„Die Empörung ist geheuchelt“

Im Gespräch Der Piraten-Chef Bernd Schlömer redet über die veränderte Wahrnehmung des Internets, die Möglichkeiten der E-Mail-Verschlüsselung und den Sinn von Geheimdiensten
Ausgabe 28/2013
„Die Empörung ist geheuchelt“

Foto: Daniel Seiffert für der Freitag

Eigentlich müssten sich die Piraten freuen. Der Skandal um die Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA könnte ihnen im Wahlkampf-Endspurt die nötigen Stimmen bringen. Die Partei steht schließlich für Internetkompetenz, Datenschutz und Bürgerrechte. Aber in den letzten Meinungsumfragen kommen sie auf gerade mal zwei bis drei Prozent. Der Parteivorsitzende Bernd Schlömer glaubt trotzdem an den Einzug in den Bundestag.

der Freitag: Ganz Deutschland redet über Internetüberwachung, nur von den Piraten ist nichts zu hören. Herr Schlömer, als der NSA-Skandal bekannt wurde, haben Sie gesagt, dass Sie sprachlos seien. Man hat den Eindruck, dass dies bis heute so geblieben ist.

Bernd Schlömer: Nein, der Eindruck täuscht. Unsere Außendarstellung läuft im Bundestagswahlkampf primär über die Spitzenkandidaten. Die kommen in der Berichterstattung auch nahezu täglich zu Wort.

Ist es nicht die Aufgabe des Parteivorsitzenden, sich zu diesem Thema zu äußern?

Ich gebe auch Interviews, gebe Zitate. In einigen Medien werden wir aber nicht hinreichend berücksichtigt, wohl weil wir derzeit unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen.

Sie glauben trotzdem an den Wahlerfolg der Piraten. Wie wollen Sie den anderen Parteien bis zum 22. September noch die nötigen Prozente abknöpfen?

Wir haben kein Geheimkonzept. Wir wollen infrage stellen. Ich nenne es Agendasurfing. Wenn Missstände öffentlich werden, wollen wir die Politik der anderen Parteien bloßstellen.

Beim Thema Überwachung gelingt das nur mittelmäßig. In der Öffentlichkeit bleibt vor allem hängen, dass sich nun Politiker aller Parteien über das Ausmaß der NSA-Aktivitäten empören.

Aber das ist geheuchelt. Sie fürchten, dass sich jetzt viele Wähler eine starke Bürgerrechtspartei wünschen, und betreiben deshalb Symbolpolitik. Die Union will zwar den Begriff der Vorratsdatenspeicherung tilgen, aber im Prinzip weitermachen wie bisher. Auch die SPD spricht sich in ihrem Programm für die Vorratsdatenspeicherung aus. Und den Grünen muss man vorhalten, dass sie über die Regierungsbeteiligung in einigen Bundesländern auch dem Gesetz zur Bestandsdatenauskunft zugestimmt haben. In den vergangenen zehn Jahren haben sich alle Parteien nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

In den Umfragen schlägt sich das aber nicht nieder – zumindest nicht zugunsten der Piraten. Vielleicht ist das Problem grundsätzlicher: Das Internet stand lange Zeit für die Freiheit, nun steht es stärker für Überwachung. Schadet das nicht auch den Piraten, die immer noch als Internetpartei wahrgenommen werden?

Das Internet steht nicht für Überwachung, sondern für das Recht auf freien Austausch von Informationen. Und zwar ohne dass man dabei überwacht wird.

Das ist vielleicht Ihre Wunschvorstellung. In Wirklichkeit wird aber erschreckend viel überwacht.

Dass das Internet nun anders wahrgenommen wird, ist sicherlich negativ. Wenn die Menschen anders kommunizieren, sich vorsichtiger ausdrücken, weil sie davon ausgehen, dass alles mitgelesen wird, dann ist ein schwerer Schaden eingetreten.

Haben Sie Ihre persönliche Kommunikation seit den NSA-Enthüllungen geändert?

Nein, wir dürfen auch nicht paranoid werden. Meine datenschutzrelevanten E-Mails habe ich schon vorher mit der kostenlosen Software PGP verschlüsselt.

Wenn sich jeder selbst schützen kann, brauchen wir dann überhaupt noch eine Politik, die Überwachung verhindert?

Die Verschlüsselungstechnik ist zu kompliziert und dem normalen Bürger nicht zu vermitteln, die einfach nur SMS schreiben, telefonieren oder mailen. Politische Probleme wie die Überwachung lassen sich nicht rein technisch lösen.

Interessieren sich die normalen Bürger überhaupt für die Internetüberwachung?

Die Menschen sind erschrocken. Es kann nicht sein, dass bei der Post jemand alle Briefe öffnet, liest und wieder zumacht. Das möchte niemand. Deswegen hoffen die Bürger, dass ihr Privates jetzt stärker geschützt wird.

Die meisten geben ihre Daten doch freiwillig preis, etwa bei Facebook. Ihr eigenes Verhalten ändern die gar nicht.

Weil der Staat keine Angebote für Verbraucher und User macht. Eine Idee ist eine Datenschutzampel für das Internet. So wäre für jeden ersichtlich, bei welcher Website meine Daten sicher sind und bei welcher möglicherweise nicht. Außerdem sollten Internetunternehmen zu einfach lesbaren Datenschutzerklärungen verpflichtet werden. Es muss zusammenhängende Texte geben. Bei Facebook können Sie sich momentan nur durchklicken und jede einzelne Frage – etwa, ob Sie Bilder freigeben wollen – mit Ja oder Nein beantworten. Die Datenschutzbestimmungen sind nicht zu überblicken, das muss sich ändern. Zudem sollten Unternehmen zu Strafen verdonnert werden, wenn sie sich nicht an den Datenschutz halten.

Aber das ist doch schon heute der Fall.

Ich stelle mir vor, dass Bürger beispielsweise ein Unternehmen verklagen können und dann einen Anspruch auf Entschädigung haben, wenn tatsächlich gegen den Datenschutz verstoßen wurde. Auch muss für jeden Bürger überprüfbar sein, ob Daten zu Unrecht weitergegeben wurden. Der Fall Snowden zeigt, wie aktuell diese Frage ist. Mehrere Unternehmen wie Facebook und Google haben schließlich zugelassen, dass der Geheimdienst mitliest.

Apropos Snowden: Bekommt er Asyl in Deutschland, wenn die Piraten an die Regierung kommen?

Unter Beachtung der dann neu eingeführten Regelungen zum Schutz von Whistleblowern ist ein Aufenthaltsrecht einzuräumen.

Auch in Deutschland werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Menschen Geheimnisse ausplaudern, um auf Missstände öffentlich aufmerksam zu machen. Wie wollen Sie diese Menschen schützen?

Zum Beispiel dürfen diesen Menschen keine arbeits- oder personalrechtlichen Konsequenzen drohen. Heute können Mitarbeiter entlassen werden, wenn sie ihrem Unternehmen angeblich einen Schaden zugefügt haben.

Wenn es aber keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen gibt, dann können die Mitarbeiter doch auf Geschäftsgeheimnisse und den Datenschutz pfeifen, oder?

Das wäre im Prinzip möglich. Aber die allermeisten Menschen sind interessiert an einem angenehmen Arbeitsumfeld. Sie wollen doch nicht ohne Grund ihren Arbeitgeber schlechtreden.

Das ist ein typisches Beispiel für den Gegensatz von Transparenz und Datenschutz. Was ist den Piraten eigentlich wichtiger?

Das kann man so nicht sagen. Wir sind für einen transparenten, einen gläsernen Staat. Und wir sind für Datenschutz auf der Seite des einzelnen Bürgers. Das ist kein Gegensatz, das sind zwei unterschiedliche Betrachtungen.

Wie soll es denn den gläsernen Staat geben, wenn es Geheimdienste gibt? Die arbeiten per Definition im Verborgenen.

Wir brauchen eine stärkere Kontrolle der Nachrichtendienste. Die Bundestagsabgeordneten alleine sind damit anscheinend überfordert. Deswegen sollte es daneben noch einen parlamentarisch gewählten Nachrichtendienst-Beauftragten geben, der unter anderem Akteneinsichtsrecht hat und Bedienstete befragen kann und damit die Arbeit der Parlamentarier ergänzt.

Die Abschaffung der Geheimdienste ist für die Piraten keine Option?

Ich persönlich halte eine Institution, die die Verfassung schützen soll, für wichtig und hilfreich. Wenn man die Nachrichtendienste auflöst, wird sicherlich der polizeiliche Staatsschutz bestimmte Aufgaben übernehmen. Eine scharfe Abgrenzung zwischen Aufgaben von Polizei und Diensten muss jedoch bleiben. Ansonsten bekommen wir eine Verquickung, die wir aus historischer Kenntnis dieses Landes nicht haben wollen. Ich bin dafür, in einem öffentlichen Verfahren die Aufgaben und Ziele der Dienste verbindlich festzulegen. Das erleichtert die Kontrolle.

Das Gespräch führte Felix Werdermann.

Bernd Schlömer, 42, ist seit April vergangenen Jahres der Bundesvorsitzende der Piratenpartei. Im Mai 2009 war er in die Partei eingetreten, wurde im selben Jahr noch Bundesschatzmeister. Danach war er stellvertretender Parteivorsitzender. Er arbeitet im Bundesverteidigungsministerium

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