Für die Gemeinnützigkeit ist das globalisierungskritische Netzwerk Attac zu politisch – so lässt sich das jüngst ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs in einem Satz zusammenfassen. Das oberste Gericht für Steuerfragen sendet damit ein fatales Signal, zahlreiche Nichtregierungsorganisationen fürchten nun um ihre Existenz. Nach dem Urteil kann die Bundesregierung missliebigen Kritikern leichter den Geldhahn zudrehen. Wer zu aufmüpfig ist, riskiert die Gemeinnützigkeit. Für eine lebendige Demokratie ist diese Situation unhaltbar. Daher muss der Bundestag dringend die Rechtsgrundlage ändern.
Derzeit wird eine Organisation als gemeinnützig anerkannt, wenn sie die Voraussetzungen erfüllt, die in der Abgabenordnung festgelegt sind. Die Tätigkeiten müssen das Ziel haben, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Anschließend werden verschiedene Zwecke aufgeführt, zum Beispiel Umweltschutz, Flüchtlingshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt aber auch Aufgaben, die derzeit nicht ausdrücklich erwähnt sind, etwa der Einsatz für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder Frieden. Viele Organisationen haben daher in ihrer Satzung unter anderem die „Förderung der Bildung“ als gemeinnützigen Zweck angegeben, auch der Trägerverein von Attac.
Der Gesetzgeber muss ran
Aus Sicht des Bundesfinanzhofs hat sich dann aber „die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken“. Jetzt muss zwar das Hessische Finanzgericht erneut prüfen, ob Attac gemeinnützig ist, nach diesem Urteil dürfte das Ergebnis aber klar sein. Anschließend könnten die Globalisierungskritiker höchstens noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, falls dieses eine Verfassungsbeschwerde zulässt.
Der Verlust der Gemeinnützigkeit hat gravierende Folgen: Spenden dürfen nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden, das kann Unterstützer dazu verleiten, weniger Geld zu geben oder stattdessen andere Vereine zu fördern. Bei Attac ist dieser Effekt bislang nicht aufgetreten, aber wohl nur, weil der jahrelange Gerichtsprozess öffentliche Aufmerksamkeit und eine Solidarisierungswelle mit sich gebracht hat. Sollte das Beispiel Attac jedoch Schule machen, dann dürfte es für viele Organisationen anders aussehen. Zudem gibt es zahlreiche Stiftungen und andere Großgeber, die nur gemeinnützige Vereine fördern dürfen.
Durch das Attac-Urteil hat sich eine paradoxe Situation ergeben: Nichtregierungsorganisationen dürfen keine Politik machen, die Bürokratie hingegen schon. Schließlich entscheiden die Finanzämter, welche Vereine in den Genuss von Steuervorteilen kommen und welche nicht. Das letzte Urteil fällen zwar Gerichte, aber zu Prozessen kommt es nur bei jenen Vereinen, die aus Sicht der Behörden zu politisch oder auf andere Art nicht förderungswürdig sind.
Es zeugt von einer gewissen Ironie, dass das Exempel ausgerechnet an Attac statuiert wurde, einer Organisation, die sich für mehr Steuergerechtigkeit und damit für mehr Einnahmen der Finanzämter einsetzt. Doch vielleicht hat es auch einen ernsten Hintergrund: Wenn die Bundesregierung zu wenig gegen internationale Steuervermeidung tut, gehört Attac zu den größten Kritikern. Und wer steht hinter dem Attac-Urteil? Das Bundesfinanzministerium!
Zwar hat im Jahr 2014 zunächst das Frankfurter Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt, nach der erfolgreichen Klage von Attac vor dem Hessischen Finanzgericht im Jahr 2016 war das Finanzamt allerdings bereit, die Gemeinnützigkeit zu gewähren. Das Bundesfinanzministerium jedoch intervenierte und wies das Finanzamt an, in Revision zu gehen. Verantwortlich damals: CDU-Mann Wolfgang Schäuble. Inzwischen wird das Finanzministerium vom SPD-Politiker Olaf Scholz geführt, doch geändert hat sich nichts. Hätte das Frankfurter Finanzamt die Gemeinnützigkeitsbescheinigung später einfach ausgestellt, wäre es nie zu diesem verheerenden Urteil des Bundesfinanzhofs gekommen.
Jetzt ist es passiert, und in der Großen Koalition gibt es Streit. Der SPD-Politiker Lothar Binding sieht Handlungsbedarf: „Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes zu Attac zeigt, dass der Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung zu eng ist.“ In der Union hingegen sorgt das Urteil für Freude. Olav Gutting vom Franktionsvorstand twittert: „Das sollte eine Ermunterung für Finanzämter sein, auch bei vielen anderen #NGOs genauer hinzuschauen.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Stefan Müller, hat gleich einen konkreten Vorschlag: „Als Nächstes muss man an die @Umwelthilfe ran.“
Die Deutsche Umwelthilfe steht in der Union ohnehin auf der Abschussliste, seitdem sie das Versagen der Bundesregierung in der Dieselaffäre immer wieder kritisiert. Vor Kurzem hat sogar der CDU-Parteitag beschlossen, dass die Gemeinnützigkeit der Umwelthilfe überprüft und dem Verein sämtliche Mittel aus dem Bundeshaushalt entzogen werden sollen. Doch so leicht wie bei Attac dürfte das nicht werden. Schließlich ist Umweltschutz in der Abgabenordnung ausdrücklich als gemeinnütziger Zweck festgeschrieben, das Attac-Urteil also nicht direkt anwendbar. Zittern müssen eher die Vereine, deren Ziele in der Abgabenordnung nicht vorkommen und die sich mit der politischen Bildung eine Hilfskonstruktion geschaffen haben. Während der Attac-Klage haben sich mehr als 80 Vereine und Stiftungen zu der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammengeschlossen, darunter Amnesty International und Campact. Die Allianz fordert nach dem Urteil ein schnelles Handeln der Politik: „Der Bundestag muss den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen sichern und zügig neue gemeinnützige Zwecke ins Gesetz schreiben.“
Die Grünen haben bereits einen Vorschlag in diese Richtung gemacht. In einem Antrag fordern sie, Tätigkeiten wie den Einsatz für Frieden, Menschenrechte oder gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Gesellschaft für gemeinnützig zu erklären. Weil die Grünen in der Opposition sind, hat der Antrag keine Chance. Doch Union und SPD können das Thema nicht einfach aussitzen. Im Koalitionsvertrag haben sie vereinbart: „Um die Kultur des zivilgesellschaftlichen Engagements und des Ehrenamts zu fördern und zu stärken, wollen wir das Gemeinnützigkeitsrecht verbessern.“ Das Thema steht in dieser Legislatur also noch auf der Tagesordnung, Koalitionskrach ist absehbar.
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