Ein Lobbyist als Kontrolleur

Gerald Hennenhöfer wechselt hin und her zwischen Staat und Industrie. Nun ist der ehemalige Eon-Manager zu Europas mächtigstem Atomaufseher geworden. Umweltschützer sind empört
Ausgabe 23/2013
Der 65-Jährige ist der Buhmann der Atomkraft- gegner, damit könne er aber „persönlich leben“. Er sieht sich selbst als Vermittler
Der 65-Jährige ist der Buhmann der Atomkraft- gegner, damit könne er aber „persönlich leben“. Er sieht sich selbst als Vermittler

Foto: Holger Hollemann/dpa

Es kommt nicht häufig vor, dass Tausende Menschen gegen einen Abteilungsleiter in einem Bundesministerium unterschreiben. Es kommt auch nicht häufig vor, dass Bundestagsabgeordnete mehr über diesen Abteilungsleiter wissen wollen und dazu einen zwölfseitigen Fragekatalog an die Regierung richten.

Dieser Abteilungsleiter heißt Gerald Hennenhöfer, ist zuständig für die Sicherheit deutscher Atomreaktoren und bekannt für seine mehrfachen Seitenwechsel: Atomaufsicht, Atomkonzern, Atomaufsicht. Jetzt überwacht er wieder jene Industrie, die ihn einst bezahlte. Die SPD-Umweltpolitikerin Ute Vogt bezeichnet ihn als „Chefverwalter der deutschen Atomlobby“.

Vor wenigen Tagen ist der 65-Jährige zum obersten Strahlenschützer der Europäischen Union geworden, oder korrekt: zum Vorsitzenden der Gruppe der Leiter der europäischen Atomaufsichtsbehörden. Am Dienstag und Mittwoch wird er zum ersten Mal eine Konferenz der Gruppe leiten.

Der Bock als Gärtner

Umweltschützer sind empört. Von einem „politisch verhängnisvollen Signal“ spricht etwa Jürgen Trittin von den Grünen. „Der Bock ist als Gärtner nicht weniger ungeeignet, wenn ganz Europa zu seinem Garten wird.“ Trittin hat eine besondere Beziehung zu Hennenhöfer: Als der Grünen-Politiker 1998 zum Umweltminister wurde, schmiss er den Abteilungsleiter raus. Mit ihm sei der Atomausstieg nicht durchsetzbar gewesen, sagt Trittin heute.

Hennenhöfer jedoch ließ sich sein Fachwissen vergolden und wechselte zum Energiekonzern Viag, der später zu Eon wurde. Als „Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik“ saß Hennenhöfer fortan auf der anderen Seite der Verhandlungen über das Ende der Atomenergienutzung.

Er selbst sieht sich als Vermittler. „Es war bekannt, dass ich für einen Interessenausgleich stehe und dass ich Erfahrungen darin hatte, Konsensgespräche zu führen“, sagt er dem Freitag. Die Industrie konnte lange Restlaufzeiten für ihre Reaktoren herausschlagen, Hennenhöfer verließ den Eon-Konzern und arbeitete in einer Rechtsanwaltskanzlei, unter anderem für den damaligen Betreiber des Atommülllagers Asse.

"Damit kann ich persönlich leben."

Im Jahr 2009 wurde Hennenhöfer erneut zur Personalie, als mit der schwarz-gelben Bundesregierung das Umweltministerium vom CDU-Mann Norbert Röttgen übernommen wurde und der den alten Abteilungsleiter zurückholte.

Röttgen habe an sein „Verantwortungsbewusstsein appelliert“, sagt Hennenhöfer. „Dass ich dem nachkomme, gehört zu meinem Selbstverständnis als Beamter.“ Durch das Beamtengesetz sei er dazu auch verpflichtet gewesen. „Dass ich von Atomkraftgegnern zum Buhmann gemacht worden bin, aus politischen Gründen, damit kann ich persönlich leben.“

Tatsächlich bekam sein Dienstherr Röttgen einen bösen Brief von der Initiative „Ausgestrahlt“ und fast 12.000 Bürgern: „Einen Atomlobbyisten, der skrupellos und bewusst alle Risiken ausblendet, an die Spitze der Atomaufsicht zu setzen, ist eine Unverschämtheit und ein Affront gegen alle, die auf eine seriöse Politik aus Ihrem Haus gehofft haben.“ Es nützte nichts, selbst Röttgen-Nachfolger Peter Altmaier (CDU) beschäftigte Hennenhöfer weiter, über das Renteneintrittsalter hinaus.

AKW abschalten verboten

Wie trifft Hennenhöfer seine Entscheidungen als Abteilungsleiter? „Es muss ständig abgewogen werden zwischen dem Zweck eines laufenden Kernkraftwerks, Strom zu erzeugen, und den sicherheitstechnischen Aspekten.“ Und was kommt dabei heraus?

Im Jahr 1997 wurde der hessischen Atomaufsichtsbehörde vom Bundesministerium verboten, den Reaktor Biblis A abzuschalten. Stattdessen wurde ein Nachrüstungsprogramm verordnet. In den neunziger Jahren wurde Sachsen-Anhalt zum Weiterbetrieb des Atommülllagers Morsleben gedrängt. Heute gilt die Grube als einsturzgefährdet.

Auch nach seinem Intermezzo in der Wirtschaft hat Hennenberger umstrittene Entscheidungen gefällt. Als im Jahr 2010 ein Riss in einer Leitung des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld entdeckt wurde, ließ Hennenhöfer den Reaktor drei Monate bis zur Revision weiterlaufen – obwohl der Unterabteilungsleiter im Ministerium dagegen war. Die atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sylvia Kotting-Uhl, spricht von einem „historischen Tabubruch der deutschen Atomaufsicht“.

"Hinreichender Abstand" zu Eon-Konzern?

Besonders brisant: Das AKW wurde und wird von Eon betrieben. Hennenhöfer sieht dennoch keinen Interessenkonflikt. „Ich war schon sechs Jahre aus dem Unternehmen ausgeschieden. Da sollte man mir zubilligen, hinreichenden Abstand zu haben.“

Der Verein LobbyControl hält die Seitenwechsel trotzdem für problematisch. Die Initiative nennt Hennenhöfer in ihrem Online-Lexikon LobbyPedia. Dort steht, er „verkörpert wie kaum ein anderer in Deutschland das Prinzip Drehtür“. LobbyControl fordert eine dreijährige Auszeit für Politiker und Spitzenbeamte, die in die Wirtschaft wechseln. Dass Hennenhöfer nun auch zu Europas oberstem Atomaufseher geworden ist, stößt bei LobbyControl-Expertin Heidi Bank auf Unverständnis. "Ich finde, dass er auf jeden Fall die falsche Besetzung ist."

Seitenwechsel – kein Einzelfall

Im Verwaltungsverfahrensgesetz gibt es auch einen Paragrafen, der Interessenkonflikte ausschließen soll. Öffentlich diskutiert wurde das, als unter Röttgen mit den AKW-Betreibern die Laufzeitverlängerung ausgehandelt wurde und Hennenhöfer Auskünfte zu Fachfragen erteilte. Hennenhöfer selbst war an den Verhandlungen laut Umweltministerium nicht beteiligt.

Das hätte auch rechtlich problematisch werden können, denn im Verwaltungsverfahrensgesetz heißt es, dass für eine Behörde nicht tätig werden darf, "wer außerhalb seiner amtlichen Eigenschaft in der Angelegenheit ein Gutachten abgegeben hat oder sonst tätig geworden ist". Hennenhöfer hatte die Reststrommengen, über die nun gestritten wurde, während Rot-Grün als Eon-Manager ausgehandelt.

Hennenhöfer ist nicht der einzige Seitenwechsler, der sich bei der Atomindustrie verdingt hat. Bruno Thomauske war bis 2003 im Bundesamt für Strahlenschutz tätig, zuletzt als Abteilungsleiter für Endlagerprojekte. Dann ging er zu Vattenfall, wurde Chef der Atomkraftsparte, bis er im Jahr 2007 nach Zwischenfällen in den AKW Krümmel und Brunsbüttel geschasst wurde. Seitdem ist er selbstständig.

Sicherheitsniveau unterschiedlich

Und Hennenhöfer? Kümmert sich um die Atomaufsicht in Europa. „Wir wollen, dass die nationale Verantwortung gestärkt wird, gleichzeitig aber, dass das Sicherheitsbewusstsein aller Beteiligten angehoben wird.“ Wie sieht es mit den Reaktoren in anderen Ländern aus? "Wir vermeiden es grundsätzlich, mit dem Finger auf andere zu zeigen", sagt der Abteilungsleiter im Umweltministerium. Aber: "Dass das Sicherheitsniveau in Europa unterschiedlich ist, ist eine Binsenweisheit."

Das deutsche System mit Atomaufsichtsbehörden auf Länderebene und einer Bundesaufsicht sei "weltweit einmalig". "Es ist zwar kompliziert, aber im Ergebnis sehr sicherheitsorientiert, ausgewogen und transparent."

Nebenher mischt Hennenhöfer auch noch mit bei der deutschen Endlagersuche. Der 65-Jährige hat die Erkundung des Salzstocks in Gorleben immer mitgetragen. Zuletzt sagte er im Gorleben-Untersuchungsausschusses des Bundestags, es habe keine "fachlichen Gründe" gegeben, die Erkundung einzustellen. Fraglich, ob es mit Hennenhöfer als Abteilungsleiter einen echten Neuanfang bei der Endlagersuche geben wird.

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