Die Mitmachmacht

Klicktivismus Campact hat jetzt mehr als eine Million engagierte Bürger im E-Mail-Verteiler. Was macht Deutschlands größte Online-NGO so erfolgreich? Schadet sie den Protestbewegungen?
Ausgabe 02/2014
Haben leider keinen Internetzugang: Hühner in Massentierhaltung, hier bei einer Campact-Aktion
Haben leider keinen Internetzugang: Hühner in Massentierhaltung, hier bei einer Campact-Aktion

Foto: imago / epd

Die Zentrale des Online-Protests befindet sich irgendwo zwischen Bremen und Hannover. Am Stadtrand von Verden, einer 30.000-Einwohner-Stadt. Im Ökozentrum wurde einst Attac Deutschland gegründet, heute haben hier viele andere Vereine ihre Büros – auch die bundesweit größte Online-Kampagnen-Organisation Campact.

Vor fast zehn Jahren ging es mit vier Räumen los, heute sind es zwölf; für Campact wurde sogar ein neues Stockwerk auf das Gebäude gesetzt. Inzwischen arbeiten 25 Menschen für Campact, die meisten in Teilzeit. Aus einer kleinen Gruppe engagierter Idealisten ist in wenigen Jahren eine der mächtigsten NGOs geworden. Und sie wächst weiter und weiter.

Jetzt hat die Zahl der Campact-Aktiven die Eine-Million-Marke durchbrochen – eine Zahl, von der andere Organisationen nur träumen können. Die Campact-Aktiven sind im E-Mail-Verteiler angemeldet und werden regelmäßig auf neue Online-Petitionen aufmerksam gemacht. Die bislang erfolgreichste Unterschriftensammlung forderte das Abschalten der deutschen Atomkraftwerke nach Fukushima, rund 320.000 Menschen haben damals unterzeichnet. Die aktuelle Kampagne gegen das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA könnte diese Zahl noch übertreffen.

Online-Aktionen alleine verpuffen

Wie verändert das Internet den Polit-Aktivismus? Kommt eine Welle der Demokratisierung? Oder konzentriert sich die Macht bei wenigen Organisationen wie Campact in Deutschland oder Avaaz und Change.org auf internationaler Ebene?

Christoph Bautz ist Geschäftsführer von Campact. Er sagt: „Protestbewegungen haben durch das Internet enorme Erleichterungen bekommen.“ Es sei „viel einfacher, sich einzumischen in die Politik“. Aber kann man durch eine Online-Petition wirklich etwas verändern? Politiker wissen, dass ein Klick schnell gemacht ist. Beim ersten Mal mag es noch beeindrucken, wenn tausend gleichlautende E-Mails das Postfach verstopfen. Danach ist klar: Im Internet-Zeitalter ist das nicht besonders viel.

Campact tüftelt bereits an Strategien, mehr Menschen auf die Straße zu bringen. „Eine Online-Aktion alleine verpufft sehr schnell“, sagt Geschäftsführer Bautz. Es brauche stets einen „intelligenten Austausch zwischen Protest online und offline“. Deshalb ruft Campact inzwischen auch häufiger dazu auf, zu einer Großdemo nach Berlin zu fahren, sich an dezentralen Aktionstagen zu beteiligen oder vor Ort eine Grillparty für die Agrarwende zu organisieren. So kommen die engagierten Bürger miteinander in Kontakt, diskutieren, überzeugen andere Menschen von ihrer Sache.

Die Macht verschiebt sich

Das Beispiel Campact zeigt aber auch: Durch das Internet gewinnen die Bürger nicht den Einfluss, den bislang die NGOs und Verbände haben. Die Macht der Protest-Institutionen bleibt; die Organisationen mit zentralistischen Strukturen haben bezahlte Mitarbeiter, kennen sich aus mit Lobbyismus und Öffentlichkeitsarbeit – und jetzt eben auch mit dem Internet.

Trotzdem gibt es eine Machtverschiebung. Weg von den auf ein Thema spezialisierten NGOs, hin zu Organisationen wie Campact – den „Profis für Online-Mobilisierung“, wie Sigrid Baringhorst sie bezeichnet. Baringhorst ist Protestforscherin an der Universität Siegen und sagt, die neuen Organisationen werden „die Arbeitsstruktur unter den Bewegungsakteuren neu strukturieren“.

In der Tat gibt es eine Arbeitsteilung: Die Fach-NGOs erarbeiten die inhaltlichen Positionen, schreiben Analysen zu den neuesten Gesetzesentwürfen, liefern die Experten für Gespräche mit Fachpolitikern. Thematisch flexible Kampagnen-NGOs wie Campact bringen „die Mobilisierungskraft und die Öffentlichkeitswirkung“ mit, wie Geschäftsführer Bautz es formuliert. Er spricht von einer „Win-Win-Situation“, wenn die Organisationen gemeinsam eine Kampagne starten und Unterschriften sammeln. Campact sei jedoch kein Dienstleister für andere NGOs. „Uns ist es wichtig, dass wir die Kampagnen auch selbst mitprägen können.“

Das Problem an der Zusammenarbeit: Die Fachorganisationen profitieren deutlich weniger und verlieren letztlich im Kampf um Aufmerksamkeit und Spendengelder. Im Fernsehen sind häufig nur die Campact-Aktivisten in ihren roten Jacken zu sehen, wenn sie protestieren, während die Politiker hinter verschlossenen Türen verhandeln. „Solche Bilder sind spannender als heranfahrende Limousinen“, sagt Bautz. Und ein kurzes Statement gibt’s dann meist auch noch. Beim Spendensammeln ist Campact ebenfalls im Vorteil mit der riesigen Datenbank aus E-Mail-Adressen, die sich durch jede Kampagne mit anderen NGOs noch weiter vergrößert.

Das Campact-Prinzip

Könnten Fachorganisationen wie der BUND genauso erfolgreich werden, wenn sie selbst Online-Petitionen starten und sich selbst das Wissen über das Protest-Instrument Internet aneignen? Nein, denn Campact wächst auch deshalb so stark, weil ein bestimmter Politikansatz verfolgt wird. Das ist kurzfristig zwar sehr effektiv, könnte auf lange Sicht aber die Bewegung schwächen.

Campact startet eine Kampagne, wenn sie hohe Erfolgschancen hat. Wenn die Bundesregierung beispielsweise bei einem Thema zerstritten ist, kann der öffentliche Protest den Ausschlag geben. So lassen sich schnell sichtbare Erfolge produzieren, aber gleichzeitig fehlen in der Öffentlichkeit die Forderungen nach Veränderungen. „Wir haben nicht den Anspruch, sämtliche Meinungen abzubilden“, sagt dazu Geschäftsführer Bautz. „Niemand ist daran gehindert, selber was zu starten mit radikaleren Forderungen.“

Das ist zwar leicht gesagt, dürfte jedoch schwierig sein. Denn Campact profitiert auch von der Masse der Menschen – und lässt daher auch lieber die Finger von umstrittenen Themen. Es gibt dafür sogar extra einen Mechanismus: Bevor eine Kampagne beginnt, wird ein Testballon gestartet. 5-10.000 zufällig ausgewählte Newsletter-Empfänger sollen sagen, was sie von der Kampagne halten: Würden sie sich beteiligen, Freunde darauf hinweisen? Oder finden sie die Forderungen unwichtig oder gar falsch? Bei zu vielen negative Rückmeldungen wird die Kampagne abgeblasen.

Das Ergebnis: Themen wie Bundeswehr-Einsätze oder Eurokrise werden ignoriert, auch die Asylpolitik wird nur selten angegangen. Und das, obwohl im E-Mail-Verteiler nach Einschätzung von Bautz vor allem Menschen sind, „die sich eher zum linken Spektrum der Gesellschaft zählen“. Typische Kampagnen fordern mehr Ökologie, Datenschutz oder soziale Gerechtigkeit.

Folgsame Basis

In den Protestbewegungen ist Campact umstritten. Zu den wenigen, die ihre Kritik öffentlich äußern, gehört die Aktivistin Hanna Poddig. „Campact steht für eine Professionalisierung und eine Ausrichtung auf Realpolitik, die allerdings auch bei anderen Organisationen in schwächerer Form zu finden sind“, sagt sie. So würden „keine Visionen und Utopien formuliert“, zudem mache Campact „die Leute nicht zu Mitgliedern eines Netzwerks, sondern zu weitgehend blinden Konsumentinnen und Konsumenten von Protestaktionen“. Das liege jedoch auch an den Campact-Aktiven selbst, die sich oft nicht daran störten, dass sie beispielsweise an der Wahl der Slogans gar nicht beteiligt waren.

Die Struktur von Campact führe dazu, „dass es keine Basis gibt, die rebellieren kann“. Ortsgruppen wie etwa beim BUND existieren nicht. Jedoch werden die Förderer jährlich zu einer Ideenwerkstatt eingeladen, dort können sie auch Vertreter in den Campact-Verein wählen, der wiederum den geschäftsführenden Vorstand wählt. Poddig reicht das nicht. „Bei einem Treffen einmal im Jahr gibt es keine Möglichkeit, sich so zu organisieren, dass man die Machtfrage stellen könnte.“

Offengelegte Gelder

Campact bemüht sich jedoch um Transparenz – zumindest bei den Finanzen. Im Internet ist nachzulesen, woher die rund zwei Millionen Euro im Jahr kommen und wofür sie aufgewendet werden; welche Kampagnen wieviel Geld gekostet haben und was die Mitarbeiter verdienen.

Für die Protestforscherin Baringhorst ist das auch dem Internet zu verdanken. „Die NGOs stehen immer stärker unter dem Druck, transparent zu sein.“ Durch das Netz werde der Zugang zu Wissen „extrem erleichtert“. Das lasse das Bedürfnis nach Transparenz „noch legitimer und noch leichter einlösbar erscheinen“.

Nur: Welche Kampagne Campact als nächstes plant, welche Politiker sich auf wütende Protest-Mails gefasst machen müssen – das steht nicht im Netz.

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