Gestoppter Überflieger

Porträt Ruben Neugebauer rettet Flüchtlinge im Mittelmeer. Er würde gern ein Flugzeug nutzen, aber die Erlaubnis fehlt
Ausgabe 31/2016

Sie ist vielleicht 16 Jahre jung, und sie atmet nicht mehr. Ruben Neugebauer und seine Kollegen versuchen noch auf dem Schlauchboot, die Frau wiederzubeleben, aber es ist zu spät. Wieder ein toter Flüchtling auf dem Mittelmeer. Und die Helfer müssen zugucken. „Das ist heftig, weil es so unnötig ist“, sagt Neugebauer. „Weil die EU den Flüchtlingen legale Wege nach Europa verwehrt.“

Der 26-Jährige gehört zu den Gründern von Sea-Watch, einer privaten Initiative, die mit Schiffen auf dem Mittelmeer unterwegs ist und Flüchtlinge rettet. Seit mehr als einem Jahr engagiert er sich dort, ist immer wieder auf See. Nun würde er gerne auch in die Luft gehen. Sea-Watch hat ein Flugzeug gekauft, Neugebauer extra einen Flugschein für die Maschine gemacht. Es wäre der erste NGO-Flieger über dem Mittelmeer. Doch jetzt verweigern die tunesischen Behörden die Genehmigung. Neugebauer muss warten.

"Da gewöhnt man sich nicht dran"

Also ist er noch mal aufgebrochen zu einem Rettungseinsatz auf See. Die Bilanz der vergangenen zwei Wochen: 50 entdeckte Flüchtlingsboote, ungefähr 6.500 Überlebende, aber auch 18 Tote, darunter die junge Frau. Neugebauer hat noch nie jemanden ertrinken sehen, die Flüchtlinge sterben auch auf andere Weise. Entkräftet, erdrückt, erstickt – „das ist alles ähnlich brutal“, sagt der Helfer.

Stumpft man irgendwann ab? „Das ist nichts, woran man sich gewöhnen kann. Man kann lernen, damit umzugehen.“ Jedes Crew-Mitglied von Sea-Watch erhält standardmäßig psychologische Unterstützung, vor und nach jeder Fahrt.

Auf See sind die Aufgaben unter den Helfern klar geregelt: Manche steuern das Schiff, andere kümmern sich um das mobile Krankenhaus an Bord, und Neugebauer gehört zu den Schnellbootfahrern. Wenn Flüchtlinge entdeckt werden, fährt er zu ihnen, gibt Rettungswesten aus, nimmt eventuell Kinder und schwangere Frauen schon auf das Boot, bevor dann das größere Rettungsschiff kommt. Dort werden die Flüchtlinge medizinisch versorgt, bekommen Wasser. Später werden sie abgegeben an europäische Schiffe, etwa von der italienischen Küstenwache.

Besonders problematisch sei die Rettung von Menschen in großen Holzbooten, berichtet Neugebauer. Viele Flüchtlinge stünden oben auf dem Deck, aber auch unterm Deck seien oft noch mehr als hundert Menschen eingeschlossen. Bei der Rettung wolle jeder der Erste sein. „Wenn es zu einer Panik kommt und das Boot kentert, haben die Menschen unter Deck keine Chance.“ Daher müsse man aufpassen. „Trotzdem beeilen wir uns, weil unter Deck ganz schlechte Luft ist, häufig ersticken da die Leute.“

Die Idee mit dem Flugzeug

An einen Tag erinnert sich Ruben Neugebauer noch genau: Am 27. August 2015 entdeckte das Hilfsteam ein Boot, das schon seit Tagen auf dem Mittelmeer unterwegs war, die Flüchtlinge am Ende ihrer Kräfte, völlig dehydriert, zwei Menschen bereits tot. Da kam die Idee mit dem Flugzeug. So ließen sich Flüchtlinge in Not finden, Hilfseinsätze koordinieren. Die Aktivisten überlegten hin und her: Vielleicht sind Drohnen besser geeignet? Satellitenbilder? Oder ein Helikopter? Am Ende kaufte Sea-Watch ein Ultraleichtflugzeug für 42.000 Euro.

Im Juni wurde es von Berlin nach Djerba geflogen, auf die Insel vor der tunesischen Küste. Doch der Zoll erkannte die Rettungssymbole am Flugzeug und verlangte kurzerhand eine Sondergenehmigung. Die lässt nun seit Wochen auf sich warten. „Wir versuchen herauszufinden, wo es hakt“, sagt Neugebauer.

Sollte es nicht klappen, könnte die Organisation auch von Malta oder der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa starten. Dafür wäre allerdings ein größeres Flugzeug mit zwei Motoren notwendig, weil der Anflug länger dauert. Der Nachteil: Es kostet das Zehnfache.

Journalismus mit Haltung

Sea-Watch finanziert sich komplett aus Spendengeldern, das Jahresbudget beträgt etwa eine Million Euro. Inzwischen werden drei Leute für ihre Arbeit bezahlt, die meisten engagieren sich ehrenamtlich – wie Ruben Neugebauer. Die meiste Zeit verbringt er bei Sea-Watch, nebenher arbeitet er noch als Fotojournalist, um über die Runden zu kommen. Über den Beruf ist er auch zum Flüchtlingshelfer geworden. Er war in Syrien und auf den Fluchtrouten unterwegs. „Was ich da gesehen habe, hat mich bewegt, und ich wollte aktiv was machen.“

Und heute? Kann man noch als Journalist arbeiten, wenn man sich mit einer Sache identifiziert? „Ich glaube, dass Objektivität eine Illusion ist. Jeder hat eine Meinung. Mir ist es lieber, wenn die dann auch kommuniziert wird.“ Neugebauer ist Mitglied des Jib-Kollektivs, in dem sich kritische Journalisten zusammengetan haben und „Journalismus mit Haltung“ anbieten. Zu den Abnehmern gehört auch der Freitag.

Kreative Aktionen

Die politische Haltung war für Neugebauer schon immer wichtig. In Reutlingen war er in der Schülervertretung aktiv, organisierte ein Musikfestival für die links-alternative Szene. Später gründete er den „Polizeifanverein Knüppeldick“, um auf die Absurdität der damals diskutierten Reform des Versammlungsgesetzes in Baden-Württemberg hinzuweisen. Er meldete jedes Frühstück mit Freunden bei den Behörden als politische Versammlung an.

Öffentlichkeitswirksame Aktionen sind sein Ding. Er engagierte sich bei Greenpeace, bei Robin Wood, und er nutzte die Vorteile der Aktionskunst, etwa beim Peng-Kollektiv oder dem Zentrum für politische Schönheit. Von ihm kam auch die Idee mit der Schweigeminute für die gestorbenen Flüchtlinge, zu der sein Sea-Watch-Kollege Harald Höppner im April 2015 in der Talkshow von Günther Jauch aufrief.

Neugebauer ist nach seinem Bachelor in Geochemie nun im Master-Studiengang Katastrophenmanagement eingeschrieben. Sein Herz schlägt aber für den Aktivismus und den Kampf gegen die Festung Europa. „Ich werde vielleicht in ein, zwei Generationen gefragt, was ich damals gemacht habe“, meint Neugebauer. Womöglich klappt es ja noch mit der Flugerlaubnis und er kann irgendwann seinen Enkeln sagen: Ich war damals der Überflieger.

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