Gefährliche Fracht

Atommüll Erstmals sollen Castoren per Schiff durch Deutschland transportiert werden. Kann das sicher sein?
Ausgabe 22/2017

Wir paddeln uns x-tausendmal quer! Wird das der neue Slogan der deutschen Anti-AKW-Bewegung? In diesem Jahr soll hochradioaktiver Atommüll erstmals per Schiff durch Deutschland transportiert werden. Umweltschützer wollen auf dem Wasser demonstrieren. Einen Vorgeschmack gab es vor eineinhalb Wochen: Rund 150 Aktivisten paddelten als „Protestflotte“ einen Teil der geplanten Route auf dem Neckar entlang, ausgerüstet mit Anti-Atom-Fahnen und begleitet von überdimensionierten gelben Badeenten, denen sie Piratentuch und Augenklappe verpasst hatten. Noch ist alles ein Schönwetter-Ausflug. Doch wenn es ernst wird, wollen sie die Castoren mit ihren Booten blockieren.

Bekannt sind Atommüll-Transporte bislang vor allem wegen der Proteste rund um Gorleben, doch wegen des Neustarts in der Endlagersuche rollen derzeit keine Castoren ins Wendland. Atommüll wird aber trotzdem transportiert – zum Beispiel auf dem Neckar. Im Februar wurde das mit leeren Castoren geprobt, nun hat der Energiekonzern EnBW die Genehmigung erhalten. Noch in diesem Jahr soll die radioaktive Fracht aus dem inzwischen abgeschalteten Reaktor Obrigheim zum Zwischenlager am noch laufenden AKW Neckarwestheim gebracht werden. Der genaue Termin wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten.

Damit erlebt Deutschland eine Premiere: Die Castoren wurden bereits oft auf der Schiene oder der Straße transportiert, sogar schon über das Meer – aber noch nie wurde hochradioaktiver Müll auf deutschen Binnengewässern bewegt. Kann das sicher sein? Und was heißt das für den Protest, wenn sich weder Straße noch Schiene besetzen lassen? In Baden-Württemberg ist der Streit schon voll entbrannt: Der grüne Umweltminister Franz Untersteller befürwortet den Transport, Atomkraftgegner werfen ihm vor, als „Pressesprecher“ des Atomkonzerns EnBW zu fungieren.

Warum sollen die Castoren überhaupt per Schiff transportiert werden? EnBW sieht vor allem den Vorteil, dass „die Kraftwerke Obrigheim und Neckarwestheim direkt am Neckar liegen, so dass die Be- und Entladung von Schiffen auf kurzem Wege erfolgen kann“. Auf diese Weise würden „ausgedehnte Straßensperrungen“ weitgehend vermieden. Im Zwischenlager Neckarwestheim sind noch Plätze frei – warum also nicht?

Kritik am Zwischenlager

Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit hat bis zu acht Transporte von insgesamt 15 Castoren mit 342 Brennelementen genehmigt. Während Gegner der Kernkraft von einem „Persilschein für die Atommüll-Verschiebung“ sprechen, weist die Behörde darauf hin, dass sie die Erlaubnis erteilen muss, sofern alle Sicherheitsanforderungen erfüllt sind. EnBW verschwendete keine Zeit und hat direkt begonnen, die ersten Castoren zu beladen. Das Unternehmen rechnet mit fünf Transporten, alle in diesem Jahr.

Eingesetzt werden sollen ein Lastschiff sowie zwei Schubschiffe, von denen eines als Ersatz fungiert und beim Anlegen helfen soll. Die Strecke ist etwa 50 Kilometer lang, es müssen mehrere Schleusen passiert werden. Aktivisten rechnen mit einer Fahrzeit von zehn bis zwölf Stunden. Weil das Be- und Entladen des Schiffes so lange dauert, sei von mindestens drei Tagen für jeden Transport auszugehen. EnBW rechnet konservativer: Die Transporte sollen „innerhalb einiger Monate“ abgeschlossen werden.

Und wozu das alles? Herbert Würth vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim spricht von einer Scheinlösung. „Nur weil die EnBW sich das Geld für eine robuste Lagerhalle in Obrigheim gespart hat, setzt sie die Menschen am Neckar großen Gefahren aus.“ Das Zwischenlager in Neckarwestheim sei zudem ungeeignet. Im Protestaufruf heißt es: „In diesem Steinbruch wird der Untergrund durch Abpumpen von Grundwasser ausgewaschen. So müssen regelmäßig Hohlräume mit Beton aufgefüllt werden, um den Kühlturm des noch laufenden EnBW-Atomkraftwerks wieder aufzurichten.“

Das grüne Landesumweltministerium sieht das anders: Neckarwestheim sei „nach Meinung unabhängiger Experten das sicherste Zwischenlager in Deutschland“, sagt ein Sprecher. „Im Vergleich zu einem Nasslager – aktuelle Situation in Obrigheim – ist der Sicherheitsgewinn bei der Lagerung groß.“ Diese Argumentation macht Atomkraftgegner Würth wütend. „In Obrigheim hat sich EnBW jahrelang gedrückt, ein Zwischenlager zu bauen. Das ist unser Hauptkritikpunkt!“ Ihn stört außerdem, dass eine grüne Wiese in Obrigheim versprochen werde, obwohl der schwach-und mittelradioaktive Abfall dortbleibe. EnBW verweist darauf, dass auch dieser Müll weggeschafft werde – allerdings erst in ein paar Jahren. Bis 2025 soll das Kraftwerk so weit zurückgebaut sein, dass es nicht mehr unter das Atomgesetz fällt.

Aus Sicht des Unternehmens gibt es mit der Sicherheit beim Castortransport keine Probleme. Die Strecke sei von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung geprüft und zugelassen. Auch die Schleusen stellten kein Hindernis dar. Die Sicherheit sei „bereits im Wesentlichen durch die verwendeten Castor-Behälter gewährleistet“. Die Konstruktion und Technik des Schiffes mache zudem ein Sinken „praktisch unmöglich“. Atomkraftgegner höhnen: Mit unsinkbaren Schiffen habe die Menschheit ja schon ihre Erfahrungen gemacht. Und wenn Radioaktivität in den Neckar gelange, könne das gravierende Folgen für das Trinkwasser und die Landwirtschaft haben.

Paddeln und protestieren

Das Bundesamt hat dennoch grünes Licht gegeben. „Für die Beförderung radioaktiver Abfälle mit einem Binnenschiff gilt das gleiche Sicherheitsniveau wie bei einem Straßen- oder Schienentransport“, erklärt die Behörde. „Dies beinhaltet unter anderem den Nachweis, dass die Transporte ausreichend gegen Einwirkungen Dritter, wie zum Beispiel Terror- und Sabotageakte, geschützt sind.“ Genau da haben Atomkraftgegner wie Würth ihre Zweifel. Weil ein Schiff langsamer als ein Zug sei, hätten Terroristen „viel mehr Möglichkeiten von der Logistik her“. Es sei einfacher abzusehen, wann der strahlende Müll wo sei, vor allem in der Nähe der Schleusen. Zugleich ist das ein Vorteil für aktionswillige Atomkraftgegner. Aus Sicht von Würth ist der Schiffstransport für den Protest sogar „ein Glücksfall“: „Wir gehen davon aus, dass Menschen direkt auf dem Neckar demonstrieren werden. Blockieren steht auf der Tagesordnung.“ Wer nicht paddeln mag, könne zu Kundgebungen gehen, die geplant seien. An manchen Stellen sei der Neckar so schmal, dass auch der Protest am Ufer den Transport behindern könne.

Und dann gibt es noch die Brücken. Würth hat nachgezählt: Die Castoren müssen unter 23 Brücken durch, die von Menschen betreten werden können. Hinzu kommen Zugbrücken. Kletteraktivisten könnten sich abseilen und das Schiff aufhalten, ähnlich wie bei den Castortransporten im Wendland. Im Prinzip könnten Menschen von der Brücke auf das Schiff springen. Würth meint, dass dann die Gefahr eingeschätzt werden müsse, „von der Polizei bis zum Kapitän“. Und EnBW? „Über Auswirkungen von vorsätzlich herbeigeführten Aktionen spekulieren wir grundsätzlich nicht“, teilt eine Sprecherin mit. Jedoch habe der Schutz von Mensch und Umwelt „oberste Priorität“. Wenn es der Konzern damit ernst meint, stehen die Chancen für effektive Blockaden von Atomkraftgegnern ganz gut.

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