Kämpft die Europäische Union jetzt auch für ein verständliches Deutsch? Ihr ist es zu verdanken, dass das wohl längste existierende Wort aus dem Sprachschatz verschwindet. Es ist 63 Buchstaben lang und in Mecklenburg-Vorpommern zu Hause: das Rindfleischetikettierungsüber-wachungsaufgabenübertragungsgesetz. Weil BSE-Tests für gesunde Rinder auf EU-Vorschlag aber nun entfallen, wird auch das Gesetz nicht mehr benötigt. Es soll durch eine Verordnung ersetzt werden.
Für die internationale Sprachwissenschaft ist das natürlich ein herber Verlust, denn wenn es um Wortungetüme geht, ist Deutschland einfach unschlagbar. Durch das Aneinanderreihen von Substantiven lassen sich problemlos Endlos-Wörter bilden – sodass Franzosen und Engländer ganz blass vor Neid werden. Nur der Nachteil ist: Es ist nicht nur wahnsinnig kompliziert, die Konstruktion ist auch noch total absurd. Denn die Hauptsache, um die es geht, steht im Deutschen ganz am Ende des Wortes, in diesem Fall: das Gesetz.
Aber geht nun mit dem 63-Buchstaben-Gesetz auch der Markenkern der deutschen Bürokratie verloren? Es wäre zu wünschen, denn die Bandwurmwörter mögen für ein Witzchen herhalten und zum Prahlen gegenüber unseren europäischen Nachbarn taugen. Sie sind aber vor allem eins: überflüssig und schädlich. Viele Kinder, Ausländer und Menschen mit Leseschwäche dürften am Lesen und Verstehen scheitern.
Den richtigen Ton treffen
Die Abschaffung des längsten Wortes sollte deshalb zum Anlass genommen werden, um generell die Bürokratensprache zu zivilisieren – und in allen Gesellschaftsbereichen für ein verständliches Deutsch zu werben. Sprache ermöglicht nämlich nicht nur die Kommunikation zwischen Menschen, sie kann genauso auch zur unüberwindbaren Barriere werden – als Abgrenzungsmerkmal unterschiedlicher Schichten und sozialer Milieus. Wer nicht den richtigen Ton trifft, wer den falschen Slang spricht, gehört eben nicht dazu. Diese Mechanismen spielen sich meist unbewusst ab. Das macht sie aber umso gefährlicher.
Bei wissenschaftlichen Fachbegriffen etwa lässt sich darüber streiten, ob sie sich durchgesetzt haben, weil sie Nicht-Akademiker abschrecken, oder ob sie zum besseren Verständnis der Wirklichkeit tatsächlich notwendig oder zumindest nützlich sind. Bei Endlos-Wörtern ist die Frage aber recht einfach zu beantworten. Trotzdem werden Kinder in der Schule immer noch aufgefordert, extra komplizierte Wörter und Sätze zu schreiben. Früh übt sich eben, wer sich später abgrenzen will.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.