Die Entzauberung der Grünen

Im Gespräch Ein Volksentscheid über Stuttgart 21 ist für die Grünen riskant, sagt Parteienforscher Jürgen W. Falter. Wird Rot-Grün am Streit um den Tiefbahnhof scheitern?

Jürgen W. Falter:

Die Grünen haben sich in eine Sackgasse manövriert. Sie können zwar sagen: Wir haben alles getan, was rechtlich möglich ist. Aber sie haben ein Problem, wenn sich Stuttgart-21-Gegner damit nicht zufrieden geben und die grün-rote Regierung den Bahnhofsumbau womöglich auch noch mit Polizei­gewalt durchsetzen muss.

Das scheint mir eine eher theoretische, aber auch die einzige Möglichkeit zu sein, das Projekt noch zu verhindern. Natürlich kann man verzögern, die Kosten hochtreiben oder eine finanzielle Beteiligung ausschließen. Aber die Verträge sind unter Dach und Fach. Den Grünen fehlen die rechtlichen Möglichkeiten. Dafür ist der Zug schon zu weit gefahren.

Sie birgt zugleich auch ein großes Risiko. Wenn eine Mehrheit gegen den Tiefbahnhof stimmt, das erforderliche Quorum aber nicht erreicht wird, dann ist das Ergebnis nicht bindend. Letztlich scheitert dann die direkte Demokratie an einer Formalie und die Grünen stehen als Verlierer da. Für sie wäre das der Abstimmungs-GAU.

Wenn die Union so vorginge, wäre die Kritik sofort da: Die versuchen uns mit diesen Mitteln reinzulegen. Die Grünen aber setzen schon immer stark auf direkte Demokratie. Denen würde man das eher nicht als Trick ankreiden.

Früher hat man an das Bundesverfassungsgericht verwiesen, heute an den Volkswillen. Aber es sind ähnliche Konfliktlösungs-Mechanismen. Schließlich muss man in einer Koalition irgendeinen gemeinsamen Nenner finden. Grün-Rot hat sich auf eine Volksabstimmung geeinigt.

Die Grünen können Stuttgart 21 dann mittragen oder aus der Regierung aussteigen. Einen dritten Weg gibt es nicht. Die Landesregierung kann nicht gegen Recht und Gesetz handeln. Das wäre nicht nur ein Rechts-, sondern geradezu ein Kulturbruch und das läge auch nicht im Interesse der Grünen.

Wenn die Grünen die Regierung verlassen, wahren sie ihr Gesicht und zeigen: Wir sind prinzipienfest. Das ist aber unwahrscheinlich, schließlich steht noch mehr auf dem Spiel. Eine Koalition aus SPD und CDU würde eine ganz andere Umwelt-, Energie- oder Verkehrspolitik machen. Außerdem würde man die Grünen dann für politikun­fähig erklären. Die Angst davor ist auch ein Grund, weshalb die Koalition vermutlich hält.

Wahltaktisch war es richtig, schließlich haben dadurch auch Menschen die Grünen gewählt, die das sonst nicht getan hätten. Strategisch war das Wahlkampfthema möglicherweise falsch. In der Euphorie hatten die Grünen geglaubt, sie könnten Stuttgart 21 aufhalten. Dabei war von Anfang an klar: Die Möglichkeiten sind sehr beschränkt.

Ja, aber das war auch nicht strategisch geplant. An dem Kampf gegen den Tiefbahnhof hing viel Herzblut, die Grünen haben ihr Anliegen aus Überzeugung zum Wahlkampfthema gemacht. Taktik und Strategie stehen gerade bei den Grünen häufig noch an zweiter Stelle.

Das Bildungssystem lässt sich relativ leicht umkrempeln, weil jedes neue Parlament die alten Gesetze wieder aufheben kann. Geht es aber um ein jahrelanges Bauprojekt mit unendlich vielen Beteiligten, dann ist das eine schwierigere Sache. Eine vergleichbare Situation mit ähnlichem Symbolwert wie Stuttgart 21 ist mir nicht bekannt.

Auf Bundesebene gibt es vor allem außenpolitische Verpflichtungen, die wurden auch immer von den Grünen mitgetragen. Sie haben versucht, neue, eigene Projekte anzustoßen anstatt Entscheidungen der Vergangenheit zu revidieren. In Stuttgart hingegen glaubte man, den Tiefbahnhof noch stoppen zu können. Diese Euphorie hat sich verselbstständigt.

Nein, die Grünen sind längst fest etabliert im Parteien­system. Es gibt aber noch eine Protest-Tradition, die sich auch in Stuttgart gezeigt hat. Die Basis kann viel leichter mobilisiert werden als in anderen Parteien.

Ich glaube, dass der Höhenflug bald enden wird. Der Atomausstieg ist vom Bundestag beschlossen, jetzt geht es zum Beispiel um Hochspannungsleitungen und Pumpspeicherkraftwerke. Die Basis ist dagegen, die Grünen müssten aber eigentlich im Sinne der Energiewende dafür sein. Das wird der Wählergunst abträglich sein.

Es wird eine Entzauberung der Grünen geben. Das wird sie zwar nicht auf 15 Prozent zurückdrücken, aber es kann sie schon den einen oder anderen Prozentpunkt kosten.

Jürgen W. Falter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz. Schwerpunkte seiner Forschung sind Wahlen und politische Einstellungen. Zusammen mit Markus Klein veröffentlichte er das Buch Der lange Weg der Grünen. Ein Partei zwischen Protest und Regierung (C.H. Beck Verlag)

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