Vor einigen Tagen platzte Sigmar Gabriel der Kragen. Greenpeace betreibe „blauäugigen Ökopopulismus“, sagte der SPD-Wirtschaftsminister, als die Umweltschützer gegen seine Politik protestierten. „Man kann nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen – jedenfalls nicht, wenn man wirtschaftlich irgendwie überleben will.“ Wochenlang tobte in Deutschland der Kampf um die Zukunft der Kohle. Dann beschloss die Regierung ihren Aktionsplan Klimaschutz, damit sie sich auf der Klimakonferenz in Peru als Vorreiterin darstellen konnte. Es ist die wohl wichtigste klimapolitische Entscheidung in dieser Legislaturperiode – und Sigmar Gabriel hat sie vermasselt.
Es ist schon schlimm genug, dass die Bundesregierung ihr eigenes Klimaschutzziel wohl verfehlen wird. Aber noch dramatischer ist das Signal an die Welt: Wir kriegen die Energiewende nicht richtig hin, deshalb halten wir möglichst lange an der umweltschädlichen Kohle fest. Die einstige Vorreiterrolle ist endgültig dahin, die Glaubwürdigkeit auch. In den internationalen Verhandlungen wird Deutschland nicht viel bewegen können.
Neue Rollen
Als vor knapp 20 Jahren die erste UN-Klimakonferenz stattfand, war die Bundesrepublik für vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Heute sind es zwei Prozent. Nicht, weil Deutschland so weltmeisterlich gespart hätte. Nein, die Wirtschaft der Schwellenländer wächst und wächst. China hat damals weniger Klimagase als die Europäische Union ausgestoßen. Heute sind es drei Mal so viel.
Natürlich muss jedes noch so kleine Land seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Trotzdem ändern sich die Rollen: Deutschland kann aus eigener Kraft immer weniger am globalen CO2-Ausstoß verändern. Immer wichtiger wird jedoch, dass die Bundesrepublik beweist: Die Energiewende kann in einer Industrienation gelingen. Man kann also etwas für das Klima tun, ohne die Deindustrialisierung zu riskieren. Dann würden andere Länder mit hohen Emissionen nachziehen.
Wenig Vorgaben für Kohlekraft
Umweltministerin Barbara Hendricks hatte die undankbare Aufgabe, ihre Kabinettskollegen abzuklappern und auszuhandeln, in welchen Bereichen wie viele Treibhausgase eingespart werden. Im Jahr 2020 sollen es 40 Prozent weniger sein als 1990. Gabriel hat sich lange gegen Einschnitte in der Kohleverstromung gewehrt, immer aus Sorge um die Arbeitsplätze und die Gunst der Gewerkschaften. Doch dann kam aus seinem Ministerium ein Vorschlag, dem sogar Gabriel zustimmen konnte. Die Abschaltung von bestimmten Kohlekraftwerken wird nicht staatlich verordnet, aber die Industrie zu minimalen CO2-Minderungen verpflichtet. So könnten die Betreiber selbst entscheiden, welche alten Anlagen sie früher abschalten.
Aber mehr Zugeständnisse an den Klimaschutz will Gabriel nicht machen, weitere Vorgaben für die Kohleindustrie hat er bereits kategorisch ausgeschlossen. Und das ist ein großes Problem. Denn so ist das Klimaziel für 2020 nur unter den allergünstigsten Umständen erreichbar. Nur, wenn das Wirtschaftswachstum nicht höher ist als erwartet. Nur, wenn in Verkehr, Landwirtschaft und Wärmedämmung wirklich mehr getan wird als bisher. Kein Wunder, dass Grüne, Linke und Umweltverbände deutlich ambitioniertere Schritte fordern.
Die Situation ist ohnehin absurd genug. Alte Kohlekraftwerke produzieren immer mehr, obwohl die erneuerbaren Energien rasant wachsen und soviel Strom wie nie exportiert wird. Weil der europäische Emissionshandel nicht funktioniert, werden die weniger klimaschädlichen Gaskraftwerke vom Markt gedrängt. Und der Eon-Konzern will plötzlich grün werden, schaltet die fossilen Kraftwerke aber nicht aus, sondern will sie weiterverkaufen.
Hoffen auf die Aufwärtsspirale
Auf internationaler Ebene geht es mit dem Klimaschutz voran, zumindest bei den Ankündigungen. China und die USA sind vorgeprescht, Umweltschützer hoffen nun auf den „Beginn einer Aufwärtsspirale“. Die EU hat sich ein Mindestziel gesetzt, es ist also durchaus noch mehr möglich. Die Klimaforscher gehen davon aus, dass bei zwei Grad Erderwärmung die Grenze liegt, bis zu der die Folgen des Klimawandels noch kontrollierbar sind. Derzeit läuft aber alles auf eine globale Erwärmung von drei Grad hinaus.
Gemessen an dem Notwendigen sind die Ziele von China und den USA daher zu wenig. Aber man sollte auch die Rahmenbedingungen sehen: Bis vor wenigen Jahren hat sich China geweigert, überhaupt CO2 zu sparen – als Staat, in dem noch Menschen hungern. Und für US-Präsident Barack Obama ist es ohnehin schwer, Klimaschutz zu betreiben – am Parlament vorbei, wo die Republikaner in der Mehrheit sind.
Deutschland hingegen hat es leichter: Bürger und Parteien stehen hinter der Energiewende, Wind- und Sonnenstrom sind billig geworden, es gibt hierzulande eine Ökoindustrie, die vom Klimaschutz profitiert. Vielleicht werden die erneuerbaren Energien durch eine ambitionierte Politik am Ende so billig, dass sie weltweit konkurrenzfähig sind und die fossilen Rohstoffe im Boden bleiben. Selbst wer diesen Heilsversprechungen der Technik nicht glaubt: Je günstiger die Ökoenergie, desto einfacher der globale Klimaschutz. Doch der Großen Koalition fehlt derzeit der Mut, sich gegen die fossilen Konzerne durchzusetzen, die von den bestehenden Strukturen profitieren.
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