Es sollte wohl eine Art Falle sein, die der Deutschlandfunk-Journalist dem Linken-Politiker Wolfgang Gehrke stellen wollte. Wie steht die Linkspartei zum Waffenembargo gegen Russland? Schlägt sich Gehrke als vermeintlicher Putin-Versteher auf die Seite von Russland und lehnt den Exportstopp ab, so müsste er die friedenspolitischen Positionen seiner Partei aufgeben. Aber Gehrke ist clever und antwortet, er wolle das Embargo „toppen“. Er sei dafür, „dass künftig Rüstungsexporte generell verboten werden aus Deutschland“. Das war vor rund zwei Wochen.
An diesem Dienstag hatte Gehrke einen neuen Gegenspieler: keinen Journalisten, sondern seinen eigenen Fraktionschef. Gregor Gysi war auf einmal für Rüstungsexporte. Natürlich nur in Ausnahmefällen und für die gute Sache. Im Interview mit der Tageszeitung taz fordert er, Waffen nach Kurdistan zu liefern, um den Vormarsch der islamistischen IS-Terroristen zu stoppen. Inzwischen hat er seine Meinung geändert, wie er am heutigen Donnerstag im Deutschlandfunk erzählt hat. Der Druck (oder der Sachverstand) der Parteikollegen war wohl zu groß.
Hätte sich Gysis Pro-Waffenlieferung-Meinung in der Fraktion durchgesetzt, wäre das katastrophal gewesen. Die Linke hätte sich dann nämlich in ihrer Friedenspolitik unglaubwürdig gemacht. Denn Rüstungsexporte lassen sich nicht kontrollieren, die Waffen töten Unschuldige.
Schon im April hat die Linke gegen ihr eigenes Wahlprogramm verstoßen. Dort heißt es eindeutig: „Wir haben als einzige Fraktion und Partei im Bundestag den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zugestimmt und werden es auch in Zukunft nicht tun.“ Einige Abgeordnete stimmten trotzdem dafür, dass die deutsche Armee ein US-Schiff zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen absichert. Immerhin: Die Mehrheit der Fraktion war dagegen.
Wer ist gut, wer ist böse?
Man könnte nun argumentieren, dass die Linke seitdem ohnehin keine Friedenspartei mehr ist und es daher auch nicht verwundern kann, wenn nun manche Politiker Waffenexporte gutheißen. Das verkennt aber zum einen, dass es sich um Minderheiten-Positionen handelt. Zum anderen wäre ein Umkippen bei den Rüstungsexporten in gewisser Hinsicht noch schlimmer, weil sich Waffenlieferungen noch schlechter begründen lassen.
Wer Auslandseinsätzen der Bundeswehr gut findet, geht unter anderem davon aus, dass erkennbar ist, wer gut und wer böse ist und dass Deutschland natürlich auf Seite der Guten kämpft (und dass dies mehr bringt als zum Beispiel zivile Konfliktlösung oder Entwicklungshilfe). Doch selbst wenn Gut und Böse so leicht zu erkennen wären: Rüstungslieferungen wären immer noch katastrophal. Denn es gibt keine Garantie, dass die Waffen wirklich bei den angeblich Guten landen. Immer wieder tauchen deutsche Gewehre irgendwo auf der Welt auf, wo sie laut Vorschriften nie hingedurft hätten. Das hat zuletzt im Februar eine Arte-Dokumentation gezeigt.
Und die Waffen, die sich nach getaner Arbeit (zum Beispiel dem Zurückdrängen der IS-Terroristen) selbst vernichten, müssen auch erst noch erfunden werden.
Gysis Gedanken-Akrobatik
Gregor Gysi redet sich in dem taz-Interview an mehreren Stellen heraus: Die Aufrüstung könne zwar zu „Instabilitäten“ in der Region führen, „aber das müssen wir riskieren.“ Dann soll natürlich nur „in diesem Ausnahmefall“ ein Waffenexport statthaft sein. Und wann kommt der nächste Ausnahmefall?
Selbst die Vorgabe, dass Deutschland keine Waffen in Spannungsgebiete liefert, spielt auf einmal keine Rolle mehr in Gysis Argumentation. Schließlich sei das „eine Richtlinie, an die sich die Bundesregierungen bedauerlicherweise selten halten“. Also kann man sie auch gleich vergessen?
Besondere Gedanken-Akrobatik gelingt ihm bei der Frage, ob er nun nicht auch US-Bomben gegen die IS-Terroristen befürworten müssen. Gysi antwortet: „Ich sehe den Nutzen durchaus. Aber: Die USA als Weltpolizist, der immer seine eigenen Interessen vertritt, das kann nicht die Lösung sein.“ Da kann man sich ja freuen, dass die deutschen Rüstungsexporte ganz uneigennützig sind. Das ist dann wohl „die Lösung“.
Jetzt ist er zurückgerudert. Im Deutschlandfunk sagt er zunächst, er habe sich „vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt“. In einem autorisierten taz-Interview? Später sagt er dem Deutschlandfunk, er habe seine Meinung geändert, „weil ich auch erfahren habe, dass sie im Augenblick gar keine Waffen brauchen“.
Ob Gysi wirklich davon überzeugt ist, oder ob es sich bloß um eine Strategie zur innerparteilichen Streitvermeidung handelt, sei dahingestellt. Auf jeden Fall kann sich die Linke freuen, dass ihr Fraktionschef jetzt nicht mehr in der Öffentlichkeit für Rüstungsexporte eintritt. Denn das nützt weder der Partei noch den Menschen in Kurdistan.
Hinweis: Dieser Artikel wurde am Donnerstag aktualisiert, die Aussagen im Deutschlandfunk ergänzt.
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