der Freitag: Frau Reda, Sie sind Spitzenkandidatin der Piraten zur Europawahl und klagen gegen die Drei-Prozent-Hürde, morgen wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil sprechen. Die Klausel kann der Partei jedoch auch nützen, wenn es Wähler gibt, die denken: Wir wollen die Piraten über die Hürde hieven und wählen sie deshalb absichtlich. Ist das nicht etwas unklug, dann dagegen zu klagen?
Julia Reda: Wir wollen in Europa und in Deutschland ein Demokratie-Upgrade. Hintergrund der Klage ist, dass in letzter Zeit ein immer größer werdender Teil der Wählerinnen und Wähler nicht mehr in den Parlamenten repräsentiert ist, wegen der Hürde. Das ist problematisch für die Legitimität des Europäischen Parlaments und allgemein für die Demokratie.
Bislang galt bei der Europawahl die Fünf-Prozent-Hürde. Müssten Sie nicht zufrieden sein, dass die inzwischen abgeschafft wurde?
Bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 lag keine Partei zwischen drei und fünf Prozent, es hätte also keinen Unterschied gemacht. Und trotzdem sind über zehn Prozent der damaligen Wählerinnen und Wähler nicht im Parlament repräsentiert.
Werden die Piraten an der Drei-Prozent-Hürde scheitern?
Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir ins Europaparlament einziehen. Wenn wir die Leute, die uns bei der Bundestagswahl ihre Stimme gegeben haben, wieder mobilisiert kriegen, kommen wir bequem über die Drei-Prozent-Hürde.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Klausel für rechtswidrig erklärt wird?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Recht bekommen werden. Man muss sich doch nur angucken, was da passiert ist: Das Verfassungsgericht hat bereits im Jahr 2011 die Fünf-Prozent-Hürde aufgehoben. Damals hieß es eindeutig: Solange sich an der Arbeitsweise des Parlaments nichts ändert, sind Hürden grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Inzwischen haben SPD und CDU im Europaparlament eine Stellungnahme durchgesetzt, in der einfach behauptet wird, das Parlament hätte seine Arbeitsweise geändert. Faktisch hat sich nichts getan. Daher ist das keine gute Rechtfertigung für die Hürde.
Wenn die Klausel kassiert wird, könnte das der NPD nützen. Sie sorgen also dafür, dass die extreme Rechte ins Europaparlament kommt.
Wir müssen das Erstarken der Rechten in der politischen Auseinandersetzung bekämpfen und nicht durch rechtliche Schranken. Die Hürde ist kein adäquates Mittel, schon rein rechnerisch. In Frankreich liegt die Partei „Front National“ bei rund 20 Prozent. Auch die AfD wird wohl an der Drei-Prozent-Hürde nicht zu knabbern haben. Wenn eine Partei wirklich verfassungswidrig ist, dann muss sie verboten werden. Aber wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dann kann man nicht das komplette politische System so drehen, dass die kleinen Parteien benachteiligt werden.
Wenn die Piraten nach der Bundestagswahl auch bei der Europawahl scheitern, dann sind sie erstmal von der politischen Bühne verschwunden. Jahrelang sind sie dann in keinem größeren Parlament vertreten und die Medien interessieren sich dann auch nicht mehr für die Partei.
Wenn es tatsächlich nicht reichen sollte, haben wir trotzdem in diesem Jahr unglaublich viele Kommunalwahlen. Das läuft immer etwas unter dem Radar der großen Medien. Aber da haben wir schon über 100 Leute in gewählten Position, die zu den Kernthemen der Piraten arbeiten.
In der Europäischen Union hat das Parlament nicht so viel zu sagen. Gesetze können beispielsweise nur von der Kommission vorgeschlagen werden. Wenn die Piratenpartei den Einzug schafft, werden das vermutlich drei bis fünf Abgeordnete sein. Im Parlament sitzen aber insgesamt 766 Politiker. Was können Sie da überhaupt erreichen?
Mehr als man so denkt. Das sieht man auch bei den zwei schwedischen Piraten, die wir jetzt schon im Europaparlament haben. Es ist dort gang und gäbe, überparteiliche Bündnisse zu schmieden. Das hat für die einzelne Abgeordneten den Vorteil, dass sie sich nicht weitgehend auf die Kontrolle der Regierung oder die Öffentlichkeitsarbeit beschränken müssen, wie das zum Beispiel bei der Opposition in den Landtagen der Fall ist. Als Europaabgeordnete kann man wirklich die Richtlinien mit beeinflussen.
Aber einen Gesetzesentwurf kann man nicht einbringen.
Es ist natürlich ein Riesenproblem, dass das Europaparlament kein Initiativrecht hat. Das macht den Wahlkampf schwieriger, weil man nicht sagen kann: Diese drei Punkte werden unsere ersten großen Initiativen sein. Aber wir wissen ja schon, was auf der Tagesordnung stehen wird. Das sind ganz wichtige Piratenthemen. Wir wissen, dass die Abstimmung über das Freihandelsabkommen TTIP in die nächste Legislatur fallen wird. Es wird höchstwahrscheinlich eine europäische Urheberrechtsreform geben, die Datenschutzverordnung wird noch nicht verabschiedet sein, und bei der Netzneutralität steht das auch noch im Raum.
Wo verorten sich die Piraten denn politisch? Im Europarlament bilden sie derzeit gemeinsam mit den Grünen eine Fraktion. Heißt das, wenn ich Sie wähle, gebe ich meine Stimme für eine größere Grünen-Fraktion?
Nein, die Fraktionen im Europaparlament formieren sich nach jeder Wahl neu. Es ist noch überhaupt nicht klar, wie das nach der Wahl aussieht. Es wird sicherlich wieder den großen christdemokratischen Block geben und den sozialdemokratischen Block und wahrscheinlich auch den rechtskonservativen Block. Da haben die Piraten eindeutig nichts zu suchen.
Wenn aus mehreren Ländern Piraten ins Europaparlament einziehen, könnten sie sich auch unterschiedlichen Fraktionen anschließen?
Viele Kandidierende aus verschiedenen Ländern haben eine Selbstverpflichtung unterzeichnet. Darin erklären wir, dass wir uns gemeinsam einer Fraktion anschließen werden. Das lässt die Frage offen, welche das sein wird, weil auch noch nicht bekannt ist, welche zur Auswahl stehen. Aber wir wollen unsere Gemeinsamkeiten als europäische Piratenpartei in den Vordergrund stellen.
Wie viele Piraten aus anderen Ländern werden es denn voraussichtlich ins Europaparlament schaffen? Deutschland hat 99 Sitze, es gibt also ungefähr für jeden Prozentpunkt einen Sitz. In kleineren Ländern mit einem kleineren Kontingent ist es hingegen sehr viel schwieriger, überhaupt ein Mandat zu ergattern.
Wir in Deutschland haben schon die besten Chancen. Ganz realistische Chancen hat außerdem die Piratenpartei in Tschechien. Die hatte bei der nationalen Wahl 2,7 Prozent der Stimmen bekommen. Bei der Europawahl braucht sie dreieinhalb bis vier Prozent für einen Sitz. Außerdem sind die Chancen in Österreich und in Schweden ganz gut. Es gibt andere Länder, dort sind die Piraten ähnlich stark wie in Deutschland, zum Beispiel in Luxemburg. Aber die haben schlechtere Chancen, weil das Land so klein ist und nur sechs Sitze zur Verfügung stehen.
In vielen Ländern gilt also faktisch eine X-Prozent-Hürde, um überhaupt einen Sitz zu bekommen, je nach der Größe des Landes. Dadurch fallen viele Stimmen unter den Tisch, nur weil jedes Land einzeln abstimmt. Ist das ein Problem?
Langfristig sollte die Tendenz zu europäischen Listen gehen. Ich finde, es widerspricht auch der europäischen Idee, dass ich als Deutsche nicht zum Beispiel für die Piratin Amelia Andersdotter stimmen kann, nur weil sie aus Schwedin kommt. Wenn wir eine europäische Politik haben wollen, dann müssen wir irgendwann diesen Schritt gehen, und zumindest einen Teil der Sitze über Listen der europäischen Parteien vergeben.
Das Gespräch führte Felix Werdermann.
Julia Reda, 27, ist Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland für die Europawahlen und Vorsitzende der Young Pirates of Europe. Während ihres Politik-Studiums machte sie ein Praktikum bei der schwedischen Piraten-Abgeordneten im Europaparlament, Amelia Andersdotter.
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