Die E-Mail, das unverstandene Wesen

Kommunikation Auch 30 Jahre nach der ersten elektronischen Nachricht haben die Leute noch nicht gelernt, wie sie richtig damit umgehen. Immer wieder kommt es zu heftigen Unfällen
Wissen wenigstens die Bundeskanzlerin und der ehemalige Telekom-Chef, wie man richtig E-Mails schreibt?
Wissen wenigstens die Bundeskanzlerin und der ehemalige Telekom-Chef, wie man richtig E-Mails schreibt?

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Es war eine kühne Prognose, die in der Computer-Zeitschrift 64'er zu lesen war: „Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Computer bald auch die Übermittlung von Briefen und Mitteilungen einschneidend verändern werden.“ Wenige Wochen später – heute ziemlich genau vor 30 Jahren – wurde die erste E-Mail verschickt, inzwischen ist die elektronische Kommunikation aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.

Trotzdem verhalten sich die meisten Menschen im Umgang mit E-Mails wie kleine Kinder, die ein neues Spielzeug entdeckt haben. Das führt regelmäßig zu Katastrophen, wovon es nur die größten in die Berichterstattung der Medien schaffen.

Chaos im Bundestag

Im Jahr 2012 beispielsweise schaffte es die Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten, die gesamte E-Mail-Kommunikation des Bundestags lahmzulegen. Indem sie eine Mail „an alle“ schrieb – also an mehr als 4.000 Rechner – und dann alle auch wieder „allen“ antworteten. Und niemand konnte sich dagegen wehren.

Dass Journalisten auch nicht klüger sind und einfach mal ihren Mund, nein, ihre Finger halten können, zeigte sich zwei Jahre später. Ein kleiner Buchverlag aus Österreich hatte versehentlich eine Mail geschickt und den gesamten Verteiler aus rund 2.000 Adressen offengelegt. Es folgten dutzende, teilweise recht amüsante Nachrichten. Einige kann man inzwischen nachlesen. Auf jeden Fall hat es lange gedauert, bis wieder Ruhe war.

Bequem und störungsanfällig

Zur modernen E-Mail-Kompetenz gehört aber mehr. Mögen die zwei genannten Beispiele noch witzig gewesen sein, sind die alltäglichen Pannen häufig ein schlimmes Übel. Wie viele Freundschaften wohl schon an der elektronischen Kommunikation zerbrochen sind?

Ja, es stimmt: Die E-Mail kann Vorteile haben. Ich erreiche mehrere Leute auf einmal, das Geschriebene wirkt verbindlicher und vielleicht fühle ich mich – verschanzt hinter meinem PC – auch sicherer, um unangenehme oder auch einfach nur sehr persönliche Dinge zu erzählen. Niemand, mit dessen Reaktion ich direkt im Anschluss konfrontiert bin.

Aber: In der Regel wird die E-Mail nur aus Bequemlichkeit gewählt. Anrufen geht meist schneller, Rückfragen lassen sich direkt klären, und vor allem: Die Kommunikation ist weniger störungsanfällig. Wenn ich meine Gedanken in meiner Mail zum Ausdruck bringe, wer garantiert mir, dass die Botschaft auch richtig verstanden wird? Am schlimmsten sind die riesigen, teilweise schon anonymen E-Mail-Verteiler. Ich habe gefühlte hunderte Male erlebt, wie sich Leute virtuell an die Gurgel gesprungen sind, die im übrigen Leben keiner Fliege etwas zur Leide tun würden.

Es stimmt eben doch: Der Ton macht die Musik. Und ohne die Stimme des Gesprächspartners mutiert eine konstruktive Anmerkung schnell zu einer vernichtenden Kritik. Zumindest in der eigenen Vorstellung. Die Reaktion fällt entsprechend aus. Es ist doch ganz leicht zu verstehen: Die puren Buchstaben liefern weniger Informationen als das gesprochene Wort und noch weniger als ein Redner, dessen Gestik und Mimik ich vefolgen kann. Die E-Mail ist Schmalspur-Kommunikation.

Die Gesellschaft ist lernfähig

Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer: Der Boom der Wikis und der Internetforen ist glücklicherweise vorbei. Hier können E-Mails wirklich eine gute Alternative sein. Wenn viele Leute gleichzeitig informiert werden sollen. Und wenn nicht jeder täglich in 23 Foren und auf 56 Wikis vorbeischauen soll.

Die Gesellschaft ist also durchaus lernfähig. Wenn ich sich Leute abends in der Kneipe treffen und alle nur auf ihren Smartphones herumtippen, denke ich: Irgendwann wird das auch noch besser klappen!

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