Gabriel im CETA-Rausch

SPD Der Wirtschaftsminister findet auf dem Parteitag eine Mehrheit für das umstrittene Handelsabkommen zwischen EU und Kanada. Bei den Wählern dürfte das nicht gut ankommen
Beliebt macht sich der SPD-Chef derzeit nicht
Beliebt macht sich der SPD-Chef derzeit nicht

Bild: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Sigmar Gabriel hat die SPD auf Linie gebracht. CETA soll kommen, das sei ein „Riesenschritt nach vorn“. Der Handelsvertrag werde Wohlstand und Wachstum nach Europa und Kanada bringen. Und überhaupt: Wenn das fertig ausgehandelte Abkommen noch gekippt würde, könnten die Spielregeln der Weltwirtschaft künftig von den USA und China ausgehandelt werden, warnt Gabriel. Kurz: Die Handlungsfähigkeit Europas wäre in Gefahr!

Auf dem Kleinen Parteitag der Sozialdemokraten hat der SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister nun eine Mehrheit der Delegierten hinter sich gebracht. Trotz massiver Bedenken großer Teile der Parteibasis darf Gabriel im EU-Ministerrat dem CETA-Abkommen zustimmen. Gabriel will sein Projekt offenbar unbedingt durchbringen – auch wenn es seiner Partei und ihm letztlich womöglich schadet. Bei vielen Wählern dürfte das Ja zu CETA auf Wut oder Enttäuschung stoßen, andere sind womöglich ernüchtert und haben die Hoffnung schon aufgegeben. Beliebt macht sich der SPD-Chef derzeit jedenfalls nicht.

Was sagen die Wähler?

Noch am Wochenende waren in sieben deutschen Städten hunderttausende Menschen gegen die Handelsabkommen CETA und TTIP auf die Straße gegangen. Vielleicht hat Sigmar Gabriel die Zahlen über die Teilnehmer der großen Demo im vergangenen Jahr gelesen. Protestforscher haben die Demonstranten befragt und die allermeisten wählen die Linkspartei oder die Grünen. Nur sechs Prozent würden ihre Stimme der SPD gehen. Können Gabriel die Demos also egal sein?

Hinter jedem Teilnehmer stehen mehrere Menschen mit ähnlich kritischer Haltung, die lediglich nicht demonstrieren gehen. Die CETA-kritischen Organisationen Campact, BUND und Greenpeace haben das Umfrageinstitut TNS Emnid beauftragt, potentielle SPD-Wähler zu befragen, also diejenigen, die sich vorstellen könnten, bei der Bundestagswahl die Partei zu wählen. Ergebnis: Bei der generellen Einstellung zu CETA halten sich Befürworter und Gegner etwa die Waage. Ein Drittel hält das Abkommen eher für eine „gute Sache“, ein anderes Drittel eher für eine „schlechte Sache“, die restlichen sind unentschlossen. Wenn es allerdings um die vorläufige Anwendung von CETA geht, schon bevor Bundestag und Bundesrat zugestimmt haben, sehen die Zahlen eindeutig aus: Nur 16 Prozent finden das gut, 69 Prozent sind dagegen. Und Gabriel hat genau das vor.

Vorläufig als Dauerzustand

Zwar soll es zuvor einen „ausführlichen Anhörungsprozess mit den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft“ geben, auf dem „die kontrovers diskutierten Fragen erörtert und Lösungsansätze entwickelt werden“. Aber dann kann das Abkommen in Kraft treten oder zumindest Teile davon. Die vorläufige Anwendung könnte sogar zum Dauerzustand werden, fürchten Kritiker. Bei Attac etwa heißt es, dass nur die Vertragsparteien die vorläufige Anwendung aufkündigen können (im Fall der EU: die Kommission und der Rat mit qualifizierter Mehrheit), nicht jedoch einzelne EU-Mitgliedstaaten.

Und Gabriel? Er drückt CETA durch. Aus eigener Überzeugung, aber sicherlich auch, weil er zur Bundestagswahl im kommenden Jahr etwas vorweisen will und nicht als Wirtschaftsminister dastehen möchte, der viel zu lange an einem gefährlichen Projekt festgehalten hat. Die Delegierten auf dem Parteitag haben sich von seinem Kompromissangebot („Anhörungsprozess“) einlullen lassen oder hatten schlicht Angst, dass sie ihren Parteichef in der öffentlichen Wahrnehmung schwächen, wenn sie gegen ihn stimmen.

Ewiger Juniorpartner der Union

Und die Wähler? Gabriel tat die Bevölkerung in Bezug auf Handelsabkommen schon mal als „reich und hysterisch“ ab. Für die SPD könnte diese Ignoranz jedoch gefährlich werden. Für einige Bürger dürfte die CETA-Frage durchaus den Ausschlag geben bei der Wahlentscheidung. Das Thema bringt Massen auf die Straße, wie schon seit langer Zeit nicht mehr.

Langfristig versperrt Gabriel mit seiner Politik auch den Weg für ein linkes Regierungsbündnis. Wenn die Zusammenarbeit mit Linkspartei und Grünen nicht klappt, bleibt der SPD nur die Rolle des ewigen Juniorpartners der Union. Gabriel kann dann höchstens Vizekanzler bleiben, wenn überhaupt. Die SPD wird in der Regierung kaum Akzente setzen können. Und die Umfragewerte werden weiter sinken.

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