Jetzt soll also Google zahlen: Mit dem geplanten Gesetz zum sogenannten Leistungsschutzrecht wollen sich die Zeitungsverlage ihr Geld beim Suchmaschinen-Riesen holen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr aus der Internet-Krise sehen, die ihr Geschäft infrage stellt. Nachrichten, Texte, Musik, Kunst – alles gibt es heute kostenlos im Netz. Womit kann man also noch Geld verdienen? Doch das Problem ist grundsätzlich gar nicht so neu, wie oft behauptet wird. Und die gute Nachricht lautet: Die Wirtschaftswissenschaft hat längst eine Antwort parat.
Weil durch die Digitalisierung und das Internet Kulturgüter mehr oder weniger frei verfügbar geworden sind, wird erheblicher Aufwand betrieben, um Menschen von der Nutzung auszuschließen. Etwa durch Kopierschutz oder das Verbot von Online-Plattformen, auf denen Filme heruntergeladen werden können. Doch meist funktioniert das gar nicht. Und in der Volkswirtschaftslehre würde man daher schlussfolgern, dass diese Ausschließbarkeit von Nutzern gar nicht mehr gegeben ist.
Die Politik ist gefragt
So sind diese Kulturgüter längst zum „öffentlichen Gut“ geworden. Klassischerweise werden aber diese Güter vom Staat oder der Gesellschaft bereitgestellt. Deswegen ist nun die Politik gefragt. Sie sollte auch für diese neuen Kulturgüter eine öffentliche Finanzierung anstreben. Als Musterbeispiele werden in der Volkswirtschaftslehre gerne Leuchttürme oder Straßenlaternen genannt: Niemand kann von der Nutzung ausgeschlossen werden, und es interessiert keinen, ob zehn oder hundert Menschen vom Licht profitieren.
Nun ist eine Lampe nicht das Gleiche wie ein journalistischer Text, und es hat womöglich andere Gründe, weshalb Laternen vom Staat und nicht von Privatfirmen aufgestellt werden. So lässt sich die Beleuchtung zum Beispiel auch als sogenanntes „natürliches Monopol“ beschreiben: Es ergibt keinen Sinn, dass Licht-Anbieter untereinander konkurrieren – die Infrastruktur wird nun einmal benötigt und wird deshalb vom Staat bereitgestellt. Bei journalistischen Arbeiten ist dies sicherlich anders, weil kein Text dem anderen gleicht.
Jedoch lässt sich auch als Privatunternehmen mit einem natürlichen Monopol manchmal ganz gut Geld verdienen, weswegen etwa die Bundesnetzagentur die Preise beim Strom- oder Bahnnetz überwacht. Anders bei öffentlichen Gütern: Weil niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann, gibt es auch niemanden, der zahlt. Somit gibt es schlicht kein Geschäftsmodell, wenn der Staat sich nicht darum kümmert. Und genau deswegen käme niemand auf die Idee, die Straßenbeleuchtung der Privatwirtschaft auf dem freien Markt zu überlassen. Bei Kulturgütern war das zunächst anders: Nachrichten gab es nur in einer Zeitung, Musik nur auf einer Kassette oder einer CD. Durch diese Bindung an das Medium konnten Menschen von der Nutzung ausgeschlossen werden. Zudem ist die Zeitung nach der Lektüre zerknittert und eine kopierte Kassette rauscht. Es ist also nicht egal, wie viele Menschen lesen oder hören.
Nur unter diesen Bedingungen funktionierte das Geschäftsmodell für Unternehmen, die mit Kulturgütern handelten. Und deswegen haben die Verlage heute ein riesiges Problem. Seit Jahren zerbrechen sich die Verleger den Kopf über die Frage, wie sich die vielfältige Presselandschaft in das Zeitalter des Internets hinüberretten lässt. Und sie haben bis heute keine Lösung.
Natürlich: Es gibt auch andere Wege, um Geld zu verdienen. Musiklabels verdienen an Konzerten und Fanartikeln, Filmproduzenten an Kinovorstellungen, Online-Magazine an Spenden von Lesern. Doch all dies kann die Schrumpfung der Einnahmen höchstens ein wenig begrenzen. Deswegen braucht es ein grundlegend neues Finanzierungsmodell.
Kulturgut ist längst öffentlich
Mit der gerade wieder um einige Monate verschobenen Einführung eines Leistungsschutzrechts ist es nicht getan, ebenso wenig mit einer Reform des Urheberrechts, die selbstverständlich dringend nötig ist. Auch ist die hitzige Diskussion zwischen Konsumenten, Urhebern und Industrie nicht gerade hilfreich – schließlich versucht jeder bloß, im derzeitigen System seine Interessen zu wahren.
Wer etwas mehr Weitsicht zeigt, kann sich hingegen mit der Frage befassen, ob die Bereitstellung von Kulturgütern künftig privatwirtschaftlich organisiert sein sollte. Der freie Markt bietet sicherlich viele Vorteile, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden. Wäre das Geld nicht extrem ungleich verteilt, ließen sich mit einem Markt die Wünsche sicher besser bestimmen als zum Beispiel durch ein staatliches Gremium, das alleine über die Güterproduktion entscheidet.
Bei Kulturgütern hingegen erweist sich selbst der idealisierte freie Markt mit Privatunternehmen als äußerst ineffizient: Volkswirtschaftlich betrachtet ist es Blödsinn, wenn viel Energie darauf verwendet wird, Menschen von der Nutzung auszuschließen. Es entstehen zusätzliche Kosten, und der gesamtgesellschaftliche Nutzen der Kulturgüter sinkt.
Solange ein Produkt von mehreren Menschen genutzt wird, ohne dass dadurch der einzelne Konsument eingeschränkt wird, sollte dies auf jeden Fall möglich sein. Ein öffentliches Gut ist deshalb anderen Güterarten vorzuziehen – und die Gesellschaft muss sich um die Bereitstellung dieser öffentlichen Güter kümmern.
Wie kann ein öffentlich finanziertes Kultursystem aussehen? Das bekannteste Modell ist eine sogenannte Kulturflatrate. Internetnutzer zahlen monatlich einen gewissen Beitrag und dürfen dafür unbegrenzt ausgewählte Musik, Filme oder Texte herunterladen, ansehen, anhören oder durchlesen. Der Preis dieser Flatrate könnte sich etwa an der Internetgeschwindigkeit orientieren.
GEZ-Gebühr als Flatrate
Eigentlich ist dieses Modell ein alter Hut. Im Fernsehen gibt es längst eine öffentlich-rechtliche Flatrate, bezahlt wird bei der GEZ. Den besten Ruf genießt diese „Kulturflatrate“ nicht. Beim Fernsehen und Radio ist dieses System längst überholt und beim Internet wird es bald genauso sein. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mit Steuer-, sondern mit Gebührengeldern finanziert wird, hat geschichtlich zwei wesentliche Gründe: Zum einen sollte es kein Staatsfernsehen werden, die Unabhängigkeit – auch der Finanzen – gewahrt bleiben. Zum anderen sollten nur diejenigen zahlen, die auch tatsächlich fernsehen. Zu Beginn hatte schließlich noch nicht jeder eine Glotze.
Heute jedoch gibt es so wenige Fernsehverweigerer, dass der GEZ-Verwaltungsaufwand schon lange nicht mehr gerechtfertigt ist. Es wäre einfacher, wenn alle Bürger zahlen – auch wenn sich dann eine kleine Minderheit ungerecht behandelt fühlt. Autobahnen werden schließlich auch von Menschen finanziert, die keinen Führerschein besitzen. Weil Internet in wenigen Jahren ebenso verbreitet sein wird wie Fernsehen oder Radio, sollte die Kulturflatrate nicht pro Internetanschluss gezahlt werden, sondern ebenfalls von allen Bürgern. Der Begriff „Flatrate“ ergäbe dann auch nur noch wenig Sinn.
Die Unabhängigkeit von staatlicher Einflussnahme sollte weitgehend gewahrt bleiben – ob dafür jedoch eine separate Finanzierungsstruktur nötig ist, bleibt fraglich. Wichtiger dürfte die Besetzung der Kontrollgremien sein, und da fungiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht gerade als Vorbild: In den Rundfunkräten sitzen massenweise Staatsvertreter – wenn auch unterschiedlicher politischer Ausrichtung.
Wie viel soll ein Text wert sein?
Kommt nun ein öffentlich finanziertes Internet-Kultursystem für alle Bürger, so müssen viele praktische Fragen geklärt werden: Zahlen etwa alle Bürger gleich viel – unabhängig davon, wie viel sie nutzen? Werden alle Künstler und Texter gleich bezahlt? Welche Kulturschaffenden werden überhaupt finanziert und welche nicht? Wird nach Klickzahl bezahlt und ist der aufwendig recherchierte Hintergrund-Text genauso viel wert wie eine kurze Nachricht?
In einem Marktmodell würde sich für jedes einzelne Kulturgut ein Preis herausbilden, je nach Aufwand zur Herstellung und Wertschätzung potenzieller Nutzer. Bei einem öffentlich finanzierten Kultursystem würde vielleicht ein demokratisch legitimiertes Gremium entscheiden, nicht aber die Nutzer selbst. Ihre Wünsche würden daher nicht ganz exakt getroffen. Auch Marktmodelle mit klar definierten Rahmenbedingungen wären vorstellbar, etwa Bezahlung nach Klickzahl. Dies würde aber auch die Wünsche der Nutzer nicht genau treffen, weil die Recherchegeschichte bei diesem System benachteiligt würde.
Wie man es auch dreht und wendet: Solche Nachteile sind bei einem öffentlich finanzierten Kultursystem nicht zu vermeiden. Eines dürfte jedoch auch sicher sein: Es überwiegen die Vorteile gegenüber dem bisherigen System, das Menschen von der Nutzung zahlreicher Kulturgüter ausschließen will.
Private Zeitungen, Musiklabels und Filmunternehmen kann es daneben weiterhin geben: So lebt das Privatfernsehen nicht von den Zuschauern, sondern von den Werbekunden. Und Menschen mit einer bestimmten politischen Ausrichtung oder einem speziellen Musikgeschmack sind sicherlich bereit, für ihr Lieblingsprodukt auch weiterhin freiwillig Geld zu zahlen.
Felix Werdermann ist Journalist und ärgert sich seit Längerem, dass die Urheberrechtsdebatte nicht radikal genug geführt wird
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