es an Rauchern, ein allgemeines Rauchverbot zu beschließen.

Die Geschichte der Rüstungskontrolle zeigt außerdem, dass ein Verbot langfristig wirkt. Der völkerrechtliche Vertrag zum Verbot von Landminen kam gegen den Willen der besitzenden Staaten zustande, trat mit 40 Ratifizierungen in Kraft. Inzwischen haben sich 162 Staaten der Konvention angeschlossen. Ähnlich war es mit der Streumunition.

Und selbst wenn es bei den Nuklearwaffen anders läuft: Schon die Unterzeichnung ausschließlich durch Nicht-Atomwaffenstaaten hätte praktische Auswirkungen. Die Waffen dürften nicht mehr auf deren Boden gelagert werden, so steht es derzeit im Vertragsentwurf. Die US-Bomben in Büchel müssten aus der Bundesrepublik abgezogen werden, falls Deutschland den Vertrag unterschreibt. Sollte zusätzlich auch noch der Transit durch Gewässer und Luftraum der Vertragsstaaten untersagt werden, erschwert das für Atomwaffenstaaten sowohl die Flugübungen als auch die Transporte zu alliierten Gebieten. Abgesehen davon hat das Verbot eine symbolische Wirkung. Die Botschaft: Atomwaffen sind durch nichts zu rechtfertigen. Das erhöht den Druck, abzurüsten.

Das Auswärtige Amt befürchtet jedoch, dass ein völkerrechtliches Verbot den existierenden Atomwaffensperrvertrag schwächt. Aber warum sollten die beiden Abkommen in Konkurrenz zueinander stehen? Vielmehr können sie sich ergänzen – mit einer Ausnahme: Während der Sperrvertrag den Atommächten prinzipiell das Recht gibt, die Waffen zu besitzen, wird dies durch ein Verbot aberkannt.

Werden durch ein nur einseitig getragenes Verbot möglicherweise Gräben zwischen Staaten mit und ohne Atomwaffen aufgerissen, wodurch die gemeinsamen Abrüstungsverhandlungen unter dem Sperrvertrag leiden? Dies ist unwahrscheinlich, zumal seit Jahren ohnehin nur Fortschritte in Trippelschritten zu beobachten waren und jetzt wieder freimütig über Aufrüstung gesprochen wird. Vielmehr könnte der Druck durch ein Verbot endlich neuen Schwung in die Abrüstungsbemühungen bringen.

Ein weiteres Argument gegen den neuen Vertrag lautet: Es fehlt an Möglichkeiten zu überprüfen, dass das Verbot eingehalten wird. In der Tat werden in dem Abkommen voraussichtlich keine detaillierten Regeln zu finden sein. Allerdings soll das bestehende Sicherheitsabkommen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation zum Sperrvertrag nun auch für das Verbotsabkommen zur Grundlage der Kontrollen und Inspektionen werden.

Der versteckte Grund

So unbegründet die Vorbehalte der Bundesregierung, so verrückt sind sie als Grund für das Fernbleiben. Die beste Möglichkeit, etwas gegen die befürchteten Fehlentwicklungen zu tun, ist schließlich, an den Gesprächen teilzunehmen und die Bedenken vorzutragen.

Wahrscheinlich steckt etwas anderes hinter dem Boykott: die Angst vor schlechten Beziehungen zu den USA und anderen verbündeten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben noch unter Präsident Barack Obama ein internes Papier verfasst, in dem sie die anderen NATO-Mitglieder vor einem Verbot warnen. Die nukleare Abschreckung werde dadurch beeinträchtigt. Das zeigt auf jeden Fall, dass der geplante Vertrag sehr ernst genommen wird und wohl doch nicht so folgenlos bleiben wird, wie er oft dargestellt wird.

Mit Donald Trump als Präsident könnte man argumentieren, dass sich Deutschland stärker von den USA emanzipieren sollte und daher auch eine eigene Haltung zum Atomwaffenverbot einnehmen könnte. Allerdings überwiegt im Auswärtigen Amt offenbar der Wille, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht noch weiter zu belasten durch die Teilnahme an den UN-Verhandlungen. Vor der ersten Verhandlungsrunde hat sich die US-amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley vor den Konferenzsaal gestellt, um eine Presseerklärung gegen die darin stattfindenden Verhandlungen abzugeben.

Ein NATO-Mitglied wie Deutschland kann durchaus an den Verbotskonferenzen teilnehmen, ohne sich innerhalb des Bündnisses zu isolieren: Die Niederlande sind nach einem entsprechenden Parlamentsbeschluss in New York dabei.

In Europa gibt es mit dem Nicht-NATO-Staat Österreich sogar ein Land, das zu den treibenden Kräften hinter dem Verbotsprozess gehört. Das Europäische Parlament hat im vergangenen Jahr eine Resolution beschlossen und die Mitgliedsstaaten zur Teilnahme an den Verhandlungen aufgefordert. Dafür gestimmt haben auch deutsche Abgeordnete von Union und SPD.

Die Politiker der Großen Koalition in Berlin haben die Chancen aber nicht erkannt. Dabei könnten sie im Wahlkampf punkten. Einer repräsentativen Umfrage von YouGov zufolge wollen drei von vier Deutschen, dass sich die Bundesregierung an den Verhandlungen beteiligt. Die Zustimmung ist sogar noch höher bei den Wählern aller im Bundestag vertretenen Parteien, inklusive CDU, CSU und SPD. Etwas weniger Unterstützung gibt es hingegen unter denen, die ihr Kreuz zuletzt bei der AfD gemacht haben oder kaum bis gar nicht politisch interessiert sind. Orientiert sich die Bundesregierung jetzt an diesen Leuten?

Sollte der Vertrag im Juli stehen, könnte die Opposition die Unterzeichnung des Vertrags zum Wahlkampfthema machen. Wenn sich die SPD der Forderung anschließt, würde sie sich von der Union absetzen – sozialdemokratische Fachpolitiker hatten die Teilnahme an den Verhandlungen gefordert. Eine schwarz-rote Koalition würde den Vertrag allerdings wegen des dann nötigen Abzugs der US-Atomwaffen wohl kaum unterschreiben. Dafür braucht es eine neue Regierung.

Was in Deutschland auch passiert, der UN-Prozess lässt sich nicht aufhalten. Der Vertrag muss nicht im Konsens beschlossen werden. Laut Entwurf genügen 40 Staaten, die das Abkommen ratifizieren. Dann wird eine lange Zeit belächelte Idee Realität – und die zerstörerischsten Waffen der Welt sind endlich verboten.

Felix Werdermann engagiert sich ehrenamtlich für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN)

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