Sie ist vielleicht 16 Jahre jung, und sie atmet nicht mehr. Ruben Neugebauer und seine Kollegen versuchen noch auf dem Schlauchboot, die Frau wiederzubeleben, aber es ist zu spät. Wieder ein toter Flüchtling auf dem Mittelmeer. Und die Helfer müssen zugucken. „Das ist heftig, weil es so unnötig ist“, sagt Neugebauer. „Weil die EU den Flüchtlingen legale Wege nach Europa verwehrt.“
Der 26-Jährige gehört zu den Gründern von Sea-Watch, einer privaten Initiative, die mit Schiffen auf dem Mittelmeer unterwegs ist und Flüchtlinge rettet. Seit mehr als einem Jahr engagiert er sich dort, ist immer wieder auf See. Nun würde er gerne auch in die Luft gehen. Sea-Watch hat ein Flugzeug gekauft, Neugebauer extra einen Flugschein für die Maschine gemacht. Es wäre der erste NGO-Flieger über dem Mittelmeer. Doch jetzt verweigern die tunesischen Behörden die Genehmigung. Neugebauer muss warten.
"Da gewöhnt man sich nicht dran"
Also ist er noch mal aufgebrochen zu einem Rettungseinsatz auf See. Die Bilanz der vergangenen zwei Wochen: 50 entdeckte Flüchtlingsboote, ungefähr 6.500 Überlebende, aber auch 18 Tote, darunter die junge Frau. Neugebauer hat noch nie jemanden ertrinken sehen, die Flüchtlinge sterben auch auf andere Weise. Entkräftet, erdrückt, erstickt – „das ist alles ähnlich brutal“, sagt der Helfer.
Stumpft man irgendwann ab? „Das ist nichts, woran man sich gewöhnen kann. Man kann lernen, damit umzugehen.“ Jedes Crew-Mitglied von Sea-Watch erhält standardmäßig psychologische Unterstützung, vor und nach jeder Fahrt.
Auf See sind die Aufgaben unter den Helfern klar geregelt: Manche steuern das Schiff, andere kümmern sich um das mobile Krankenhaus an Bord, und Neugebauer gehört zu den Schnellbootfahrern. Wenn Flüchtlinge entdeckt werden, fährt er zu ihnen, gibt Rettungswesten aus, nimmt eventuell Kinder und schwangere Frauen schon auf das Boot, bevor dann das größere Rettungsschiff kommt. Dort werden die Flüchtlinge medizinisch versorgt, bekommen Wasser. Später werden sie abgegeben an europäische Schiffe, etwa von der italienischen Küstenwache.
Besonders problematisch sei die Rettung von Menschen in großen Holzbooten, berichtet Neugebauer. Viele Flüchtlinge stünden oben auf dem Deck, aber auch unterm Deck seien oft noch mehr als hundert Menschen eingeschlossen. Bei der Rettung wolle jeder der Erste sein. „Wenn es zu einer Panik kommt und das Boot kentert, haben die Menschen unter Deck keine Chance.“ Daher müsse man aufpassen. „Trotzdem beeilen wir uns, weil unter Deck ganz schlechte Luft ist, häufig ersticken da die Leute.“
Die Idee mit dem Flugzeug
An einen Tag erinnert sich Ruben Neugebauer noch genau: Am 27. August 2015 entdeckte das Hilfsteam ein Boot, das schon seit Tagen auf dem Mittelmeer unterwegs war, die Flüchtlinge am Ende ihrer Kräfte, völlig dehydriert, zwei Menschen bereits tot. Da kam die Idee mit dem Flugzeug. So ließen sich Flüchtlinge in Not finden, Hilfseinsätze koordinieren. Die Aktivisten überlegten hin und her: Vielleicht sind Drohnen besser geeignet? Satellitenbilder? Oder ein Helikopter? Am Ende kaufte Sea-Watch ein Ultraleichtflugzeug für 42.000 Euro.
Im Juni wurde es von Berlin nach Djerba geflogen, auf die Insel vor der tunesischen Küste. Doch der Zoll erkannte die Rettungssymbole am Flugzeug und verlangte kurzerhand eine Sondergenehmigung. Die lässt nun seit Wochen auf sich warten. „Wir versuchen herauszufinden, wo es hakt“, sagt Neugebauer.
Sollte es nicht klappen, könnte die Organisation auch von Malta oder der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa starten. Dafür wäre allerdings ein größeres Flugzeug mit zwei Motoren notwendig, weil der Anflug länger dauert. Der Nachteil: Es kostet das Zehnfache.
Journalismus mit Haltung
Sea-Watch finanziert sich komplett aus Spendengeldern, das Jahresbudget beträgt etwa eine Million Euro. Inzwischen werden drei Leute für ihre Arbeit bezahlt, die meisten engagieren sich ehrenamtlich – wie Ruben Neugebauer. Die meiste Zeit verbringt er bei Sea-Watch, nebenher arbeitet er noch als Fotojournalist, um über die Runden zu kommen. Über den Beruf ist er auch zum Flüchtlingshelfer geworden. Er war in Syrien und auf den Fluchtrouten unterwegs. „Was ich da gesehen habe, hat mich bewegt, und ich wollte aktiv was machen.“
Und heute? Kann man noch als Journalist arbeiten, wenn man sich mit einer Sache identifiziert? „Ich glaube, dass Objektivität eine Illusion ist. Jeder hat eine Meinung. Mir ist es lieber, wenn die dann auch kommuniziert wird.“ Neugebauer ist Mitglied des Jib-Kollektivs, in dem sich kritische Journalisten zusammengetan haben und „Journalismus mit Haltung“ anbieten. Zu den Abnehmern gehört auch der Freitag.
Kreative Aktionen
Die politische Haltung war für Neugebauer schon immer wichtig. In Reutlingen war er in der Schülervertretung aktiv, organisierte ein Musikfestival für die links-alternative Szene. Später gründete er den „Polizeifanverein Knüppeldick“, um auf die Absurdität der damals diskutierten Reform des Versammlungsgesetzes in Baden-Württemberg hinzuweisen. Er meldete jedes Frühstück mit Freunden bei den Behörden als politische Versammlung an.
Öffentlichkeitswirksame Aktionen sind sein Ding. Er engagierte sich bei Greenpeace, bei Robin Wood, und er nutzte die Vorteile der Aktionskunst, etwa beim Peng-Kollektiv oder dem Zentrum für politische Schönheit. Von ihm kam auch die Idee mit der Schweigeminute für die gestorbenen Flüchtlinge, zu der sein Sea-Watch-Kollege Harald Höppner im April 2015 in der Talkshow von Günther Jauch aufrief.
Neugebauer ist nach seinem Bachelor in Geochemie nun im Master-Studiengang Katastrophenmanagement eingeschrieben. Sein Herz schlägt aber für den Aktivismus und den Kampf gegen die Festung Europa. „Ich werde vielleicht in ein, zwei Generationen gefragt, was ich damals gemacht habe“, meint Neugebauer. Womöglich klappt es ja noch mit der Flugerlaubnis und er kann irgendwann seinen Enkeln sagen: Ich war damals der Überflieger.
Kommentare 3
Bereits die EUNAVFOR MED Operation SOPHIA, bei der Schiffe 40 km vor der Küste auf Schmugglerboote "warten", soll zu erheblich mehr risikoreiche Fahrten (und gekenterte Boote und Tote) geführt haben. War vorher eine Mindestbedingung, dass die Boote es theoretisch bis Lampedusa schaffen konnten, wird nun jedes alte Schlauchboot losgeschickt.
So wird der Leichtsinn weiter angefeuert und mehr West- und Zentralafrikaner angelockt, durch die Wüste nach Norden zu trecken.
Die Flugzeug-Idee klingt ja humanistisch, ist aber ein weiterer Punkt auf der Unsinns-Skala. Es sollte sich doch langsam herum gesprochen haben, dass Europa keine weitere unkontrollierte Einreise will. Wenn Menschen aus Kriegsgebieten flüchten, sollte Europa Unterstützung bereit stellen, dass sie in Flüchtlingslagern in der Region versorgt werden, bis der Konflikt vorbei ist.
Millionen nach Europa zu locken, die dann hier - ohne vernünftige Sprache und Ausbildung - über Jahrzehnte nicht integriert werden können, das ist weder für die Menschen noch für die europäischen Gesellschaften gut. Mit einem Bruchteil des aufzuwendenden Finanzaufwandes für einen dieser jungen Männer, die sich bis hierher durchgeschlagen haben, kann man bessere Lösungen in den Heimatregionen der Leute unterstützen.
Naiv hoch drei kann man da nur sagen. Mit einer einmotorigen Maschine aus dem Mittelmeer Menschen retten wollen. Ich habe vor einem Jahr schon vorgeschlagen, doch ein Kreuzfahrtschiff anzumieten, das schafft doch so richtig und vermittelt den Flüchtlingen gleich ein richtiges Bild vom Schlaraffenkontinent Europa! Was hier betrieben wird ist modernste Sklavenfaengerei. Das alles sind menschliche, wirtschaftliche und politische Tragödien. Diese Menschen werden entwurzelt und kommen in unseren Kulturkreis nie an, da helfen die bestgemeintesten Integrationskurse nicht. Wirtschaftlich fehlen diese jungen Menschen bei der Entwicklung ihrer Heimatländern und wir brauchen sie definitiv nicht bei der Steigerung unseres Wohlstandes. Politisch sind die Potentaten der Herkunftsländer froh, wenn junge rogressive Bürger das Land verlassen und sogar noch Devisen nach Hause ueberweisen. Das stärkt die Despoten.
Wissen diese jungen Leute bei Sea-Watch eigentlich, was sie da tun und wem sie in die Hand spielen. Bitte, damit mich niemand falsch versteht, es geht um Wirtschaftsfluechtlinge und nicht um Asylbeduerftige.
Für mich ergibt sich die strikte Trennung-Menschenrettung egal wo,wie und wann und wen;vergleichbar dem Wirken von A.Schweitzer und das Danach kommt erst viel später.Im Vordergrund steht die Menschenlebenrettung nicht mehr und nicht weniger.Und so habe ich auch hier immer wieder die Meinung vertreten,daß Deutschland es versäumt hatte,sich die entsprechenden Einwanderungsgesetze zu geben,eingebunden in die EU-Gesetzgebung und mit einer Kanzlerin,die sich aus einem protestantischen Ansatz heraus im auslaufenden Arbeitsprozeß versucht ein Volk mitzuziehen in Verkennung der soziologischen Lage z.B. Ungleichheit im Bildungswesen,LehrerInnenmangel,fehlende SozialarbeiterInnen an Schulen und nur immer die Rendite imKopf und und und-Wir leben in einer expandierenden neurotischen Neidgesellschaft,Ruben Neugebauer ist da der tatkräftige Idealist und da bin ich froh,daß es Zweibeiner mit dieser Ausstattung gibt.Und jeder von uns weiß doch,daß der Riss von oben nach unten geht.Die Erde hat Platz für einen Psychopathen Trump und und und,dann ist Neugebauer das Licht.Nur aufpassen sollte er schon auf sich selber,das kann Mensch nur leben,wenn Mensch jung ist,der Idealismus hat schon manchen brennen lassen am Anfang und am Ende.Ich wünsche den Schleusern nur schlechte Nächte in denen sie gar nichtt mehr schlafen können.Die EU-Funktionäre müssen doch endlich mal zu Potte kommen aber die quatschen nur.Und zuerst mal die Kohle kürzen in den Schleuserländern,da blicken sie sicher gar nicht mehr durch,wer wann wo wen schmiert-Bürokratiemonster Brüssel.