„Die Pralinenbox ist geplündert“

Peak Oil Wie groß sind die weltweiten Energiereserven tatsächlich? Die Angaben werden aus politischen und wirtschaftlichen Gründen manipuliert, sagt der Geologe Alex Beaurieux
Ausgabe 24/2014

Der Freitag: Werfen wir einen Blick auf die globale Situation. Der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung schreibt, dass seit Jahrzehnten die Ölreserven steigen, zum Beispiel weil neue Felder gefunden werden. Haben wir überhaupt ein Problem mit der begrenzten Menge an Rohstoffen?

Alex Beaurieux: Niemand weiß, wie groß die Lagerstätten wirklich sind. Wir wissen nur, wie viel noch in den erbohrten Feldern ist, der Rest basiert auf Schätzungen. Die meisten Daten sind also unzuverlässig. Man muss sich fragen, wo die Zahlen herkommen und ob da indirekt eine politische Botschaft drinsteckt.

Eine politische Botschaft?

Schauen Sie sich an, wer das Erdöl kontrolliert. Laut der Internationalen Energieagentur sind ungefähr drei Viertel der weltweiten Öl- und Gasreserven in staatlicher Hand und nur ein Viertel in privater. Natürlich haben die Staaten ganz andere Interessen als private Konzerne.

Warum? Beide wollen doch die Vorkommen ausbeuten.

Es gibt dennoch verschiedene Beweggründe. Die OPEC-Staaten, also die Erdöl exportierenden Länder, bilden ein Kartell, um das Angebot auf einem für sie profitablen Niveau zu halten. Es gibt für jedes Land eine maximale Förderquote und die hängt ab von den Reserve-Angaben. Wenn ein Land also mehr fördern will, muss es nur die eigenen Angaben zu den Reserven erhöhen.

Sie meinen, die Angaben sind politisch oder wirtschaftlich motiviert?

In den 80er Jahren haben einige OPEC-Staaten ihre Reserve-Angaben von einem Jahr aufs andere verdreifacht, zum Beispiel Abu Dhabi. Irak, Iran oder Venezuela haben sie verdoppelt. Zudem werden über Jahrzehnte hinweg die gleichen Reserve-Angaben gemacht, obwohl Tag für Tag Millionen Fässer gefördert werden. Das ist doch unrealistisch.

Vielleicht werden neue Vorkommen gefunden.

In der Theorie ist das so. Aus der Praxis wissen wir aber: Mitte der 60er wurde am meisten Erdöl entdeckt. Seitdem geht es bergab. Gleichzeitig ist aber die Produktion gestiegen. Im Jahr 1980 wurde erstmals mehr Erdöl gefördert als neu gefunden wurde. Und seit 2005 ist die Fördermenge nahezu konstant.

Aktuell werden täglich weltweit über 90 Millionen Fass Erdöl verbraucht, das entspricht 45 Supertankern. Möglicherweise haben wir schon letztes Jahr das Fördermaximum erreicht, den sogenannten Peak Oil. Mit tiefgreifenden Folgen. Denn auch bei einem Rückgang von nur zwei Prozent produzieren wir in 35 Jahren nur noch die Hälfte der aktuellen Fördermenge.

Der Ölpreis ist in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Das könnte auch der Grund sein für das Wachsen der Reserven. Es wird nämlich unterschieden: Unter Ressourcen werden alle vermuteten Vorkommen verstanden; unter Reserven nur die Menge, von der wir sicher wissen, dass es sie gibt und dass sie wirtschaftlich gefördert werden kann. Wegen des gestiegenen Ölpreises lohnt es sich jetzt, manche – vorher unprofitablen – Vorkommen zu fördern. So werden Ressourcen zu Reserven.

In der Tat sind nun manche Ressourcen auf einmal interessant. Das ist aber kein Zeichen dafür, dass der hohe Erdölpreis alles möglich macht, sondern eher ein Zeichen der Verzweiflung. Um die ständige Nachfrage zu befriedigen, wird immer mehr in Kauf genommen. Die Förderung wird teurer, sie braucht mehr Energie und hat immer schlimmere Umweltauswirkungen. Um es bildhaft auszudrücken: Die Pralinenbox ist geplündert, jetzt sind noch die Dinge übrig, die keiner mag.

Was sind denn die Pralinen unter den Öl- und Gasvorkommen?

Die Qualität ist sehr unterschiedlich, die begehrtesten Pralinen haben die beste Energiebilanz. Da wird verglichen: Wie viel Energie ist im Erdöl de facto enthalten und wie viel Energie muss ich in die Förderung stecken? Man spricht vom Energy Return on Investment. Im Jahr 1930 lag das Verhältnis teilweise bei mehr als 100 zu 1. Inzwischen sind wir im globalen Durchschnitt bei ungefähr 15 zu 1. Irgendwann lohnt es sich nicht mehr, die Vorkommen als Brennstoffe zu fördern.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass die Ressourcen an Öl und Gas so groß sind, dass sie den jetzigen Jahresverbrauch um mehr als den Faktor 100 übertreffen. Das heißt, die fossilen Rohstoffe wären theoretisch noch mindestens 100 Jahre lang verfügbar.

Das sind die berühmten Projektionen der Behörden, die sich Jahr für Jahr widersprechen. In den USA hat die Energy Information Agency etwa vor wenigen Tagen die Schätzung für die Vorkommen in der kalifornischen Monterey-Formation um sage und schreibe 96 Prozent reduziert.

Werden die Schätzungen auch manchmal nach oben korrigiert?

Das ist eher bei Privatkonzernen der Fall. Sie wollen, dass ihre Aktien ständig an Wert gewinnen. Daher haben sie allen Grund, am Anfang zu untertreiben und dann im Laufe der Zeit immer wieder neue Reserven hinzuzufügen. Die existieren ja, es wurde nur vorher nicht zugegeben.

Das heißt, die Privatkonzerne untertreiben, die staatlichen Ölkonzerne der OPEC-Länder übertreiben?

Ja, das sind zwei gegenläufige Trends, die von der Öffentlichkeit in der Regel nicht wahrgenommen werden.

Und insgesamt wird die Gesamtmenge an Öl- und Gasvorkommen übertrieben?

Es ist eigentlich gar nicht wichtig, wie viel Öl und Gas da ist. Entscheidend ist, wie viel man wirtschaftlich fördern kann.

Vielleicht geht es auch darum, wieviel man überhaupt fördern darf, wenn man die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch verhindern will. Sie sagen, dass die Reserven in Wirklichkeit gar nicht so groß sind. Besteht da nicht die Gefahr, dass Sie denjenigen Leuten Vorschub leisten, die sagen: Wir brauchen gar nichts gegen den Klimawandel zu tun? Die Vorräte werden sowieso nicht genutzt, da brauchen wir keine Regulierung?

Nein, selbstverständlich müssen wir ganz viel tun, angefangen bei unserem Ölverbrauch. Ich denke, dass der politische Regulierungswille, weniger zu CO2 auszustoßen, der indirekte Versuch ist, der Bevölkerung klar zu machen: Jetzt ist die Party vorbei, jetzt geht es bergab mit Eurem Lebensstandard.

Das heißt, die Politik gibt nur vor, dass aus Klimaschutzgründen gespart werden muss und in Wirklichkeit geht es darum gar nicht?

Ich kann nicht beurteilen, worum es bestimmten Politikern geht.

Der Weltklimarat IPCC hat ausgerechnet, dass im Boden noch mehr als zehn Mal so viel CO2 gelagert ist in Form fossiler Brennstoffe wie ausgestoßen werden darf, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Der Ökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt daher: Wir sollten uns politisch dafür einsetzen, dass ein Großteil der Brennstoffe im Boden bleibt.

Ich sehe die Bemühungen, weniger CO2 ausstoßen, als klares Zugeständnis zu Peak Oil. Wir müssen daher überlegen, wie wir weg kommen vom ständigen Wachstumszwang, hin zu einer möglichst nachhaltigen Lebensweise.

Das Gespräch führte Felix Werdermann

Alex Beaurieux, 33, ist Geologe. Er arbeitet am Schweizer Institut für Friedensforschung und Energie (SIPER). Dort forscht er zu Peak Oil und dem globalen Kampf um begrenzte Ressourcen. Zudem ist er Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO).

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden