Wie ein Grüner das Asylrecht verhökert

Macht Winfried Kretschmann hat sich im Bundesrat auf einen faulen Kompromiss eingelassen. Hochrangige Grüne akzeptieren den Alleingang – mit abenteuerlichen Begründungen
Ausgabe 39/2014
„In solch schwierigen Situationen muss man auch Verantwortung übernehmen“, verteidigte Kretschmann seine Entscheidung
„In solch schwierigen Situationen muss man auch Verantwortung übernehmen“, verteidigte Kretschmann seine Entscheidung

Foto: Carsten Koall / Getty Images

Deutlicher kann man die Kritik wohl kaum formulieren: „Heute wurde das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt.“ Volker Beck ist grüner Innenpolitiker im Bundestag und empört sich über seinen Parteifreund Winfried Kretschmann. Der hatte als Ministerpräsident Baden-Württembergs mit der Union verhandelt und sich am Ende auf einen faulen Kompromiss eingelassen. Im Bundesrat stimmte er zusammen mit den schwarz-roten Ländern für die Verschärfung des Asylrechts. Anschließend wurde er dafür von seiner Partei mit einem Shitstorm bedacht. Doch hochrangige Grünen-Politiker akzeptieren den Alleingang Kretschmanns – teilweise mit abenteuerlichen Begründungen.

Das Gesetz erklärt Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“. Wer aus diesen Ländern kommt, hat künftig kaum noch Chancen, hierzulande Schutz zu finden. Kretschmann betont zwar gerne, dass man trotzdem Asyl bekommen könne. Das stimmt, aber dazu muss die Verfolgung belegt werden. Und wer flieht, hat andere Probleme, als Beweise für ein späteres Asylverfahren zu sammeln. Was hat Kretschmann im Gegenzug bekommen? Minimale Verbesserungen für in Deutschland lebende Flüchtlinge: mehr Reisefreiheit, leichterer Arbeitsmarktzugang, Geld statt Sachleistungen.

Zugeständnisse kosten nichts

Kretschmann sieht darin „substanzielle Verbesserungen“, für die Flüchtlingsorganisationen seit Jahren kämpften. Seltsam bloß, dass sich bisher niemand bei dem Grünen bedankt hat. Amnesty International spricht jetzt von einem „faulen Kompromiss“, Pro Asyl von einem „fatalen Deal“. Beide Organisationen haben aber auch schon vorher vor einem Ja im Bundesrat gewarnt.

Volker Beck trifft es mit dem Appel und dem Ei ganz gut: Die Zugeständnisse tun der Union nicht weh, sie kosten nichts. Sinnlose Diskriminierung wird zurückgefahren, aber sobald es um Geld geht, bleibt der Deal unkonkret. Über die finanzielle Unterstützung von Ländern und Kommunen soll lediglich „konstruktiv verhandelt“ werden. Ob die Flüchtlinge davon profitieren, ist unklar. Sicher ist hingegen, wer verliert: Tausende, die nicht nach Deutschland dürfen.

Ministerpräsident oder Parteisoldat?

Warum stimmte Kretschmann zu? „In solch schwierigen Situationen muss man auch Verantwortung übernehmen“, sagt er. Die grüne Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, verteidigt ihn. Sie sei zwar inhaltlich anderer Meinung, aber „Kretschmann ist in einer anderen Situation, er lebt in einer anderen Verantwortung“. Noch deutlicher wird der grüne Tübinger Oberbürgermeister und Ober-Realo Boris Palmer: „Kretschmann sieht sich zu Recht nicht als Parteisoldat, sondern als Ministerpräsident, der Verantwortung für das gesamte Land zu übernehmen hat.“

Trägt man als Ministerpräsident jetzt also die Verantwortung, alles mitzumachen? In anderen Ländern hatten die Grünen als kleiner Koalitionspartner mehr Rückgrat – selbst wenn sie wie in Hessen mit der CDU regieren.

War es nicht gerade das Versprechen der Grünen, dass sie keinen Unterschied machen zwischen Regierung und Opposition? Kritisieren sie nicht die Linkspartei dafür, dass sie angeblich so unrealistische Forderungen stellt, die später an der Macht nicht umzusetzen sind? Nun sagen Kretschmann, Göring-Eckardt und Palmer selbst: Wer an der Regierung ist, braucht sich an den vorherigen Versprechen nicht messen zu lassen.

Die Realos haben mehr Mut

Leider ist dieses Argument mehr als eine schlechte Ausrede. Viele Politiker denken tatsächlich, sie müssten als Ministerpräsident anders handeln als zuvor. Wer die Mehrheitsgesellschaft hinter sich weiß, traut sich ohnehin eher, gegen die Parteilinie zu verstoßen. Bei den Grünen haben daher die Realos auch immer mehr Mut als die Linken.

Und Winfried Kretschmann sieht seine Zukunft sowieso in Baden-Württemberg, dort muss er demnächst womöglich mit der CDU zusammenarbeiten. Auch wenn er das selbst nicht als ausschlaggebend für sein Ja wahrgenommen hat: Wäre er auf SPD und Linke angewiesen, hätte er sich sicher anders entschieden.

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