„Es braucht ein Gesetz“

Interview Whistleblower setzen sich oft großen Gefahren aus. Sie müssen besser geschützt werden, sagt die Expertin Annegret Falter
Ausgabe 16/2016
Mahnend: Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning
Mahnend: Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning

Bild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Anonymität sollten die Briefkastenfirmen bieten, doch mit den Panama Papers wurden die oft dubiosen Geschäfte an das Licht der Öffentlichkeit gebracht – dank eines unbekannten Whistleblowers.

der Freitag: Frau Falter, Sie arbeiten seit Jahren im deutschen Whistleblower-Netzwerk. Als die Panama Papers an die Öffentlichkeit kamen, wurde viel über Wladimir Putin und Baschar al-Assad berichtet und weniger über westliche Politiker. Hat der Whistleblower vielleicht unvollständige Informationen geliefert?

Annegret Falter: Das lässt sich nicht nachprüfen. Aber es gibt keine Anzeichen dafür. Soweit bekannt ist, hat der Informant keinen Einfluss genommen, weder auf die Reihenfolge der Veröffentlichung noch auf den Inhalt. Die Tatsache, dass im Wesentlichen mit Putin und Assad aufgemacht worden ist, geht also nicht auf seinen Wunsch zurück.

Vielleicht hatte die Firma Mossack Fonseca einfach in manchen Ländern mehr prominente Kunden als in anderen. Trotzdem wittern manche hinter der Veröffentlichung der Panama Papers eine Kampagne des Westens.

Das halte ich für Quatsch. Aber solche Theorien werden begünstigt durch die große Intransparenz. Die Journalisten geben auf Fragen nach ihren Veröffentlichungskriterien keine klaren Antworten. Auch Fragen nach etwaigen deutschen Inhabern von Briefkastenfirmen oder deutschen Steuerbetrügern werden ausweichend beantwortet. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass alle Personen, die mit der Veröffentlichung der Daten befasst sind, Angst vor Strafverfolgung und Schadenersatzklagen haben. Mossack Fonseca hat öffentlich gedroht, unnachsichtig alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Veröffentlichung der „unrechtmäßig erlangten“ Informationen zu verhindern oder im Nachhinein zu bestrafen.

Sind Journalisten und Whistleblower wirklich bedroht? Vor Gericht wird doch auch berücksichtigt, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an den Informationen hat.

Da wird abgewogen und dabei haben die Richter einen großen Ermessensspielraum und die Betroffenen eine entsprechend hohe Rechtsunsicherheit.

Dem Gericht bleibt doch nichts anderes übrig als abzuwägen.

Ja, aber bei gravierenden Missständen sollte die Meinungsfreiheit – ein Menschenrecht! – immer Vorrang haben vor der Geheimhaltung. Das wird leider nicht immer so gesehen.

Was droht Whistleblowern vor Gericht?

In Deutschland kann die unbefugte Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen mit einer Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Zudem drohen Schadenersatzforderungen. Dem gesetzlichen Schutz des wirtschaftlich wichtigen Geheimnisses steht kein gesetzlicher Schutz des demokratisch wichtigen Whistleblowers gegenüber.

Es gibt die Leute, die aus Überzeugung Informationen weitergeben. Andere verschicken Steuerdaten-CDs, um Geld zu verdienen. Sind Whistleblower immer gut?

Die Frage ist, ob Personen, die nur aus Geldgier handeln, überhaupt Whistleblower sind. Eigentlich nicht. Aber es gibt Grenzfälle. Einerseits sind die Daten im öffentlichen Interesse, anderseits ist der Eigennutz natürlich problematisch.

Unterstützen Sie solche Leute?

Mit dieser Frage waren wir bisher noch nicht konfrontiert. Wir hatten immer mit Leuten zu tun, die in erster Linie uneigennützig handeln.

Sind das Verräter?

Nein, oft werden sie zwar als Verräter oder Denunzianten bezeichnet, häufig von Unternehmen oder Behörden, die selber krumme Sachen zu verbergen haben. Aber es gibt klare Unterschiede: Ein Whistleblower handelt überwiegend im öffentlichen Interesse, ein Denunziant zum eigenen Vorteil. Ein Whistleblower geht ein Risiko ein, ein Denunziant nicht. Ein Whistleblower legt sich an, ein Denunziant biedert sich an. Diese Unterschiede werden auch den Bürgerinnen und Bürger an Beispielen wie den Panama-Papieren zunehmend deutlich.

Gibt es ein deutsches Wort für Whistleblower?

Nein, es gibt keine vernünftige Übersetzung, deswegen verwenden wir auch den Begriff des Whistleblowers. Inzwischen hat der sich auch im Deutschen verfestigt.

Was ist mit dem „Hinweisgeber“?

Dieser Begriff hat oft einen leicht denunziatorischen Beigeschmack. Außerdem wird er häufig verwendet im Kontext von Hinweisgebersystemen. Diese werden in Organisationen, Behörden und Unternehmen eingerichtet, um eventuelle Informationen über Missstände in geregelte Bahnen zu lenken. Die Verantwortlichen erhalten die Gelegenheit, die Missstände zu beseitigen. Das sind sozusagen betriebsinterne Feuermelder – die es aber auch ermöglichen, alles unter den Teppich zu kehren.

Wie bitte?

Im Prinzip sind Hinweisgebersysteme in Unternehmen sinnvoll. Es gibt jedoch auch Informationen, die betreffen die ganze Gesellschaft und müssen deswegen auch von der ganzen Gesellschaft diskutiert werden. Denken Sie etwa an Edward Snowden. Da bin ich froh, dass er die Informationen nach außen gegeben hat. Die Frage lautet doch: Wie viel Freiheit wollen wir aufgeben, um angeblich mehr Sicherheit zu gewinnen? Das kann nicht die NSA entscheiden, auch nicht die Regierung, auch nicht der Whistleblower, sondern nur die Gesellschaft. Interne Hinweisgebersysteme können eine Veröffentlichung verhindern. Deshalb werde ich nie verstehen, warum Arbeitgeber nicht dankbar nach der Möglichkeit eines Gesetzes greifen, das eine Stufenregelung vorsieht.

Was heißt Stufenregelung?

Man spricht als Whistleblower zuerst mit dem Vorgesetzten. Wenn man Anhaltspunkte dafür hat, dass der selbst für den Missstand verantwortlich ist, kann man sich an die nächsthöhere Stelle im Unternehmen wenden. Wenn zu vermuten ist, dass innerhalb des Betriebes keine Abhilfe geschaffen wird, nur dann darf man zu einer zuständigen externen Stelle gehen. Das kann die Staatsanwaltschaft sein, eine Aufsichtsbehörde oder eine neue Behörde, die zum Beispiel nach dem Vorbild von Datenschutzbeauftragten eingerichtet werden könnte. Sich an die Öffentlichkeit zu wenden, das ist erst der allerletzte Schritt, der wird in manchen Gesetzentwürfen sehr erschwert und in anderen gar nicht erwähnt.

Bisher gibt es in Deutschland kein eigenes Gesetz zum Schutz von Whistleblowern.

Ja, das ist ein großes Problem.

Eigentlich können doch nur kriminelle Firmen dagegen sein.

Viele Unternehmen sind aber dagegen. Die Arbeitgeberverbände argumentieren, dass mit dem Paragrafen 612a des Bürgerlichen Gesetzbuchs bereits ausreichender Whistleblowerschutz gewährleistet sei. Darin heißt es sinngemäß: Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, wenn der in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Dann verweisen die Gegner eines neuen Gesetzes noch auf entsprechende Urteile vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesarbeitsgericht. Im Bundestag war es bisher immer die CDU, die einen weitergehenden Whistleblower-Schutz verhindert hat.

Was sollte im Gesetz auf jeden Fall drinstehen?

Ganz wichtig ist die Wahlfreiheit für den Whistleblower. Dass er nicht zwingend eine Stufenregelung einhalten muss, sondern selber entscheiden kann, ob er das Problem betriebsintern zu lösen versucht oder ob er sich an eine externe Stelle wendet. Die SPD hatte das auch vorgeschlagen, das war 2012. Damals war sie in der Opposition. Aber jetzt an der Regierung hat sie den Gesetzentwurf begraben. Erst jetzt mit den Panama Papers erinnert sie sich wieder daran.

Was ist mit Whistleblowern, die die Öffentlichkeit informieren wollen?

Diese Möglichkeit, direkt an die Medien zu gehen, sollte es auch geben. Das ist allerdings in keinem der fünf Gesetzentwürfe vorgesehen, die in den vergangenen Jahren diskutiert wurden. Der Whistleblower geht ein unkalkulierbares Risiko ein.

Mit der Stufenregelung wird auch anonymes Whistleblowing schwierig: Wenn ich einen Missstand erst intern beseitigen will und dann die Informationen anonym an die Öffentlichkeit gebe, ist doch sofort klar, dass ich das war.

Ja, die anonyme Veröffentlichung ist dann praktisch unmöglich. Die ist aber sowieso risikoreich. Ganz oft lässt sich rekonstruieren, wer welche Informationen hatte.

Was sind denn die größten Risiken für anonyme Whistleblower? Welche Tipps geben Sie denen?

Auf keinen Fall Rechner oder andere Geräte im Unternehmen benutzen. Mit der Vorratsdatenspeicherung lässt sich zudem zehn Wochen lang nachprüfen, mit wem ich telefoniert habe. Da muss man also auch aufpassen. Und im persönlichen Kontakt nur solchen Personen Informationen geben, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, etwa Journalisten.

Woran wird am häufigsten erkannt, wer der Whistleblower ist?

An der veröffentlichten Information. Gerade bei brisanten oder komplizierten Sachverhalten haben in der Regel nur wenige Leute Zugang und die kann man leicht abchecken. Wenn man vorher im Kollegenumfeld irgendwas kritisiert hat, ist das bereits auffällig. Schnell ist man im Blickfeld derjenigen, die Ermittlungen anstellen.

Gibt es noch andere Methoden, Whistleblower zu finden?

Geheime Dokumenten in Untersuchungsausschüssen werden beispielsweise nicht genau gleich an alle Personen gegeben, sondern es werden winzige Kleinigkeiten verändert. Das führt dazu, dass geleakte Papiere aus Vorsicht oft nicht mehr veröffentlicht werden.

Wenn eine Person zu Ihnen kommt und sagt: Ich möchte Whistleblower werden. Wie helfen Sie der?

Wir vom Whistleblower-Netzwerk geben nur generelle Auskünfte und machen keine juristische Einzelfallberatung. Wir bemühen uns aber, sachkundige Anwälte zu vermitteln. Außerdem geben wir Erfahrungen weiter, treffen uns zum Teil persönlich mit den Leuten, aber weisen sie darauf hin, wenn wir kein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Falls jemand überlegt, ob er an die Öffentlichkeit gehen soll, weisen wir ihn oder sie auf die persönlichen Risiken hin, aber auch darauf, wie wichtig es sein könnte, dass gravierende Missstände oder Gefahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Wir tendieren allerdings zu einer sehr vorsichtigen Beratung, weil sich der Whistleblower großen Risiken aussetzt.

Sie bremsen eher?

Nein, wir konfrontieren die Person wahrheitsgemäß mit den Risiken, die sie eingeht. Es gibt hierzulande kein Whistleblower-Schutzgesetz. Die Rechtsunsicherheit ist groß, der Arbeitsplatzverlust ist eine konkrete Gefahr. Selbst wenn der Whistleblower am Ende Recht bekommt, kann das über viele Instanzen gehen, während dieser Zeit bekommt er kein Gehalt. Im Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch hat das Verfahren mehr als sechs Jahre gedauert. Sie hatte auf unerträgliche Zustände in einem Altenheim hingewiesen und damit zur gesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit alten und hilflosen Menschen beigetragen. Sie hat erst vorm Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen.

Der Arbeitsplatzverlust ist nicht das einzige Risiko.

Ein großes Problem ist das Mobbing. In allen Fällen, die uns bekannt sind, gab es auch Kollegen, die den Whistleblower als Nestbeschmutzer gesehen haben. Üble Nachrede ist da keine Seltenheit. Die psychische und oft auch die physische Gesundheit wird beeinträchtigt, bei fast allen, die so etwas länger durchstehen. Hinzu kommen vielleicht Repressalien des Arbeitgebers. Als Beamter kann man versetzt werden oder bekommt unberechtigterweise Disziplinarverfahren an den Hals. Häufig führt das letztlich auch zu privaten Schwierigkeiten. Der Gesetzgeber muss diese unhaltbaren Zustände endlich beenden und den Whistleblower schützen.

Gibt es Whistleblower, die ihr Handeln im Nachhinein bereuen?

Es mag immer wieder Phasen geben, in denen das der Fall ist. Aber am Ende überwiegt der berechtigte Stolz, Zivilcourage gezeigt und wichtige Veränderungen bewirkt zu haben.

Annegret Falter ist Vorsitzende des deutschen Whistleblower-Netzwerks e.V. Die Diplom-Politologin war viele Jahre lang Mitglied in der Jury des Whistleblower-Preises

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