Es war das bislang größte Piratentreffen in Deutschland: Der Bundesparteitag sollte den Kurs des Piratenschiffs neu bestimmen. Doch die Ergebnisse sind mager: Die Vorstandswahlen haben zehn Stunden gedauert, für Programmdiskussionen war kaum Zeit. Ein etwas chaotischer Parteitag im Namen der Basisdemokratie – dabei gäbe es auch bei den Piraten in Sachen Mitbestimmung noch Nachholbedarf.
Dazu braucht man sich bloß das Endprodukt des Parteitags anzusehen: Der neu gewählte Bundesvorstand besteht aus sieben Piraten, allesamt Männer. Mit einer Ausnahme haben alle auch beruflich mit Technik, Mathe oder Informatik zu tun; das Durchschnittsalter liegt bei 34 Jahren. Es gab nur eine Bewerberin, die hat ihre Kandidatur nach dem ersten Tag zurückgezogen.
Nicht alle können gleichermaßen mitentscheiden
Nun könnte man sagen, der Vorstand spiegelt die Mitgliederstruktur wider. Zum Teil mag das stimmen, doch es verdeutlicht ein Problem: An der Basisdemokratie bei den Piraten können nicht alle gleichermaßen teilnehmen. Die Hürden sind hoch, denn nur wer Lust auf stundenlange Diskussion im Internet hat, kann auch wirklich mitentscheiden.
Für den Parteitag wurden die Anträge im Netz gesammelt und vorabgestimmt, Bewerber für den Bundesvorstand haben sich online vorgestellt. Zeitplan, Hinweise zur Anreise, Übernachtungsmöglichkeiten, Protokoll – alles findet sich im Internet. Ein Pirat, der keinen Internetzugang hat – unvorstellbar.
Ein Wochenende ist zu kurz
Wer in der Piratenpartei mitentscheiden möchte, muss aber auch Zeit mitbringen, denn ein Wochenende ist den Piraten anscheinend zu kurz um auch nur die wichtigsten Programmänderungen zu beschließen. Vier Anträge wurden abgestimmt, dabei gab es über 100. Schuld sind die Vorstandswahlen, die sich über zehn Stunden hingezogen haben. Alle 1.000 Piraten durften die Kandidaten mit Fragen löchern und haben diese Möglichkeit ausgiebig genutzt.
In anderen Parteien gehen Personalwahlen schneller über die Bühne – wohl auch, weil vieles vorher schon ausgeklüngelt wird. Dort könnte es sicher nicht schaden, wenn länger diskutiert würde, wer für Partei XY in den Bundestag zieht. Denn dabei geht es um tatsächliche Machtpositionen: Die Abgeordneten bekommen Geld und Zeit für ihre politische Arbeit und treffen die wirklich wichtigen Entscheidungen – oft genug gegen den Willen der Parteibasis.
Bei Wahlen zum Bundesvorstand sieht das anders aus: Kann Jens Seipenbusch, wiedergewählter Chef, die Piratenpartei bald durchregieren? Sicher nicht. Insofern hätten die Piraten ihre wertvolle Zeit lieber für inhaltliche Diskussionen zum Programm verwenden sollen. Die wurden jetzt nämlich auf einen Sonderparteitag verschoben.
Öffnung für andere Themen verpasst
Dabei sind die Fragen dringender denn je. Noch immer ist unklar, ob sich die Piratenpartei auf Internet und Datenschutz konzentrieren will oder auch anderen Themen einen gleichwertigen Platz in ihrem Programm einräumen sollte. Netzpolitik ist inzwischen bei den etablierten Parteien angekommen, den Piraten geht ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Bei der NRW-Wahl haben sie weniger Stimmen erhalten als noch bei der Bundestagswahl im letzten Jahr.
Doch die Öffnung für weitere Themen will der selbst ernannten „Bürgerrechtspartei“ nicht gelingen: Die Anträge zu den klassischen Themen „freie Software“ und „mehr Demokratie“ wurden auf dem Parteitag angenommen. Die anderen zwei zu „Umwelt“ und „säkularem Staat“ fanden keine Mehrheit.
Kommentare 6
Es wurde ein sehr entscheidender Beschluss gefasst und zwar einen Bundesinstanz der Software Liquidfeedback aufzusetzen, damit können wir in Zukunft ohne Parteitage unsere programmatischen Positionen weiterentwickeln und dies ohne klassisches Delegiertensystem. Das einzige wofür wir dann noch Parteitage brauchen sind Personenwahlen, da sich diese bekanntermaßen nicht mit Computern abwickeln lassen. Ich denke vor diesem Hintergrund ist vielleicht der etwas merkwürdige Ausgang unseres Parteitages zu erklären. Ich denke was jetzt noch wie ein chaotischer Versuch in Basisdemokratie wirkt, wird uns in wenigen Monaten dazu bringen Parteipositionen auf breiter Basis und um einiges schneller als bei den Kollegen der anderen Parteien zu finden.
Ein Pirat, der keinen Internetzugang hat – unvorstellbar. Thanks, Captain Obvious!
Irrtum: Die Piraten "üben" nicht mehr Basisdemokratie, so schaut Basisdemokratie nun einmal aus. Ich könnte jetzt anfügen, was der griechische Historiker Polybios über den Unterschied von Demokratie und Ochlokratie geschrieben hat, aber das kann sich sicherlich jeder denken.
»Ich verstehe den medialen "Hype" um die Piratenpartei nicht.«
Ich schon. Die Piratenpartei deckt nämlich einen für die Gegenwart und die Zukunft entscheidenden Bereich ab: die Informationstechnologie und deren Auswirkungen. Computer, Internet, Datenschutz, mediale Bürgerrechte und Medienkompetenz sind zentrale Themen in unserer modernen Gesellschaft. Dergestalt sehe ich einen Nachholbedarf quer durch die große 5-Parteien-Landschaft (Linke, SPD, Grüne, CDU/CSU, FDP). Je weniger stark und kompetent sich die größeren Parteien mit diesem Themen beschäftigen und es handhaben, umso stärker wird die Piratenpartei.
»Ein paar harmlose Internetspinner, eigentlich die ideale FDP Wählerschaft, denn Hartz IV Empfänger können cih nicht mal das Internet leisten, machen ein wenig auf "Politik".«
"Spinner" ist ein reaktionärer Kampfbegriff des repressiv-autoritären Establishments. Ich als "linker Spinner" zeige mich solidarisch mit den "Internetspinnern" und rufe: Hoch die INTERNETionale Solidarität!
»Leider sehr flach und dümmlich. In vier Jahren redet keiner mehr von "Piraten", wahrscheinlich werden sie durch -"Guidos Fanclub" ersetzt.«
Jetzt weiß ich endlich, warum die Piratenpartei-Flagge orange ist: rot + gelb = orange :-)
@MeisterderO
Ähnlich hat man in den 80er Jahren über die Grünen gesprochen. Besonders harmlose Spinner war damals sehr beliebt.
Geschehnisse wie der letzte Parteitag der Piraten kann vielleicht dazu verleiten so zu denken. Doch ich glaube, das sind Kinderkrankheiten. Was aus ihnen wird ist noch gar nicht abzusehen.
Ich würde sie mal nicht unterschätzen. In Berlin zumindest sind sie stark im Kommen und ich rechne ihnen bei den nächsten Senatswahlen gute Chancen aus.
Eine Partei die 10 Stunden braucht um den Vorstand zu wählen, hat definitiv ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Eine Partei sollte nicht wie ein Online Forum betrieben werden.