Gabriels Vorratsdaten-Realitätsverweigerung

Unwissen Nun kommt die anlasslose Massensammlung von sensiblen Information. Sigmar Gabriel hat zuvor dafür geworben – mit Argumenten, die seine Inkompetenz zeigen
Können diese Augen lügen?
Können diese Augen lügen?

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Die Pressekonferenz zeigt, wer im Koalitionsstreit gewonnen hat: SPD-Justizminister Heiko Maas antwortete knapp auf drei Fragen, CDU-Innenminister Thomas de Maizière nahm sich deutlich mehr Zeit und erläuterte ausführlich das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Zehn Wochen lang sollen sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten gespeichert werden – ohne irgendeinen Anlass. Eigentlich ist der Justizminister zuständig, der Kompromiss trägt aber die deutliche Handschrift des Innenministers.

Dass sich die CDU durchsetzen konnte, hat sie auch Sigmar Gabriel zu verdanken. Der SPD-Vorsitzende hat sich in letzter Zeit deutlich für Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Warum, darüber lässt sich nur spekulieren. War es ein Deal mit dem Koalitionspartner, für den Gabriel etwas anders versprochen bekommen hat? Fürchtet er eine Rüge der EU-Kommission, wenn Deutschland die europäische Richtlinie nicht umsetzt? Will Gabriel die SPD zur neuen Partei der inneren Sicherheit umbauen und damit der Union die Wähler abspenstig machen? Ist es Gabriels persönliche Überzeugung, die er lange versteckt hielt? Will er die Law-and-Order-Fraktion in seiner Partei beruhigen? Oder ist es schlicht sein Unwissen über die Vorratsdatenspeicherung?

NSU und Breivik – da hätte doch...

Seine Inkompetenz hat er jedenfalls mehrmals unter Beweis gestellt. Zuletzt durch seine Äußerung zu der rechten Mörderbande NSU und dem geplanten Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. „Hätten wir das bereits zum Zeitpunkt der ersten NSU-Morde gehabt, hätten wir weitere vermutlich verhindern können“, sagte Gabriel der Rheinischen Post. Aha? Die Polizei hätte die Telefonverbindungen der Opfer überprüfen können – die Mörder haben dort aber wohl kaum vorher angerufen. Das Problem war vielmehr, dass die Polizei einseitig ermittelte und von „Döner-Morden“ ausging, verübt von der türkischen Mafia oder anderen Ausländern.

Gabriel fallen aber noch mehr unsinnige Beispiele ein. Die Vorratsdatenspeicherung „kann uns durch eine schnellere Aufdeckung von Straftaten helfen, die nächste Straftat zu verhindern“, sagte er im Deutschlandfunk. „Das ist die Erfahrung gewesen der Norweger bei dem Attentat von Herrn Breivik, einem rechtsradikalen Attentäter“. Der Fall ging durch alle Medien – auch Gabriel müsste wissen, dass Breivik direkt festgenommen wurde und die Vorratsdatenspeicherung damit nichts zu tun hatte. Wie konnte es auch anders sein? Norwegen hat keine Vorratsdatenspeicherung – das war damals nicht anders als heute.

Es gibt noch etliche Aussagen Gabriels zur Vorratsdatenspeicherung, bei denen er weitere Dinge durcheinanderbringt: Welche Regierung zum ersten Mal einen Gesetzentwurf einbrachte, wann das Bundesverfassungsgericht das Projekt stoppte und was das mit der SPD-Kritik zu tun hat. Die taz hat dies netterweise aufgeklärt.

Natürlich muss ein Parteivorsitzender nicht alle Details eines Regierungsprojekts kennen. Aber falsche Tatsachen zu behaupten, ohne das später zu korrigieren – das ist peinlich.

Der Leidtragende ist nun Heiko Maas. Er bekommt für den Gesetzentwurf derzeit einen Shitstorm im Internet ab. Natürlich werden ihm auch frühere Äußerungen unter die Nase gerieben: „#VDS lehne ich entschieden ab“, hat er etwa Ende letzten Jahres noch getwittert. Jetzt muss er den Kompromiss öffentlich verteidigen. Aber das ist schließlich keine neue Erfahrung in der Großen Koalition.

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