der Freitag: Herr Herzog-Stein, Sie sind Referatsleiter für Arbeitsmarktforschung am gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. In den Zeitungen ist immer wieder zu lesen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien bei über 50 Prozent liegt. Wenn man jedoch bedenkt, dass sich viele Jugendlichen in der Ausbildung befinden, schrumpft der Anteil der Jugendlichen, die eine Arbeit suchen, auf 20 bis 25 Prozent. Dramatisieren die Medien das Problem?
Alexander Herzog-Stein: Nein. Man muss natürlich wissen, was eine Statistik aussagt. Die Arbeitslosenquote sagt klassisch: Wie viel Menschen ohne Stelle suchen eine Arbeit – gemessen an allen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Deswegen halte ich den Indikator auch für legitim.
Ist es dann nicht wichtiger sich anzusehen, wie sich die Jugendarbeitslosigkeit geändert hat?
In der Tat. Die Zahlen seit Anfang 2008 sprechen da eine sehr deutliche Sprache. In der Europäischen Union ist die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen von 15 auf 23 Prozent gestiegen, in Spanien sogar von 21 auf 56 Prozent. Die Quote hat sich in Spanien also mehr als verdoppelt.
Die Arbeitslosenquote bei den Spaniern aller Altersstufen hat sich jedoch fast verdreifacht – von 9 auf 26 Prozent. Sind Jugendliche wirklich so viel schlimmer dran als andere Menschen?
Die Situation ist natürlich dramatisch für alle Menschen, die in der jetzigen Situation eine Arbeit suchen. Aber für Jugendliche ist es besonders schwer, weil sie am Anfang ihres Erwerbslebens stehen und noch keine tolle, aussagekräftige Erwerbsbiografie vorweisen können. Wir wissen aus der Forschung, dass die Narben einer längeren Arbeitslosigkeit dauerhaft bleiben. Diese Menschen haben auch später immer wieder Probleme, eine Stelle zu finden und müssen mit Einkommenseinbußen rechnen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen bis hin zu den Bedenken möglicher Arbeitgeber: Wenn die Person so lange arbeitslos war, ist sie dann wirklich so gut?
In dieser Woche hat Angela Merkel die Staats- und Regierungschefs weiterer EU-Länder zu einem Treffen nach Berlin eingeladen. Die Politik will nun 24 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa bereitstellen. Da müssten Sie doch zufrieden sein, oder?
Zunächst ist es wichtig, dass die Politik erkannt hat, dass sie eine verlorene Generation schafft, wenn nichts unternommen wird. Trotzdem: Die 24 Milliarden Euro werden nicht ausreichen, solange das Grundproblem nicht angegangen wird. Es wird immer der Eindruck erweckt, die Jugendlichen seien nicht gut genug ausgebildet. Natürlich brauchen wir eine gute Qualifizierung, aber das Hauptproblem ist, dass es derzeit keine Arbeitsplätze gibt. Deswegen müssen wir wegkommen von einer überzogenen Sparpolitik, die alles kaputt spart. Die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen, dazu brauchen wir Wachstumsimpulse.
Aber ist die sogenannte Jugendgarantie nicht erstmal eine gute Sache? Nach vier Monaten sollen die Jugendlichen ein Recht auf Arbeit oder Praktikum haben.
Entsprechende Förderprogramme können eine Brücke für die Jugendlichen sein. Aber wenn das Grundproblem der Arbeitslosigkeit in Europa nicht angegangen wird, dann rückt das Ufer in immer weitere Ferne und die Brücke führt ins Nirgendwo.
Alexander Herzog-Stein, 41, leitet das Referat für Arbeitsmarktforschung am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Kommentare 9
Es wird immer der Eindruck erweckt, die Jugendlichen seien nicht gut genug ausgebildet. Natürlich brauchen wir eine gute Qualifizierung, aber das Hauptproblem ist, dass es derzeit keine Arbeitsplätze gibt. Deswegen müssen wir wegkommen von einer überzogenen Sparpolitik, die alles kaputt spart.
ja ... diese worte in die ohren der politiker !!!!
diese worte in die ohren der politiker !!!!
und was sollen diese worte da bewirken, liebe regina?
die herrschaften müssten schon mal in die verlegenheit kommen, dass ihr schicksal mit dem der arbeitslosen verhakt wäre. dann gäbe es immerhin grund zu einem gewissen optimismus...
grüße, hy
ps: hörte gestern von einem sog. wahlforscher, dass die chancen gewählt zu werden nicht so sehr vom wahlprogramm der partei abhängen als vielmehr von der attraktivität der kandidatinnen. das sind herrliche aussichten;-))
Es gibt auch andere Stimmen zur Jugendarbeitslosigkeit:
Manche Ökonomen bezweifeln, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa ein massives Problem darstellt. Doch dabei vernachlässigen sie wichtige Faktoren.
Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Centre for European Policy Studies, findet die Debatte zum Thema Jugendarbeitslosigkeit überzogen: Jugendarbeitslosenraten von aktuell über 60 Prozent in Griechenland führten in die Irre, weil nur ein kleiner Teil der jungen Leute überhaupt arbeite. Das gelte vor allem in der Altersgruppe unter 20: Hier seien nur 9 Prozent aktiv auf dem Arbeitsmarkt, der Rest noch in Ausbildung. Es gehe daher nur um 60 Prozent dieser 9 Prozent, also 6 Prozent aller Teenager. Die Politik solle sich lieber um arbeitslose Familienväter oder alleinstehende Mütter kümmern.
Brigitte Unger hält diese Sichtweise für unangemessen: Tatsache sei, dass zwei von drei griechischen Jugendlichen, die einen Job suchen, keinen finden. Unabhängig davon, wie viele Arbeitssuchende es gibt, sei das ein Problem, warnt die Wissenschaftliche Direktorin des WSI. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wichen zudem viele junge Menschen aus: in längere Ausbildung, zurück in die Familie oder ins Ausland. Die geringe Anzahl jugendlicher Erwerbspersonen könne also auch eine Folge der Krise sein. Darüber hinaus weise die Situation in Griechenland eine Besonderheit auf: Normalerweise bewegen sich Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit parallel - steigt die eine Quote, steigt auch die andere. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland habe sich aber noch wesentlich drastischer entwickelt als die restliche Arbeitslosigkeit, konstatiert Unger. Im Jahr 2012 lag die Quote unter Jugendlichen bei 55 Prozent, bei den 25- bis 64-Jährigen bei 22 Prozent. Dabei habe Jugendarbeitslosigkeit dramatische gesellschaftliche Langzeitfolgen. Ungers Fazit: "Statt über Definitionen der Jugendarbeitslosigkeit zu streiten, sollte politisch gehandelt und das Problem schleunigst bekämpft werden.
http://www.boeckler.de/43377_43384.htm
Es genügt kein "Pakt" gegen die Jugendarbeitslosigkeit und Mauschelei mit jungen Arbeitslosen, die bereits eine Ausbildung vorweisen können, die angeblich bei uns noch eine Ausbildung erhalten. Wir brauchen einen Armeitsmarkt- und Sozialplan, der das Ausbluten der Staaten endlich stoppt. Der den Namen verdient und Pflichten festschreibt.
Mauscheleien führen dazu, dass die jungen u. starken Menschen mit ihren Familien ihre Länder verlassen und zurück bleiben die Alten, Schwachen und Kranken, die allein ihr ausgeblutetes Land nicht aus der Misere retten können. Sie sind die folgenden Hilfebedürftigen! Und in den anderen Ländern ergibt sich nichts anderes als eine Problemverlagerung. Solange nicht endlich ehrliche Löhne gezahlt werden und so ein gesunder Wirtschaftskreislauf in Gang kommt, wird sich gar nichts ändern. Gibt es in den Steueroasen denn keine Arbeitslose? Warum wird dort nicht über eine gesamtpolitische Verantwortung nachgedacht?
Schade, auch von der Hans-Böckler-Stiftung wird kein Wissenschaftler in den Medien zum Gespräch eingeladen! Oder sehe ich das nur nicht?
Irgendwie erinnert mich diese (wenn auch nicht vergleichbare) Situation an jene, die in Deutschland Ende der 90er bis in die Mitte des darauffolgenden Jahrzehnts anhielt.
Auch hier mussten Ausbildungspakte für eine Generation abgeschlossen werden, für die die Wirtschaft von damals niemals eine Verwendung gefunden hätte.
Ein nicht unerheblich großer Teil dieser 90er-Jahre Generation ist heute, von der bereits genannten Probelemverlagerung (prekäre Beschäftigung, ergo keine oder wenig Beiträge zur Rente), betroffen.
Ich wünsche allen beschäftigungslosen jungen Erwachsenen in Europa, in puncto Arbeitsmarktpolitik, mehr Nachhaltigkeit!
Lieber Felix,
allein dass Merkel jetzt erst, nach zweieinhalb Jahren MERKELSCHEN TOTSPARDIKTATES auf den Trichter kommt, dieses Diktat war falsch und unmenschlich, auf Anraten von Weidmann und Schäuble, zeigt doch, von welchem Kaliber unsere Regierung ist. Müssen erst erhöhte Selbstmordraten, erhöhte Kindersterblichkeit, erhöhte Müttersterblichkeit, erhöhte Jugend- und Langarbeitslosigkeit, erhöhte psychische Stresssituationen und vor allem sozialpsychologische Veränderung von ganzen Völkern unsere Kanzlerin auf Trapp bringen, dass sie sich aus ihrer Starre bewegt? Hätten wir Deutschen ihr selbst nicht schon längst ein Feuerchen unter ihrem Stuhl, den ihr Schröder und Fischer passend zurecht gezimmert haben, entfachen sollen?
Die ganze Debatte um die Jugendarbeitslosigkeit zeigt doch einmal mehr, dass der Markt, besser gesagt, unser kapitalistisches System die Frage um würdige Arbeit und würdiges Leben nicht löst, dass das private Kapital und die von ihr abhängige Regierung diese Frage niemals lösen wird. Nur in Ausnahmefällen von Boomsituationen können sich die Markt-Fanatiker die Hände reiben, meist auf Kosten des Elends in anderen Ländern. Nein, hier muss der Staat eingreifen mit von den Betroffenen selbst organisierten gemeinwirtschaftlichen Initiativen. Die Macht über die Wirtschaftsordnung muss zurück in die Macht des Bürger fallen. Das Kapital und der dem Kapital gehorchende Staat wird die Frage der würdigen Arbeit und des würdigen Lebens nicht lösen. Da sind wir alle gefragt, ganz besonders in einer Zeit, in der die bisherigen Staatslenker und das Kapital abermals einen Blankoscheck für vier weitere Jahre unkontrollierter Herrschaft einfordern.
LG, CE
Es gibt bestimmt einen Weg aus der Krise. Dazu müssen wir aber was völlig Neues wagen zu denken.
Hier eine treffender Artikel aus der KONKRET dazu:
http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=3&posnr=515&backtext1=text1.php
"Gibt es in den Steueroasen denn keine Arbeitslose? Warum wird dort nicht über eine gesamtpolitische Verantwortung nachgedacht?"
Weil die sich durch ihren Oasenstatus Vorteile in einer harten und asozialen Welt ergaunern, so wie die deutsche Industrie mit ihren Billiglöhnen und Exportüberschüssen.
Eine der beliebtesten Steueroasen ist übrigens Delaware und liegt in ? Richtig, den USA. Die Caimans, früher Hongkong, die Londoner City usw. sind britisches Hoheitsgebiet.
Sowohl die Schlupflöcher wie auch die Existenz der Oasen verdanken wir unserer eigenen "Elite", die natürlich genau das immer wieder lauthals leugnet und sich in kriegerischen Posen gefällt... nur um sich dann in sinnlose Jahrzehnte währende internationale Verhandlungen zu stürzen:
http://www.welt.de/wirtschaft/article115420330/Schaeuble-sucht-Partner-im-Kampf-gegen-Steueroasen.html
Die zwar mächtig Wahlwerbewirkung haben, aber mit Sicherheit keines der Probleme lösen werden, zumindest werden wir das nicht mehr erleben.
Nein, die Oasen sind gar nicht das Problem, sie sind nur der Eimer unter dem durchlöcherten Topf. Wenn der Topf aber nun ein Loch hat? Machs zu lieber Schäuble, machs zu :-)
Hab ich was überlesen oder ist 99% Analyse und das "Neues denken" beschränkt sich auf den letzten Abschnitt?
"Der Weg aus der Krise ist nur noch als Weg aus dem Kapitalismus zu haben. Es wird Zeit, darüber möglichst laut nachzudenken, einfach wird es nicht."
Ärgerlich, dass der Herr Ortlieb nicht schonmal anfängt vorzudenken. Denn genau daran mangelt es. Ist ja nicht so, dass die alten Rezepte nicht samt und sonders gescheitert wären, so wie er es von den antizyklischen keynschen Konjunkturprogrammen behauptet (was ich in dieser Plattheit für falsch halte).
Ein bisschen mehr dürfte es dann schon sein...