Die Drei-Prozent-Hürde bei ARD und ZDF

Europawahl Die kleinen Parteien können ins Brüsseler Parlament einziehen, trotzdem sind sie als "Sonstige" in den Wahlumfragen unsichtbar. Müssen die Sender ihre Praxis ändern?
Ausgabe 21/2014
Alles so schön bunt hier!
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Foto: Tony Crider

Der Hohn war groß, als die FDP vor zweieinhalb Jahren so tief in den Umfragekeller gerutscht war, dass sie zu den „sonstigen“ Parteien gezählt wurde. Wer weniger als drei Prozent bekommt, wird von den Meinungsforschungsinstituten nicht einzeln ausgewiesen. Das ist nun ein Problem: Bei der Europawahl können erstmals auch Parteien mit weniger als einem Prozent den Einzug ins Parlament schaffen. In den Umfragen aber, in Fernsehen und Zeitungen, sind sie unsichtbar. Drei Viertel der Bevölkerung nehmen die Berichterstattung über die Umfragen wahr. Werden die kleinen Parteien also benachteiligt?

Die Piraten jedenfalls beschweren sich: „Die Meinungsforschungsinstitute befragen leider so wenig Leute, dass sie keine gesicherten Aussagen über Umfragewerte unter drei Prozent abgeben können“, sagt deren Spitzenkandi-datin Julia Reda. „Es wird höchste Zeit, dass sie darauf reagieren, dass die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen Geschichte ist.“

Doch dazu sind die Institute nicht bereit. „Eine Umfrage, bei der auch alle Parteien ausgewiesen werden, die eine Chance haben, ins Europaparlament zu kommen, würde sowie niemand bezahlen“, sagt Matthias Jung, Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen, die regelmäßig für das ZDF arbeitet.

Wie teuer eine entsprechend große Umfrage würde, lässt sich erahnen, wenn man sieht, dass selbst der Aufwand für die 18-Uhr-Prognose nicht ausreicht. Am Wahltag befragt die Forschungsgruppe Wahlen etwa 40 Mal so viele Bürger wie sonst. Trotzdem werden die 0,6-Prozent-Parteien, die es schaffen können, nicht ausgewiesen, weil die Werte immer noch zu unsicher sind. Imerhin: Die 1,5-Prozent-Parteien werden gezeigt.

Unsichere Zahlen veröffentlichen?

ARD und ZDF haben als öffentlich-rechtliche Sender eine besondere Verantwortung, alle Parteien gleich zu behandeln. Sie und ihre Befragungsinstitute müssen daher die jetzige Praxis ändern. Sie könnten zum Beispiel die kleinen Parteien nennen und das Fernsehpublikum darauf hinweisen, dass die erhobenen Daten mit großer Unsicherheit behaftet sind. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sagt zwar: „Zahlen, die nicht signifikant sind, bringt man am besten gar nicht erst in Umlauf.“ Wenn jedoch dem Fernsehpublikum klar ist, wie unsicher die Ergebnisse sind, wäre das womöglich akzeptabel. Die Kleinstparteien wären dann immerhin sichtbar.

Die Institute könnten all ihre Daten auch im Internet veröffentlichen, dann gäbe es die volle Transparenz. Strategische Wähler können sich dort informieren und überlegen, ob eine bestimmte Partei überhaupt eine Chance hat. Dies ist jedoch hoch spekulativ, auch angesichts der wenigen Befragten. Den kleinen Parteien hilft die Internet-Transparenz auch wenig. Ihnen dürfte es eher darum gehen, dass sie im Fernsehen gezeigt werden.

Die Sender könnten auch weniger und dafür präzisere Umfragen in Auftrag geben. Die Parteienwerte schwanken aber von Woche zu Woche, insofern stellt sich die Frage, ob die Umfragen dann wirklich besser sind. Die kleinen Parteien dürften jedoch profitieren: Sie werden dann möglicherweise ausgewiesen, zudem schwanken ihre Werte vermutlich nicht so stark.

Die Kleinen zumindest erwähnen!

Realistischer sind wohl zwei andere Vorschläge: Erstens könnte die Kategorie „Sonstige“ umbenannt werden in eine Aufzählung der laut Umfrage größten Kleinparteien: „Freie Wähler, Piraten und weitere“. Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap, entgegnet zwar, es sei ein „Politikum“, welche Parteien dann genannt werden. Es ist jedoch auch ein Politikum, wenn die Kleinparteien ignoriert werden.

Wenn man sich für eine solche Aufzählung entscheidet, spielen die bei der Umfrage erhobenen und mit großer Unsicherheit belasteten Daten zwar eine Rolle. Das lässt sich aber rechtfertigen. Schließlich behauptet niemand, dass die genannten Parteien bei der Wahl einen bestimmten Prozentsatz an Stimmen erhalten oder dass sie besser abschneiden als andere Parteien. Angesichts der schlechten Datenlage wäre es ein wenig Zufall, welche Parteien namentlich genannt werden. Das ist aber besser als die Benachteiligung aller kleinen Parteien.

Und zweitens könnten ARD und ZDF in jeder Sendung über Umfragen erwähnen, dass bei der Europawahl auch Parteien erfolgreich sein können, die unter „Sonstige“ geführt werden. Das wäre das Mindeste, was getan werden muss, um allen Parteien ähnliche Chancen einzuräumen.

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