Die Chance der Handy-Affäre

Überwachung Angela Merkel wurde möglicherweise von der NSA abgehört. Jetzt nimmt sie das Problem vielleicht endlich ernst. Zu große Hoffnungen sollte man sich aber nicht machen

Im Sommerinterview witzelte Angela Merkel noch. Sie selbst sei nicht vom US-Geheimdienst NSA abgehört worden, erklärte die Kanzlerin lachend in der ARD. "Mir ist nichts bekannt, sonst hätte ich das schon dem Parlamentarischen Kontrollgremium gemeldet." Nun wurde Merkel eines besseren belehrt. Und das ist gut, denn nur so besteht überhaupt eine Chance, dass sie die massenhafte Überwachung von unschuldigen Bürgern künftig ernst nimmt.

Der Spiegel hat den neuen Skandal ins Rollen gebracht. Merkels Handy wurde möglicherweise von der NSA abgehört, hat das Magazin herausgefunden. Das halten auch die zuständigen Bundesbehörden für plausibel, die USA wollen sich dazu nicht äußern. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte zwar, dass Merkel derzeit und in Zukunft nicht ausspioniert werde, zur Praxis in der Vergangenheit schwieg er jedoch – auch auf Nachfrage verschiedener Medien.

So einfach ist es nicht

Droht nun eine diplomatische Krise? Merkel hat mit Obama telefoniert, Außenminister Guido Westerwelle bestellt den US-Botschafter ein. Der Ton wird schärfer, aber eigentlich ist es ein Trauerspiel. Selbst die konservative Welt hat nun erkannt, wie die Bundesregierung tickt: „Es musste offenbar erst so weit kommen, dass das Handy der Kanzlerin zum Angriffsziel wird. Nun kommt der Protest, der beim Vorgehen gegen die Bevölkerung noch ausgeblieben war.“

Schon gibt es die ersten bissigen Kommentare im Netz: „Wenn 82 Millionen Menschen in Deutschland überwacht werden, ist das kein Problem; wenn Merkel überwacht wird eine Staatskrise? Komische Ideen für einen Staat, in dem doch alle vor Gesetz gleich sind!“

Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Es hat eine andere Dimension, wenn der US-Geheimdienst sogar die beste Verschlüsselungstechnik deutscher Sicherheitsbehörden knacken kann (wie das genau funktioniert, werden wir sicherlich in den kommenden Tagen in den Zeitungen lesen können). Zudem wird Merkel auch über Staatsgeheimnisse reden und simsen, die tatsächlich einen größeren Schutz verlangen als manch belangloses Gespräch zwischen normalen Bürgern.

Andere Staaten empören sich

Trotzdem ist natürlich der Eingriff in Grundrechte generell inakzeptabel – sowohl bei Merkel als auch bei allen anderen. Und aus dieser Sicht ist der neue Skandal vorteilhaft. Als im Juli bekannt wurde, dass auch verschiedene diplomatische Vertretungen und Botschaften europäischer Länder und der EU abgehört wurden, hat das einige Politiker aufgescheucht. Mit der Handy-Affäre könnte Merkel das Thema nun zur Chefsache erklären, einfach aus einer persönlichen Betroffenheit heraus.

Bisher wurde das Thema von der Bundesregierung heruntergespielt, das zeigt sich am besten in einem schönen Vergleich mit anderen überwachten Staaten, den Sascha Lobo angestellt hat: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat nach Bekanntwerden der US-Überwachung einen Besuch bei Obama abgesagt, Frankreichs Präsident Francois Hollande beschwerte sich persönlich beim US-Präsident. Merkel aber wiegelt ab, Kanzleramtschef Ronald Pofalla erklärt die Affäre für beendet. Man hätte ja auch mal nachfragen können, inwieweit die Bundesregierung abgehört wird. Hat aber offenbar niemand gemacht.

Vielleicht ändert sich nun durch die mutmaßliche Merkel-Überwachung etwas an dieser Haltung der Gleichgültigkeit. All zu große Hoffnungen sollte sich aber niemand machen, schließlich hat die Kanzlerin wohl in ihrem Telefonat mit Obama eine intensivere Zusammenarbeit der Geheimdienste vereinbart. Bürgerrechte, war da was?

Möglicherweise geht es Merkel nur darum, im nächsten Sommerinterview wieder Witze reißen zu können. In Wirklichkeit war ihre Aussage über die eigene (Nicht-)Überwachung ein geschickter Schachzug, um von ihrer Rolle in der NSA-Affäre abzulenken. Merkel erschien nicht mehr als verantwortliche Politikerin, sondern als Opfer der NSA. Auch die neue Handy-Affäre könnte ihr bei den Umfragewerten durchaus nützen.

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