Sie sitzen unschuldig hinter Gittern. In Deutschland. Ihr einziges Verbrechen: Sie besitzen den falschen Pass. Abschiebehäftlinge gehören zu den Entrechteten unserer Gesellschaft. Sie haben oft traumatische Erlebnisse hinter sich, suchen Schutz in Deutschland, werden aber hier wie Straftäter behandelt und verstehen die Welt nicht mehr: Die Antirassistische Initiative Berlin hat dokumentiert, dass sich seit 1993 mehr als 60 Menschen in deutscher Abschiebehaft das Leben genommen haben.
Sechs Monate lang dürfen Flüchtlinge eingesperrt werden, damit sie ihrer Abschiebung nicht entgehen. Diese Zeit kann noch einmal um bis zu zwölf Monate verlängert werden. Im Durchschnitt sind die Menschen ungefähr einen Monat inhaftiert, schätzt der Verein Pro Asyl. Mehrere tausend Menschen sind wohl jedes Jahr betroffen, genaue Zahlen gibt es nicht.
Im vergangenen Monat hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die bisherige Praxis für unzulässig erklärt. Nun hoffen Flüchtlingsinitiativen, dass sich die Haftbedingungen bessern. Doch ob die Abschiebehäftlinge unterm Strich profitieren, ist unklar. Die ersten Erfahrungen sind gemischt. Und das Ende der Abschiebehaft bleibt in weiter Ferne.
Großzügige Regeln möglich
In mehreren Bundesländern wurden die Ausländer bis zum Urteil in normalen Gefängnissen mit Straftätern untergebracht. Laut Pro Asyl war das der Fall in Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dabei ist die EU-Richtlinie eindeutig: Falls ein Mitgliedsstaat ein reines Abschiebegefängnis hat, darf kein Flüchtling zusammen mit Strafgefangenen untergebracht werden. Der EuGH hat nun geurteilt: Das gilt auch dann, wenn ein Staat föderal organisiert ist wie die Bundesrepublik. Heißt: Die Bundesländer müssen entweder ein reines Abschiebegefängnis einrichten oder die Flüchtlinge in ein anderes Bundesland mit einer solchen Einrichtung bringen.
Zu den Haftbedingungen hat sich das Gericht zwar nicht geäußert. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich die Situation bessern wird. Im Strafvollzug ist vieles verboten, für Abschiebehäftlinge sind großzügigere Regeln möglich. Das Bundesinnenministerium erwartet daher „einige Liberalisierungen“ und auch die bisherigen Erfahrungen zeigen in diese Richtung.
Zelltüren verschlossen, Handy verboten
In Nordrhein-Westfalen beispielsweise waren die Flüchtlinge bislang in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren untergebracht. Die ehemalige Kaserne liegt mitten im Wald, gut abgeschottet von der Außenwelt. Hier sitzen Straftäter hinter Gittern, und bis vor wenigen Tagen waren hier auch die Abschiebehäftlinge untergebracht. Dann kamen sie nach Berlin, in eine eigene Einrichtung für Flüchtlinge.
Mohamed Nada hat den Umzug miterlebt. Der 41-jährige Ägypter beschreibt die Situation in Büren als „Katastrophe“: Auf der einen Etage sind die Zelltüren nachts verschlossen, auf der anderen sogar 23 Stunden am Tag. Handy und Bargeld sind verboten, an der Telefonzelle kostet ein Gespräch von wenigen Minuten fünf Euro. Es gibt nur sechs Computer, die die Häftlinge eineinhalb Stunden am Tag nutzen dürfen. E-Mail-Programme, Facebook und Skype sind gesperrt. Das Essen sei „wie Hundefutter“, aber Besucher dürfen keine Speisen mitbringen. „Ich fühlte mich, als ob ich kriminell wäre“, sagt Nada.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium lässt die Fragen des Freitags zu den Haftbedingungen unbeantwortet. In einer Pressemitteilung heißt es, die Abschiebehaft sei „anders als die Strafhaft organisiert“, beispielsweise gebe es „großzügige Regelungen, Besucher zu empfangen“.
Frank Gockel vom Bürener Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft“ trifft sich regelmäßig mit den Gefangenen und bestätigt die von Nada geschilderten miserablen Zustände. „Das sind Vollzugsmethoden, die mit Hochsicherheitsgefängnissen in Verbindung gebracht werden.“ Die Zellen würden regelmäßig durchsucht, Arztbesuche außerhalb der JVA gebe es nur in Hand- und Fußfesseln.
Kontakt zu Freunden ist schwierig
In Berlin sieht es zumindest ein wenig besser aus. Die Senatsverwaltung schreibt, dass die Zimmertüren lediglich geschlossen werden, um die Häftlinge zu zählen. Handys ohne Kamera und Internetzugang sind erlaubt, Bargeld ebenfalls. Und Besucher dürfen auch Essen mitbringen, solange erkennbar ist, was es ist. Internet gibt es zwar nicht, das soll sich aber ändern.
Trotzdem sind die Flüchtlinge aus Büren unzufrieden. „Wir sitzen den ganzen Tag nur rum, haben nur eine Stunde Freizeit“, sagt Nada. Gegen den Umzug nach Berlin hätten sie auch demonstriert. „Unsere Anwälte, unsere Familie, unsere Freunde sind in Nordrhein-Westfalen.“ Gerade Flüchtlinge haben meist nicht das Geld, um lange Strecken zurückzulegen. Auch für Frank Gockel vom Bürener Verein ist es nun schwieriger, den Kontakt zu halten.
Die Politik muss reagieren
Bringt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs den Flüchtlingen also unter dem Strich gar nichts? Das Bundesinnenministerium spricht von „praktisch eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten“ wegen der längeren Strecken. Zudem seien „die Freizeit- und Seelsorgeangebote in einer Justizvollzugsanstalt, in der Personen oft über lange Zeiträume verbleiben, typischerweise besser entwickelt als in Abschiebehafteinrichtungen, in denen sich die Betroffenen meist nur wenige Wochen aufhalten“.
In Wirklichkeit kommt es darauf an, wie die Politik jetzt reagiert. Werden nun in allen Bundesländern spezielle Abschiebegefängnisse eingerichtet, mit großzügigen Regeln für die Häftlinge – oder werden die Flüchtlinge durch die halbe Republik gefahren?
Ein störrischer SPD-Innenminister
In Düsseldorf wird nun überlegt, wie es mit der Justizvollzugsanstalt in Büren weitergeht. Möglich wäre, die Strafgefangenen in andere Gefängnisse zu bringen und die Flüchtlinge wieder in Büren einzuquartieren. Die Berliner Senatsverwaltung geht aber zumindest davon aus, dass die jetzt in der Hauptstadt inhaftierten Menschen nicht mehr nach Nordrhein-Westfalen zurückkehren. „Die Personen werden in der Regel von hier aus abgeschoben.“
Das Düsseldorfer Innenministerium gibt sich hingegen wortkarg: Die Fragen „der zukünftigen Durchführung der Abschiebehaft in NRW sind Gegenstand anstehender Beratungen des Innenausschusses“ im Landtag. Dem wolle die Behörde nicht vorgreifen.
Zuvor hat SPD-Innenminister Ralf Jäger aber so ziemlich alles getan, um den Abschiebehäftlingen das Leben schwer zu machen. Schon vor dem EuGH-Urteil hatte Gockel vom Bürener Verein gefordert: „Alle Gefangenen müssen noch am gleichen Tag entlassen werden.“ Jäger verfolgte jedoch eine andere Strategie: Er ließ mitteilen, die Abschiebehaft solle „fortentwickelt werden“. Die JVA in Büren wurde kurzerhand zu zwei Gefängnissen erklärt, eines für Abschiebehäftlinge, eines für Straftäter.
Doch damit kam der Innenminister nicht durch. Der Bundesgerichtshof entschied wenige Tage später, dass es sich um eine gewöhnliche Haftanstalt handelt. Acht Gefangene wurden entlassen, 21 jedoch weiter festgehalten und am nächsten Morgen nach Berlin gebracht. Gockel vom Bürener Verein vermutet, dass die Flüchtlinge der Reihe nach entlassen wurden und das gestoppt wurde, sobald es eine Einigung mit dem Land Berlin gab.
Freiheitsberaubung?
Ob das Festhalten über Nacht rechtens war, ist aber unklar. „Wir lassen prüfen, ob es sich um Freiheitsberaubung handelt“, sagt Gockel. Die Verantwortung trügen die Sacharbeiter der Ausländerbehörden in den Landkreisen. Sie hätten den Haftantrag unterschrieben.
Das Innenministerium äußert sich gegenüber dem Freitag nicht zu den Fragen, ob das Festhalten rechtens war und warum einige Flüchtlinge entlassen wurden, andere aber nicht. Auch die Frage nach möglichen Entschädigungen ignoriert die Behörde.
Laut Gockel waren seit dem 24. Dezember 2010, als die EU-Richtlinie korrekt hätte umgesetzt werden müssen, mehr als 5.000 Menschen in Büren gefangen – laut EuGH illegal. Bekommen sie jetzt Geld als Ausgleich? „Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Abschiebegefangener ohne sein Drängen eine Entschuldigung für unrechtmäßig erlittene Abschiebehaft erhielt“, sagt Gockel. „In der Regel müssen Entschädigungen eingeklagt werden.“
Doch das dürfte schwierig werden, vermutet Marei Pelzer von Pro Asyl. „Viele sind abgeschoben. Die werden auch nicht mehr klagen.“
Noch eine Klatsche vom Gericht
Es gibt noch eine zweite Gerichtsentscheidung, die Deutschlands bisherige Abschiebepraxis kritisiert. Wenige Tage nach dem EuGH-Urteil entschied der Bundesgerichtshof, dass viele der Flüchtlinge, die auf Grund der sogenannten Dublin-III-Verordnung in andere europäische Staaten überstellt werden sollten, zu Unrecht inhaftiert wurden. Der Begriff der „Fluchtgefahr“ sei im Gesetz nämlich nicht europarechtskonform definiert. Allein die Bundespolizei hat daraufhin 31 Abschiebegefangene entlassen, in den Haftanstalten der Bundesländer waren es womöglich noch mehr. Das Innenministerium weist jedoch darauf hin, dass die Haft immer noch möglich ist, wenn beispielsweise ein Flüchtling die Adresse wechselt und dies der Ausländerbehörde nicht mitteilt.
Das Ministerium plant aber auch bereits ein neues Gesetz mit einer neuen Definition der „Fluchtgefahr“. Ein Referentenentwurf ist bereits durchgesickert. Pro Asyl kritisiert eine „maßlose Ausweitung der Haftgründe“, sieht aber Chancen, auch das neue Gesetz vor Gericht anzufechten.
Abschiebehaft als letztes Mittel?
Eigentlich muss es um die Abschaffung der Abschiebehaft gehen. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, hat im Bundesrat aber keine Chance. Die Konservativen hängen an der Abschiebehaft. So erklärt das CDU-geführte Bundesinnenministerium: „Eine sinnvolle Steuerung von Zuwanderung – und hierzu gehört auch das Recht der Aufenthaltsbeendigung – ist ohne das Mittel der Abschiebungshaft nur schwer möglich.“
Doch obwohl Politiker ständig beteuern, die Haft werde nur als letztes Mittel angewandt, werden immer wieder Flüchtlinge leichtfertig und, wie sich später herausstellt, zu Unrecht weggesperrt. Pro Asyl berichtet über den Fachanwalt Peter Fahlbusch, von dessen 936 Mandaten fast die Hälfte unrechtmäßig in Haft waren. Die Bilanz aus Büren ist noch erschreckender: Nach eigenen Angaben hat der Verein mehr als 60 Gerichtsverfahren in den vergangenen zwölf Monaten begleitet, „und nicht eine Person war rechtmäßig inhaftiert“, wie Gockel sagt. Man mag sich nicht vorstellen, wie viele Häftlinge ohne die Unterstützung des Vereins auskommen müssen, auch kein Geld für einen Anwalt haben und nie zu ihrem Recht kommen.
Und selbst wenn alles juristisch korrekt abliefe: Warum werden Menschen eingesperrt, die ihr Leben retten wollen, die nichts verbrochen und nur das Pech haben, im falschen Land geboren zu sein? Abschiebungen sind schon schlimm genug, die Haft zuvor ist eine Katastrophe.
Dieser Text wurde für die Online-Ausgabe erweitert.
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