Stolz twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert am vorigen Freitag den Wahlerfolg: „Engagement für Frieden und Sicherheit weltweit: #Deutschland wird 2019 und 2020 Mitglied im @UN-Sicherheitsrat.“ Die Bundesregierung hat jetzt zwei Jahre lang einen Sitz im wohl wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen. Ob in der deutschen Politik aber das „Engagement für Frieden und Sicherheit weltweit“ stets an erster Stelle steht, darf getrost bezweifelt werden.
In einer Welt, in der die Spannungen zwischen Staaten zunehmen, in der mit Milliardensummen nuklear aufgerüstet wird, in der Regierungschefs offen mit einem Atomkrieg drohen: Was könnte mehr zu Frieden und Sicherheit beitragen als ein glaubwürdiger Einsatz für die Abschaffung von Atomwaffen, den zerstörerischsten aller Massenvernichtungswaffen? Die Politiker der Großen Koalition schwingen zwar Sonntagsreden für eine atomwaffenfreie Welt, in Wirklichkeit stützt die Regierung aber die brandgefährliche Politik von US-Präsident Donald Trump und stellt sich gegen den Willen der Staatenmehrheit.
In der Öffentlichkeit, beispielsweise beim Thema Iran-Abkommen, wird Deutschland gerne als diplomatisch und besonnen wahrgenommen, stets auf Frieden und Abrüstung bedacht. In der Tat ist der Einsatz für den Fortbestand des Atomdeals sehr zu schätzen. Was allerdings nicht stimmt: dass Deutschland zu den Vorreitern für eine Welt ohne Nuklearwaffen gehören würde. Im vergangenen Sommer haben 122 Staaten bei den Vereinten Nationen einen Vertrag zum Verbot von Kernwaffen beschlossen – Deutschland hat auf Druck der USA schon die offiziellen Verhandlungen boykottiert. Gleichzeitig duldet die Bundesregierung die rund 20 US-Bomben im rheinland-pfälzischen Büchel, die so geheim sind, dass deren Existenz offiziell weder bestätigt noch dementiert wird. Die in Deutschland gelagerten Sprengköpfe sollen sogar durch modernere, besser einsetzbare Bomben ersetzt werden. Kurz: Wir befinden uns mitten in der weltweiten Aufrüstungsspirale. Und die Bundesregierung tut so, als wüsste sie von nichts.
Ein Beispiel für die Schönfärberei ist der Koalitionsvertrag. Darin liest man schöne, aber wirkungslose Sätze wie: „Ziel unserer Politik ist eine nuklearwaffenfreie Welt.“ Ja nun, es kommt darauf an, was dafür konkret getan wird. In der Vereinbarung zwischen Union und SPD findet sich kein einziges Wort zum UN-Atomwaffenverbot. Der große internationale Fortschritt des vorigen Jahres wird also komplett ignoriert.
Politikus Sankt Nimmerlein
Am besten ist aber die Formulierung zur Stationierung der Bomben in Büchel: „Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“ Man malt das schönste Bild und verdeckt damit, dass derzeit auf- statt abgerüstet und der Abzug der Bomben so auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Im Wahlkampf hatte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz noch versprochen, sich dafür stark zu machen, dass diese gefährlichen Relikte des Kalten Kriegs endlich verschwinden.
Die Linksfraktion hat inzwischen nach der Haltung der Regierung zum Atomwaffenverbot gefragt. Antwort: Der UN-Vertrag sei „nicht geeignet“, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. „Keiner der Nuklearwaffenstaaten, auf deren Mitwirkung es bei einer an echtem Fortschritt orientierten nuklearen Abrüstung in erster Linie ankommt, hat sich an den Verhandlungen beteiligt.“ Das Fernbleiben stimmt, auch die NATO-Staaten haben sich dem Anliegen komplett verschlossen. Aber müssen wir immer auf die Atommächte warten, die seit Jahrzehnten an ihren Arsenalen festhalten und kein ernsthaftes Interesse an Abrüstung erkennen lassen? Wie sollen diese Staaten jemals dazu gebracht werden, ihre Atomwaffen aufzugeben, wenn die übrigen Länder sich nicht mal trauen, diese Massenvernichtungswaffen international zu verbieten und zu ächten?
Die Bundesregierung führt noch ein zweites Argument an: Das Verbot drohe angeblich, dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) „nachhaltigen Schaden zuzufügen“. Das ist Unsinn, vielmehr ergänzen sich die beiden Abkommen. Der einzige Unterschied: Während den Atommächten im NVV noch das Recht auf Kernwaffen zugesprochen wurde, solange sie ernsthaft über Abrüstung verhandeln, erklärt der Verbotsvertrag den Besitz dieser Waffen für generell inakzeptabel. Wahr ist vielmehr: Die Bundesregierung selbst droht dem NVV nachhaltigen Schaden zuzufügen. Mit dem Boykott des Verbotsvertrag setzt sie auf ein Weiter-so. Wenn aber nicht bald abgerüstet wird, verlieren womöglich einige Staaten ihren Glauben an den Sinn des NVV. Das war schließlich der Deal: Die Mehrheit der Staaten verzichtet auf Nuklearwaffen, dafür rüsten die Atommächte ab.
Unsere Nachbarländer sind schon weiter, Österreich hat das Atomwaffenverbot maßgeblich vorangetrieben, inzwischen hat es den Vertrag ratifiziert. In der Schweiz hat der Nationalrat vor wenigen Tagen den sofortigen Beitritt zum Verbot gefordert. Glaubt die deutsche Regierung wirklich, 122 Staaten hätten keine Ahnung von effektiver Abrüstungspolitik, man sollte lieber auf Donald Trump, Wladmir Putin und Kim Jong-Un hören und das Atomwaffenverbot boykottieren?
Es gibt aber auch gute Nachrichten aus der Bundesrepublik: Die Deutsche Bank will aus dem Atomwaffengeschäft aussteigen. Bislang hat sie Firmen, die direkt an der Herstellung oder Instandhaltung beteiligt sind, mit Milliardenbeträgen finanziert. Eine neue Richtlinie schließt nun die Unterstützung solcher Unternehmen aus. Zwar kann es Ausnahmen geben, daher bleibt abzuwarten, wie die Richtlinie umgesetzt wird. Trotzdem: Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Maas twittert munter weiter
Entscheidend ist, dass bei der Deutschen Bank jetzt nicht nur die Finanzierung eines einzelnen Atomwaffenprojekts untersagt ist, sondern jegliche Unterstützung eines Unternehmens. Nur so geraten die Waffenhersteller in Geldprobleme und steigen womöglich aus dem atomaren Geschäft aus. Friedensaktivisten auf der ganzen Welt feiern den Schritt – auch, weil sie nun andere Finanzinstitute besser unter Druck setzen können. Letztlich muss aber die Politik den Atomwaffen ein Ende setzen – erst verbieten, dann abschaffen. In Deutschland sind etwa zwei Drittel der Bürger für den Beitritt zum Atomwaffenverbot. Jetzt liegt es an SPD-Außenminister Heiko Maas. Ob er sich an einen Tweet erinnert, den er im Herbst noch als Justizminister geschrieben hat? „Atomwaffen schaffen nicht mehr Sicherheit. Sie machen die Welt instabiler und bedrohlicher.“ Anlass war der Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), zu dem Maas gratulierte. Und wofür gab es den Nobelpreis? Für die Arbeit an dem Atomwaffenverbot, das der Außenminister heute boykottiert.
Nun hat Maas wieder getwittert. Die Wahl in den UN-Sicherheitsrat sei „eine große Aufgabe und Verantwortung, der wir uns stellen“. Wenn er in der Atomwaffenpolitik künftig der Staatenmehrheit vertraut, statt den Atommächten hinterherzulaufen, wäre viel gewonnen.
Kommentare 2
hat sich denn nichts geändert?
doch:
felix w. spricht als vorstands-mitglied, nicht als redaktions-mitglied.
doch die sicht-weise bleibt.
würde man, zur bereinigung der lage,
ein streit-wütiges paar bitten, zuvorderst die ketten-säge heraus-zu-geben?
Zwei Bemerkungen:
Ihren Text betrachte ich eher als prägnantes Beispiel für die Verlogenheit von Politikern schlechthin, dem Michel die Welt zu erklären, denn der rücksichtslose Regelverstoß/-bruch bestimmt den politischen Alltag, auch den von Angela Merkel.
Und es ist meiner Meinung nach der Regelverstoß, auch und vor allen Dingen der völkerrechtswidrige Regelbruch, der die Welt bedroht.
Beispiel 1). Kosovo: Vom 24. März bis zum 10. Juni 1999 führte die NATO völkerrechtswidrig unter Einsatz von über 1.000 Kampfflugzeugen eine der massivsten Luftkriegsoperationen der Militärgeschichte durch.
Der SPD-Mann und Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie der grüne Joschka Fischer organisierten den deutschen Tabubruch und wurden so zu Wegbereitern zukünftiger völkerrechtswidriger Angriffskriege unterschiedlicher „Coalitions Of The Willings“ der westlichen Wertegemeinschaft!
Beispiel 2). Irak: Die US-Amerikaner organisierten nach einem inszenierten Lügenauftritt mit Colin Luther Powell im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 unter Beteiligung von nahezu 50 westlichen Staaten völlig gegen Völkerrecht eine „Coalition Of The Willing“ und fielen in den Irak ein. Der UN-Sicherheitsrat hatte seine Einwilligung für einen solchen Überfall gerade zuvor abgelehnt. Zahlreiche Staaten dieser Koalition wollen heute an ihre Schandtat nicht mehr erinnert werden. Mit dabei auch folgende EU-Staaten: Bulgarien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.
»Im vergangenen Sommer haben 122 Staaten bei den Vereinten Nationen einen Vertrag zum Verbot von Kernwaffen beschlossen – Deutschland hat auf Druck der USA schon die offiziellen Verhandlungen boykottiert. Gleichzeitig duldet die Bundesregierung die rund 20 US-Bomben im rheinland-pfälzischen Büchel, die so geheim sind, dass deren Existenz offiziell weder bestätigt noch dementiert wird.«
Fein, dass Sie mit dem Fringer drauf zeigen. Aber Hand aufs Herz – was ist ein „Vertrag zum Verbot von Kernwaffen“ angesichts der Beliebigkeit-Mentalität von Politikern denn Wert? Sie wissen schon: „Was stört mich mein Geschwätz von gestern.“
Also, die Forderung muss realistischerweise heißen, was hilft gegen den skrupellosen Regelverstoß.
Und es wird noch komplizierter! Haben Sie schon mal etwas vom Konzept der nuklearen Teilhabe gehört? Man braucht also keine eigenen Atomwaffen zu besitzen, um doch welche zu haben. Schauen Sie mal, die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen weltweit über ca. 1.000 Militärstützpunkte – sie haben längst Fakten geschaffen und es gibt sogar eine Fangemeinde, die die beiden US-amerikanischen Atombombenabwürfe über Japan für gerechtfertigt hält.
Politiker lassen sich von allem leiten, nur nicht von Grundsätzen. Und daher hat die Bundesregierung recht: „Der UN-Vertrag sei „nicht geeignet“, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen.“