Über die Bevölkerung in Deutschland gibt es eine Unmenge an Statistiken, in Bezug auf eine Gruppe aber ist die Datenlage richtig schlecht: die hiesigen Reichen. Ökonomen klagen, dass Top-Vermögende in Langzeitstudien wie dem Sozio-oekonomischen Panel so gut wie nicht vorkommen, unter anderem weil die hierfür befragten Personen mittels zufallsbasierter Stichprobe ausgewählt werden. Mit am besten Bescheid über die Reichen und Mächtigen weiß der Elitenforscher Michael Hartmann.
der Freitag: Herr Hartmann, viele träumen davon, reich zu werden. Kennen Sie das Erfolgsrezept?
Michael Hartmann: Das Einfachste ist: Sie erben. Die höchsten Einkommen resultieren aus Vermögen. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich zwar immer auf die Spitzenmanager, aber das sind nur arme Schlucker im Vergleich zu den wirklich Reichen, denen große Unternehmen oder Aktienpakete gehören. Ein Konzernchef wie Dieter Zetsche bekommt jährlich gut zehn Millionen. Wenn Sie sich aber die Familie Quandt angucken, da haben die beiden Kinder in den letzten Jahren alleine mit ihren BMW-Anteilen ungefähr 800 Millionen Euro an Dividende kassiert – jedes Jahr! Solche Tatsachen sind im öffentlichen Bewusstsein einfach nicht vorhanden und werden auch von den Medien kaum beachtet.
Woran liegt das?
Die Gehälter der Manager werden einmal im Jahr durch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz öffentlich gemacht. Bei den großen Eigentümern ist es schon schwieriger. Hin und wieder gibt es zwar kleine Ranglisten, wer am meisten Dividenden kassiert hat. Das geht jedoch nur bei denen, wo man weiß, wie groß die Aktienpakete sind. Dann kann man die Einkünfte ausrechnen. Es gibt aber auch viele große Privatunternehmen, die keine Aktiengesellschaften sind. Was die Eigentümer da verdienen, das weiß man nicht.
Wenn ich nichts oder nur wenig erbe, wie werde ich dann reich?
Am besten gehen Sie ins Management oder bauen eine neue Firma auf. Dabei haben Sie allerdings auch einen Vorteil, wenn Sie schon aus einem wohlhabenden Milieu stammen. Sie gehen dann mit beruflichen Herausforderungen anders um und die, die oben sitzen und über die Top-Positionen entscheiden, bevorzugen Leute wie ihresgleichen. Der rein berufliche Weg zum Reichtum ist der viel kompliziertere und auch nicht so ertragreiche Weg, verglichen mit dem Erben.
Sie erforschen seit Jahrzehnten die gesellschaftliche Elite. Sind das die Reichen?
Nein, aber es gibt eine Schnittmenge. In der Wirtschaft ist die relativ groß. Dort haben Sie zwei verschiedene Typen von Eliteangehörigen: Eigentümer und angestellte Spitzenmanager. Die Eigentümer größerer Unternehmen sind immer reich, zum Teil sehr reich. Die angestellten Manager sind das in zunehmendem Maße auch. Anders als noch in den 70er Jahren sind ihre Einkommen heute so hoch, dass sie Reichtum anhäufen können, wenn sie mehrere Jahre in so einer Position sind.
Ab wann gilt eine Person denn als reich?
Es gibt keine offizielle Definition. Für mich fängt Reichtum da an, wo man von den Erträgen seines Vermögens in gehobenem Wohlstand leben kann. Heute müsste man dafür etwa vier oder fünf Millionen Euro besitzen.
Die Elite besteht aber nicht nur aus Reichen?
Die Schnittmenge ist in den anderen Bereichen als der Wirtschaft sehr viel geringer. Schauen Sie sich etwa die Politik an. Ein Mitglied der Bundesregierung verdient zwischen 180.000 und 250.000 Euro pro Jahr. Davon können die Politiker auch sparen, aber um auf diesem Weg reich zu werden, dauert es schon eine Weile. Es gibt natürlich auch Beispiele wie Karl-Theodor zu Guttenberg, wo einer der sehr Reichen im Bundeskabinett gesessen hat. Aber das ist sehr selten.
Zur Person
Michael Hartmann, 64, ist Soziologe und Deutschlands bekanntester Elitenforscher. Seit Jahrzehnten untersucht er die gesellschaftliche Elite und die Kluft zwischen Arm und Reich. Bis 2014 war er Professor an der Technischen Universität Darmstadt, dann ließ er sich aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensionieren. In die politische Debatte mischt er sich trotzdem weiter ein. Anfang September erscheint im Campus-Verlag sein neues Buch: Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende
Wann gehört jemand zur Elite?
Zum Kern zähle ich etwa tausend Menschen in Deutschland. Elite bedeutet erst mal nur, dass Sie über Macht verfügen. Reichtum verschafft zwar Macht, aber es ist nicht identisch. Eine Machtposition können Sie auch haben, wenn Sie in Politik, Verwaltung oder Justiz tätig sind. Wenn etwa das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss fällt, ist das auch Macht. Die Richter müssen dafür nicht reich sein.
In der Elite ist Geld gar nicht so entscheidend?
Bei der Auswahl der Elite werden durchaus Personen bevorzugt, die aus dem gehobenem Milieu stammen. Wenn Sie aus wohlhabenden Familien kommen, schaffen Sie es leichter in die Elite, weil Sie dann bestimmte Eigenschaften mitbringen. Aber Sie müssen nicht unbedingt reich sein.
Können Sie das näher erläutern?
Das wesentliche Rekrutierungsprinzip der Elite ist Rekrutierung nach Ähnlichkeit. In der Wirtschaft sieht man das sehr gut am Geschlecht. Seit Generationen sitzen Männer ganz oben, und die glauben zu wissen, welche Eigenschaften positiv sind. Mit Männern sind die vertraut. Frauen in der obersten Ebene hingegen haben die fast noch nie gesehen. Das bedeutet Unsicherheit, man weiß nicht, wie man damit umgehen soll. Daher entscheiden sie sich meist dagegen.
Und dieses Prinzip gilt auch für die soziale Herkunft?
Ja, in den Top-Positionen der Wirtschaft sitzen Leute, die seit Jahrzehnten zu ungefähr 80 Prozent aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Kreisen stammen, also aus den oberen dreieinhalb bis vier Prozent der Bevölkerung, gemessen an Beruf und Einkommen der Eltern. Und diese Leute haben bestimmte Eigenschaften, die sie positiv bewerten. Jemandem mit ähnlichen Eigenschaften begegnen sie – ob sie das merken oder nicht – mit einer gewissen Sympathie. Dann sagen die: Wow, das ist genau so ein Typ, wie ich früher auch war, der wird das schaffen. Denn sie sind ja der Meinung, dass sie der richtige Mann am richtigen Platz sind.
Was sind das für Eigenschaften, die positiv auffallen?
Die Ähnlichkeit wirkt sich am stärksten aus in einer Eigenschaft: Souveränität. Als Bewerber kommen Sie in eine Umgebung, die ausgesprochen exklusiv ist. Je weiter Sie aufgestiegen sind, desto weniger vertraut ist Ihnen das Ambiente. Dann werden Sie unsicher, weil Sie nicht wissen, wie das da oben so ist, wenn Sie zu diesen gehobenen Kreisen familiär überhaupt keinen Bezug haben. Dann gehen Sie da hin und haben vorher schon Angst, irgendwas falsch zu machen. Selbst wenn das nicht stimmt, haben Sie diese Angst, weil Sie es nicht wissen. Jemand hingegen, der in diesen Kreisen aufgewachsen ist, der kennt zwar auch nicht alles, aber der weiß, dass vieles nicht so schlimm ist.
Was ist an Unsicherheit schlimm?
Die Leute verkrampfen. Ich habe das teilweise gemerkt, als ich als Wissenschaftler Interviews geführt habe. Mit Leuten aus einem bürgerlichen Milieu konnte ich ganz locker reden. Die wissen, um was es geht und um was es nicht geht. Wenn mir aber soziale Aufsteiger gegenübersaßen, waren das oft sehr zähe Gespräche. Ich kann mich noch an eines erinnern, da habe ich gedacht: Der sitzt mir gegenüber, als könnte ich ihm was. Das ist natürlich völliger Quatsch, aber der ist auf Vorsicht getrimmt: Mach bloß keinen Fehler, sonst verlierst du all das, was du in mühsamen Aufstiegsjahren erworben hast. Dieses Denken kriegt man nicht wirklich raus und dann fehlt eben diese Lockerheit. Daran merkt man, ob jemand groß geworden ist im Haushalt eines Chefarztes oder eben in einer Schlosserfamilie.
Woran merke ich das konkret?
An den Kleinigkeiten. Wie jemand redet, wie jemand auftritt, wie jemand sich bewegt.
Ist denn die Qualifikation bei der Auswahl neuer Spitzenmanager nicht entscheidend?
Die Qualifikation müssen Sie natürlich auch mitbringen. Aber am Ende entscheidet trotzdem oft die Persönlichkeit. In den großen Unternehmen gibt es für Führungskräfte-Trainees oft Auswahlgespräche mit Bewertungslisten. Da wird angekreuzt und dann gibt es ein Ergebnis. Ich kenne jedoch viele Entscheider, die sagen: Am Schluss gehe ich trotzdem nicht nach Punktzahl, sondern ich gucke mir die Leute an und sage: Der ist es. Sie können einen Bewerber nicht in einzelne Details zerlegen, sondern es bleibt letztlich ein Gesamteindruck von der Person – und der wird geprägt von der Persönlichkeit desjenigen, der auswählt.
Was raten Sie Leuten, die aus der Unter- oder Mittelschicht kommen und aufsteigen wollen?
Sie müssen in der Regel deutlich besser sein als die Konkurrenz. Das ist ein blöder Rat, aber leider der einzige. Benimmkurse und ähnliche Angebote sorgen vielleicht dafür, dass man die allergrößte Unsicherheit vergisst. Aber da hört es dann schon auf. Ein bekannter deutscher Politiker hat mir erzählt, wie es für ihn war, als er aufgestiegen und das erste Mal bei einem Essen war, wo mehr als ein Glas auf dem Tisch stand. Das hat ihn total verunsichert. Bei ihm zu Hause gab es immer nur ein Glas. Der hat überhaupt nicht gewusst, was er mit drei Gläsern anfangen soll. Solche Dinge können Sie lernen, ansonsten haben Sie nur eine Chance: Sie müssen deutlich besser sein als die Konkurrenz, die qua Herkunft einen Vorteil hat.
Sollte man sich einen Mentor suchen?
Das hilft. Wenn Sie jemanden haben, der zu den Mächtigen und Einflussreichen gehört, und der Sie für geeignet hält, dann zieht der Sie – solange er kann – immer ein Stück mit. Das Problem ist bloß, dass da dieselben Mechanismen wirken, die ich vorhin angesprochen habe: Solche Leute haben meist einen gehobenen Hintergrund und die favorisieren ihresgleichen. Für einen sozialen Aufsteiger ist das viel schwieriger, so einen Mentor zu finden als für einen, der aus einem gediegenen bürgerlichen Milieu stammt.
Wie elitär ist die Wirtschaft im Vergleich zu anderen Bereichen?
Die Wirtschaft ist traditionell sehr exklusiv. Vier von fünf Spitzenmanagern stammen aus den oberen dreieinhalb bis fünf Prozent der Bevölkerung. In der Justiz sind es zwei von drei Personen, in der Verwaltung fast ebenso viele. In den privaten Medien kommen drei von vier aus der oberen Schicht, in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist es wie in der Politik: halbe-halbe. Auch da sind Bürger- und Großbürgerkinder noch deutlich überrepräsentiert.
Kriegen Sie Wut, wenn Sie solche Zahlen erheben?
Es ist ein Indiz dafür, wie sozial undurchlässig unsere Gesellschaft ist. Und wie stark Vermögen, Macht und ähnliches von einer Generation auf die nächste vererbt werden. Wenn man da immer wütend wird, kriegt man irgendwann Magengeschwüre.
Kann man angesichts dieser Zahlen überhaupt von Leistungsgerechtigkeit sprechen?
Nein. Die Leute, die dank ihrer sozialen Herkunft oben ankommen, sind zwar keine Nieten in Nadelstreifen. Das sind Leute, die viel arbeiten und viel leisten. Trotzdem: Es gibt hundert Leute, die alle viel leisten, und es gibt drei oder vier, die diese Herkunft haben – und die kriegen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Spitzenposition.
Sie haben auch internationale Vergleiche durchgeführt. Ist die deutsche Elite exklusiver als in anderen Ländern?
Ja, am geschlossensten ist die Elite in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Spanien, Deutschland, USA. Dann kommt das Mittelfeld mit Italien, Dänemark, den Niederlanden. Weiter unten rangieren dann die restlichen skandinavischen Länder und Österreich. Je nachdem, wie viele Länder Sie in den Vergleich mit reinnehmen, liegt die deutsche Elite immer im oberen Viertel oder Fünftel. Am geschlossensten und homogensten ist die französische Elite, mit sehr wenigen Ausbildungsstätten, die die meisten durchlaufen, und mit einem regelmäßigen Wechsel zwischen den verschiedenen Sektoren.
Wie lassen sich die Unterschiede zwischen den Staaten erklären?
Das hat viel zu tun mit nationalen Traditionen. Im skandinavischen Raum spielt etwa ein egalitärer Grundgedanke eine größere Rolle als im angelsächsischen Raum, das können Sie auch am Sozialsystem sehen. Das sorgt dafür, dass sich die Elite anders zusammensetzt. Auch das Bildungssystem ist dort viel offener und kennt nicht die Zuspitzung auf Eliteinstitutionen. Außerdem spielt es eine Rolle, ob ein Land im Weltmaßstab zu den Mächtigen gehört oder nicht. Wo es um viel Macht geht, ist die Neigung der Eliten größer, sich besonders stark aus dem engsten Umfeld zu rekrutieren.
Gibt es neben den nationalen auch eine globale Elite?
Von einer solchen globalen Elite wird zwar immer gesprochen, tatsächlich aber existiert sie nicht. Wenn man sich die Topmanager der tausend größten Unterneh-men dieser Welt und die tausend reichsten Menschen näher anschaut, so arbeiten, wohnen und leben 90 Prozent von ihnen in ihrem Heimatland. Bei den anderen Eliten aus Politik, Justiz oder Verwaltung dürfte der Prozentsatz noch deutlich höher liegen, da diese Institutionen viel stärker als Unternehmen in nationale Strukturen eingebunden sind.
Das Gespräch führte Felix Werdermann
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