Wir dürfen weiter Umweltschweine sein. Energie verschwenden, Benzinfresser fahren, um die halbe Welt fliegen. Wer sich von der Sorge ums Klima bisher eingeschüchtert fühlte, kann sich entspannen. Der Treibhauseffekt ist so gut wie aus der Welt. Sobald die Vision von Klaus Lackner Wirklichkeit wird. Denn der Geophysik-Professor an der Columbia-Universität hat eine Idee: Luftwaschmaschinen, die das Erdklima einfach reinwaschen. Wie das funktionieren kann beschreibt Lackner in der jüngsten Ausgabe des Scientific American, und es klingt wie ein Heilsversprechen. Eine Maschine entzieht der Luft täglich zehn Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) – etwa soviel, wie ein Durchschnittsdeutscher im ganzen Jahr ausstößt. Stellte man weltweit 10 Millionen solche Apparate auf, rechnet Lackner vor, fingen sie etwa das vierfache der weltweiten Emissionen wieder ein - und könnten den seit mehr als einem Jahrhundert währenden Trend der globalen Erwärmung umkehren. Nicht sofort, denn das Treibhaus ist träge. Aber um den Klimakollaps überhaupt noch abzuwenden, darin sind sich die Forscher einig, müssen die Nettoemissionen von CO2 eben schnellstmöglich gesenkt werden.
Zwölf Euro pro Tonne
Über diese Reduktion, über die man sich in Kopenhagen 2009 nicht einigen konnte, verhandeln derzeit Hunderte Diplomaten der UN-Klimakonferenz in Bonn. Und wieder geht es darum, welches Land wieviel Treibhausgase einsparen muss, und wer wieviel zahlt, damit auch die ärmeren Länder etwas gegen die Erderwärmung tun oder sich an jene Folgen anpassen können, die gar nicht mehr zu vermeiden sind.
Aber wozu diskutieren? Aus Sicht von Lackner lässt sich das Klimaproblem besser durch Technik lösen, als durch unverbindliche Abkommen. In Kanada, der Schweiz und den USA forschen Wissenschaftler bereits an Prototypen der Waschmaschinen. Sie haben etwa die Größe eines Schiffscontainers, auf dessen Dach sich ein Karussell mit türgroßen Karbonatfiltern befindet. Die Luft strömt hindurch, und die CO2-Moleküle binden an das Karbonat. Die beladenen Filter werden in den Container herabgesenkt und mit Wasser besprüht, das CO2 löst sich und kann in einen Tank abgesaugt werden. So rettet man das Klima!
Zumindest theoretisch. Praktisch gesehen kostet die Filterreinigung wiederum Energie: Mit einer Kilowattstunde ließen sich schätzungsweise drei Kilogramm CO2 auswaschen. Deutsche Kohlekraftwerke erzeugen für diese Energie mehr als ein halbes Kilogramm neues CO2.
Der finanzielle Aufwand wird von Lackner mit umgerechnet 12 Euro pro Tonne CO2 relativ niedrig veranschlagt, aber wer eine Technologie propagiert, tut gut daran, die Kosten herunterzuspielen. Lackner selbst räumt ein, dass die Tonne zunächst auch 160 Euro kosten könnte. Das gewonnene CO2 ließe sich zwar verkaufen, zum Beispiel als Kühlmittel. Doch selbst wenn es, wie der Forscher schätzt, eine industrielle Nachfrage von 30 Millionen Tonnen gibt, wäre der Großteil des abgeschiedenen Gases Müll, der als Zertifikat an der Emissionsrechte-Börse gehandelt würde. Dort liegt der CO2-Preis um 15 Euro je Tonne.
Ganz schön teuer
Ob Luftwaschmaschinen jemals Realität werden? Am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie ist man skeptisch. Wegen des „voraussichtlich immensen Energie- und Kostenaufwands für Herstellung und Betrieb der Absorberanlagen“ sei das „kein zukunftsfähiges Konzept“. Etwas besser sehe es für das direkte Auffangen von CO2 an Kraftwerken aus, das aber gleichwohl vor „ökonomischen und ökologischen Herausforderungen“ stehe. Politik und Wirtschaft pumpen bereits jetzt enorme Geldsummen in die Technik, die „Carbon Capture and Storage“ genannt wird, oder CCS, und die schmutzige Kraftwerke sauber und zukunftsfähig machen soll. Die Europäische Union fördert sie in den nächsten sechs Jahren mit 300 Millionen Emissionshandel-Zertifikaten, die einen Wert von rund 4,5 Milliarden Euro haben. Gleichzeitig hat sie im letzten Sommer eine Richtlinie erlassen, nun müssen die Mitgliedsstaaten binnen zweier Jahre Gesetze verabschieden, die einen Rechtsrahmen für die Anwendung der CO2-Abscheidung bieten sollen.
Vattenfall erprobt die Technik derzeit in Brandenburg. Anlässlich einer Umweltdemonstration vor dem Kohlekraftwerk Jänschwalde stellte der schwedische Energiekonzert ein überdimensioniertes Transparent auf, das die Kühltürme halb verdeckt: „Kohle fördern, CO2 stoppen – wir arbeiten dran“. Auf der anderen Seite haben sich aber auch bereits Bürgerinitiativen gegründet, um gegen die unterirdische Einlagerung des Treibhausgases zu protestieren. Denn irgendwo muss das CO2 schließlich hin, wenn es abgetrennt wurde.
Kein Verfahren ist ideal
Umweltorganisationen, Energiekonzerne, Klimawissenschaftler und Politiker sehen das CCS-Konzept sehr unterschiedlich. Für die einen ist es die Technologie der Zukunft, für die anderen ein teurer Irrweg. Ob die Kohlendioxid-Abscheidung möglich und rentabel sein kann, bleibt unklar. CCS wird frühestens im Jahr 2020 in der Breite einsatzbereit sein.
Streit gibt es auch über die Methode: RWE möchte ab 2014 das sogenannte Pre-Combustion-Verfahren testen. Dabei wird die Kohle noch vor der Verbrennung in einer Vergasungsanlage in Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff zerlegt. Das Kraftwerk soll dann nur mit Wasserstoff befeuert werden. Konkurrent Eon setzt auf die Abscheidung nach der Verbrennung („Post-Combustion“). Das CO2 wird hier chemisch aus den Abgasen herausgewaschen – ähnlich wie in Lackners Luftwaschmaschine. Und Vattenfall erprobt bereits heute das Oxyfuel-Verfahren, bei dem die Kohle in reinem Sauerstoff verbrannt wird und am Ende ein Gas übrigbleibt, das bereits zu 70 bis 90 Prozent aus CO2 besteht.
Alle Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile: Mal ist das Verfahren sehr komplex, mal energieaufwendig und teuer, mal bleibt das CO2 stark verunreinigt. Zwei Probleme treten allerdings grundsätzlich auf: Zum einen benötigt die Abscheidung Energie, senkt also den Wirkungsgrad des Kraftwerks; Wenn beispielsweise ein modernes Kohlekraftwerk mit dem Post-Combustion-Verfahren nachgerüstet werden soll, würde nur 30 bis 35 Prozent der Energie, die in der Kohle gespeichert sind, in Strom umgewandelt. Ohne CCS läge der Wirkungsgrad bei 43 Prozent. Der Brennstoffbedarf steigt um bis zu 32 Prozent und das heißt: Mehr Kohleabbau, mehr Abgase. Es ist etwas paradox: Um das Klima zu retten, wird die Umwelt stärker verschmutzt – zum Beispiel mit Stickoxid oder Schwefeldioxid.
Wohin mit dem Klimagas?
Zum anderen muss das Kohlendioxid eingelagert werden. Ob ein sicheres dauerhaftes Lager möglich ist, wird ebenfalls noch erforscht – auch hier mit Hilfe von Vattenfall. Als Lagerstätten kommen vor allem ehemalige Öl- und Gasfelder infrage, und saline Aquifere, also poröses Gestein mit extrem salzigem Wasser. Diese geologischen Formationen bieten begrenzte Kapazität, deshalb ist CCS auch keine langfristige Lösung für das Klimaproblem. Schätzungen haben ergeben, dass die Lager in Deutschland für 15 bis 60 Jahre reichen, wenn die Kraftwerke weiterhin soviel CO2 erzeugen wie bisher. Weltweit gibt es Raum für die Emissionen eines halben Jahrhunderts. Falls es je dazu kommt, könnte es zudem Nutzungskonflikte mit der Geothermie geben, der Energiegewinnung aus Erdwärme. Wenn unter dem Boden überall Klimagas lagert, kann an den jeweiligenStellen nicht mehr gebohrt werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Entscheidung über die CCS-Nutzung „eine wesentliche strategische Weichenstellung“ für die zukünftige Energieversorgung sein könne. Außerdem ist in den bisherigen Gesetzesentwürfen vorgesehen, dass die Energieunternehmen nach einigen Jahrzehnten (die genaue Zeitspanne variiert je nach Entwurf) nicht mehr verantwortlich sind für ihren CO2-Müll. Danach trägt die Allgemeinheit das Risiko, wenn es beispielsweise zu Unfällen kommt und das Treibhausgas entweicht. Die Konzerne müssten weder für Schäden noch Opfer aufkommen.
Einzig sinnvoll bleibt wohl weiterhin nur die reale, direkte Reduktion der CO2-Emissionen, die an den Ursachen ansetzt: Weniger Energie verbrauchen, effizientere Geräte entwickeln, mehr erneuerbare Energien nutzen. Aber wer von 10 Millionen Luftwaschmaschinen träumt, verschwendet daran wohl keinen Gedanken.
Felix Werdermann ist Politikwissenschaftler und freier Autor in Berlin. Er arbeitet für das Online-Magazin wir-klimaretter.de
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