"Die Situation ist dramatisch"

Europa Jugendliche ohne Perspektive: Die Narben einer längeren Arbeitslosigkeit bleiben dauerhaft, sagt Alexander Herzog-Stein von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung
Angela Merkel und Teilnehmer der Konferenz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa sammeln sich zum Familienfoto
Angela Merkel und Teilnehmer der Konferenz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa sammeln sich zum Familienfoto

Foto: Johanes Eisele/ AFP/ Getty Images

der Freitag: Herr Herzog-Stein, Sie sind Referatsleiter für Arbeitsmarktforschung am gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. In den Zeitungen ist immer wieder zu lesen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien bei über 50 Prozent liegt. Wenn man jedoch bedenkt, dass sich viele Jugendlichen in der Ausbildung befinden, schrumpft der Anteil der Jugendlichen, die eine Arbeit suchen, auf 20 bis 25 Prozent. Dramatisieren die Medien das Problem?

Alexander Herzog-Stein: Nein. Man muss natürlich wissen, was eine Statistik aussagt. Die Arbeitslosenquote sagt klassisch: Wie viel Menschen ohne Stelle suchen eine Arbeit – gemessen an allen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Deswegen halte ich den Indikator auch für legitim.

Ist es dann nicht wichtiger sich anzusehen, wie sich die Jugendarbeitslosigkeit geändert hat?

In der Tat. Die Zahlen seit Anfang 2008 sprechen da eine sehr deutliche Sprache. In der Europäischen Union ist die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen von 15 auf 23 Prozent gestiegen, in Spanien sogar von 21 auf 56 Prozent. Die Quote hat sich in Spanien also mehr als verdoppelt.

Die Arbeitslosenquote bei den Spaniern aller Altersstufen hat sich jedoch fast verdreifacht – von 9 auf 26 Prozent. Sind Jugendliche wirklich so viel schlimmer dran als andere Menschen?

Die Situation ist natürlich dramatisch für alle Menschen, die in der jetzigen Situation eine Arbeit suchen. Aber für Jugendliche ist es besonders schwer, weil sie am Anfang ihres Erwerbslebens stehen und noch keine tolle, aussagekräftige Erwerbsbiografie vorweisen können. Wir wissen aus der Forschung, dass die Narben einer längeren Arbeitslosigkeit dauerhaft bleiben. Diese Menschen haben auch später immer wieder Probleme, eine Stelle zu finden und müssen mit Einkommenseinbußen rechnen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen bis hin zu den Bedenken möglicher Arbeitgeber: Wenn die Person so lange arbeitslos war, ist sie dann wirklich so gut?

In dieser Woche hat Angela Merkel die Staats- und Regierungschefs weiterer EU-Länder zu einem Treffen nach Berlin eingeladen. Die Politik will nun 24 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa bereitstellen. Da müssten Sie doch zufrieden sein, oder?

Zunächst ist es wichtig, dass die Politik erkannt hat, dass sie eine verlorene Generation schafft, wenn nichts unternommen wird. Trotzdem: Die 24 Milliarden Euro werden nicht ausreichen, solange das Grundproblem nicht angegangen wird. Es wird immer der Eindruck erweckt, die Jugendlichen seien nicht gut genug ausgebildet. Natürlich brauchen wir eine gute Qualifizierung, aber das Hauptproblem ist, dass es derzeit keine Arbeitsplätze gibt. Deswegen müssen wir wegkommen von einer überzogenen Sparpolitik, die alles kaputt spart. Die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen, dazu brauchen wir Wachstumsimpulse.

Aber ist die sogenannte Jugendgarantie nicht erstmal eine gute Sache? Nach vier Monaten sollen die Jugendlichen ein Recht auf Arbeit oder Praktikum haben.

Entsprechende Förderprogramme können eine Brücke für die Jugendlichen sein. Aber wenn das Grundproblem der Arbeitslosigkeit in Europa nicht angegangen wird, dann rückt das Ufer in immer weitere Ferne und die Brücke führt ins Nirgendwo.

Alexander Herzog-Stein, 41, leitet das Referat für Arbeitsmarktforschung am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

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