"Nicht mehr an die Regierenden appellieren"

Klimaschutz Beim UN-Gipfel im Dezember wird nichts Brauchbares herauskommen, prognostiziert die Umweltaktivistin Melanie Schubert. Trotzdem mobilisiert die Klimabewegung nach Paris
Viele Aktivisten konzentrieren sich auf den Kampf gegen neue Tagebaue
Viele Aktivisten konzentrieren sich auf den Kampf gegen neue Tagebaue

Foto: Imago / Chromorange

Der Freitag: Frau Schubert, Sie sind Klimaschützerin und engagieren sich in der Gruppe AusgeCO2hlt. Im Dezember soll in Paris ein neues Klimaabkommen beschlossen werden, dieses Jahr ist also ein Schicksalsjahr für die zukünftige Klimapolitik weltweit.

Melanie Schubert: Nicht ganz. Die Diplomaten werden auf der UN-Konferenz nicht die notwendigen Entscheidungen treffen, um die Erderwärmung aufzuhalten oder auch nur einzudämmen. Das müssen wir Aktivisten selber machen. Deswegen wird 2016 mindestens genauso spannend wie 2015.

Am Wochenende treffen Sie sich mit rund 400 anderen Menschen aus der Klimabewegung auf einer Aktionskonferenz in Köln. Dort kommen auch Aktivisten aus Mali, Bangladasch oder Bolivien. Was werden Sie besprechen?

Wir wollen die internen Debatten der Bewegung vorantreiben. Es gibt vier Themenstränge: Klimagerechtigkeit, Extraktivismus, Energiedemokratie und Aufbau der Bewegung. Zum Beispiel werden wir diskutieren, ob und wie wir bei unseren Protesten auf den Klimagipfel in Paris Bezug nehmen werden.

Was spricht gegen eine Großdemonstration zur Klimakonferenz?

Nichts spricht gegen eine Großdemonstration – sie sollte und wird jedoch nicht das Einzige sein, was passieren wird. Nach dem gescheiterten Gipfel von Kopenhagen haben sich vor allem in Deutschland viele Gruppen auf die lokalen Zusammenhänge konzentriert und gesagt: Wir wollen nicht mehr an die Regierende appellieren, sondern wir werden dort aktiv, wo die CO2-Emissionen entstehen. An Industriestandorten oder zum Beispiel wie im rheinischen Braunkohlerevier.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierenden auch nur ansatzweise irgendetwas Brauchbares entscheiden werden in Paris. Dafür sind sie viel zu sehr beeinflusst von den Energiekonzernen und anderen Industriezweigen.

Also könnte man den Klimagipfel gleich ignorieren?

Viele Gruppen – insbesondere die, die mit dem globalen Südenzusammenarbeiten – sagen: Obwohl wir keine Hoffnungen hegen, ist es wichtig, die Konferenz kritisch zu beobachten. Schließlich werden Entscheidungen getroffen, die sich konkret auf das Leben in den Ländern des Südens auswirken. Wir sollten den Gipfel kritisch begleiten und trotzdem ein Zeichen setzen: Wir glauben nicht daran, dass das Notwendige herauskommt. Daher werden wir auch nicht auf die Konferenz gehen und Lobbyist spielen.

Stattdessen wollen Sie direkt die Wirtschaft unter Druck setzen?

Es gibt eine Tendenz, dass sich die Klimabewegung in Paris auf die Wirtschaft konzentriert. Es soll aufgezeigt werden, was die großen CO2-Kriminellen anrichten, und auch, wie sie Lobbyarbeit in den Staaten und auf der Klimakonferenz leisten.

Wenn man sich auf die Wirtschaft fokussiert: Die Unternehmen kann man doch noch viel weniger überzeugen als die Politik.

Es ist wichtig, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, wie sehr die Wirtschaft verstrickt ist in die politischen Entscheidungen. Ich glaube, dass sehr viele Menschen davon ausgehen, dass Politik und Wirtschaft irgendwie getrennt sind.

Wenn Sie von den Klimakonferenz nichts erwarten, was wäre denn dann die Lösung? Müssen jetzt alle Leute mit zivilem Ungehorsam gegen neue Tagebaue vorgehen?

Das ist ein Teil der Lösung.

Selbst wenn so ein Tagebau verhindert würde: Im globalen Maßstab macht das kaum einen Unterschied. Die Treibhausgas-Emissionen kommen nicht nur von der Kohleverbrennung sondern gehen von allen möglichen Bereichen aus. Die gesamte Wirtschaft muss umgebaut werden, nicht nur der Energiesektor. Ist das durch direkte Aktionen und ohne politische Regulierung zu schaffen?

Man sollte den Widerstand gegen Kohle und andere fossile Energieträger nicht unterschätzen. Überall auf der Welt stellen Sich Menschen vor Bagger oder verhindern neue Pipelines. Trotzdem ist es besser als nichts, wenn die Politik jetzt anfängt, gewisse Rahmen anders zu setzen als sie es bisher getan hat. Dabei darf es aber nicht belassen werden.

Auf der Aktionskonferenz in Köln hält Naomi Klein ein Grußwort. Sie hat das Buch geschrieben Kapitalismus versus Klima. Müssen wir erst den Kapitalismus überwinden, um das Klima zu retten?

Nein, wir müssen ihn parallel abschaffen.

Kann man Klimaschutz betreiben ohne den Kapitalismus abzuschaffen?

Ich glaube, dass das geht. Aber es wäre weder konsequent noch für alle Menschen auf der Welt gerecht.

Die Aktionskonferenz wird von Attac sowie der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Ist die Klimabewegung per se links?

Das kann man nicht so pauschal sagen. Es gibt Leute, die sich für Ressourcenschonung und Naturschutz einsetzen, aber das Wirtschaftssystem nicht in Frage stellen. Auf der anderen Seite müsste man diese Leute fragen, ob sie sich überhaupt als Teil der Klimabewegung bezeichnen würden oder sich einfach als Umweltschützer verstehen.

Nach der Konferenz stehen in diesem Jahr viele Aktionen an. Was ist geplant?

Im Sommer gibt es verschiedene Camps. Eines wird in Amsterdam sein, Anfang Juli. In Spanien ist für Anfang August ein Anti-Fracking-Camp geplant und auch im Rheinland wird es wieder ein Klimacamp geben, in diesem Jahr vom 7. bis zum 17. August; in enger Kooperation mit der Degrowth Summer School. Außerdem wird mit der Aktion „Ende Gelände“ zu einer massenhaften Aktion zivilen Ungehorsams mobilisiert. Dabei wird durch Blockaden der reibungslose Ablauf im und um den Tagebau massiv beeinträchtigt – ebenfalls im Rheinischen Braunkohlerevier. Danach schauen wir nach Paris. Es steht schon fest, dass es viele Touren geben wird. Menschen werden mit dem Fahrrad, mit Zügen, mit einem Marathonlauf nach Paris kommen und dort die UN-Klimakonferenz begleiten.

Das Gespräch führte Felix Werdermann

Melanie Schubert ist Klimaaktivistin in der Gruppe AusgeCO2hlt

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