Team Juncker

Europäische Union Das Parlament hat die Kandidaten für die neue EU-Kommission angehört, einige bleiben umstritten. Nun dürfen die Abgeordneten entscheiden, doch ihre Macht ist begrenzt
Ausgabe 41/2014
Jean-Claude Juncker: der Liebling des EU-Parlaments
Jean-Claude Juncker: der Liebling des EU-Parlaments

Foto: Emmanuel Dunand / AFP / Getty Images

Es klingt nach einer vorzüglichen demokratischen Prozedur: Das Europäische Parlament darf über die neue EU-Kommission entscheiden und deren Mitglieder wählen. Die designierten Kommissare mussten sich in der vergangenen Woche vielen kritischen Fragen der Abgeordneten stellen, manche Kandidaten sind besonders umstritten (siehe unten). Können die Volksvertreter jetzt endlich bestimmen, wer künftig die Geschicke Europas lenken wird? Nein, die Macht des Parlaments ist begrenzt, die Position deutlich geschwächt gegenüber den Staatschefs, die die Kandidaten ausgewählt haben und am Ende noch zustimmen müssen.

Das geht los beim Abstimmungsverfahren. Das Parlament darf zwar Empfehlungen zu einzelnen Bewerbern abgeben, letztlich aber bloß Ja oder Nein zur gesamten Kommission sagen. So kann der schon gewählte Präsident Jean-Claude Juncker auch unbeliebte Kandidaten in seinem Team behalten und darauf spekulieren, dass die Abgeordneten am Ende nicht die gesamte Mannschaft durchrasseln lassen. Juncker muss abwägen: Wie sehr hängt er an einzelnen Kandidaten? Wieviel Ärger macht die Regierung, die den Kandidaten vorgeschlagen hat? Und wie wahrscheinlich ist es, dass die Abgeordneten die Zustimmung verweigern?

Austauschen ist noch möglich

Ein Nein zur kompletten Kommission hat es zwar bislang noch nicht gegeben, allerdings ist der bisherige Kommissionspräsident José Manuel Barroso auch schon mehrmals auf die Abgeordneten zugekommen. Im Jahr 2004 tauschte er nach der Anhörung durch das Parlament noch zwei Bewerber aus, einem weiteren teilte er einen anderen Themenkomplex zu. Im Jahr 2010 ersetzte er ebenfalls eine Kandidatin.

Auch Juncker hat nun die Möglichkeit, sein Team noch umzumodeln. Am heutigen Donnerstag sollen die Empfehlungen des Parlaments zu den einzelnen Kandidaten offiziell bekannt gegeben werden. Die Ja- oder Nein-Voten wurden jeweils mit einfacher Mehrheit im zuständigen Ausschuss gefasst. Es ist bereits durchgesickert, dass die beiden Kandidaten Tibor Navracsics und Alenka Bratusek durchgefallen sein sollen.

Der Text ist für die Online-Ausgabe ergänzt worden

Will Juncker auf die Vorstellungen des Parlaments eingehen und Bewerber auswechseln, so muss er zunächst mit dem Regierungschef sprechen, der den Bewerber vorgeschlagen hat. Ist ein neuer Kandidat gefunden, so muss dieser sich ebenfalls den Fragen der Europaabgeordneten stellen, ein Termin könnte kurzfristig angesetzt werden. Wenn das Europaparlament grünes Licht gibt, muss die gesamte Kommission auch von den Regierungschefs noch einmal abgesegnet werden.

Liebling des Parlaments

Die Abgeordneten werden vermutlich am Ende zustimmen, denn Juncker ist der Liebling des Parlaments. Er war Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, die bei der Wahl im Mai die meisten Stimmen geholt hat. Dass er Kommissionspräsident wird, war keinesfalls ausgemacht – die Staatschefs hätten auch einen andere Knadidaten nominieren können. Die Abgeordneten jedoch hatten sich für Juncker als Sieger der Wahl stark gemacht. Ihre Hoffnung: Künftig könnte der Kommissionspräsident immer durchs Parlament bestimmt werden – er kommt dann jeweils von der stärksten Fraktion. Dass Juncker jetzt von ihnen vorgeführt wird, ist daher unwahrscheinlich.

Zumal er eine Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten hinter sich weiß. Durch das Erstarken rechtspopulistischer Parteien rücken die proeuropäischen Kräfte noch enger zusammen. Das stärkt Juncker – und schwächt daher in diesem Fall das Parlament.

Das sind sechs umstrittene Kandidaten der Kommission:

Jonathan Hill
Lobbyist

Die EU-Parlamentarier konnten der noblen Geste gegenüber Premier David Cameron nichts abgewinnen und düpierten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der hatte die Nominierung von Jonathan Hill als EU-Kommissar für Finanzdienstleistungen durch die Regierung in London geschluckt. Es sollte eine Friedensbotschaft an das EU-skeptische Königsreich nach dem Motto sein: Ihr bekommt einen wichtigen Posten in der Kommission und haltet dafür Europa die Treue. Hills erste Anhörung war weder Reinfall noch Durchmarsch. Seine Statements wurden als „blutleer“ empfunden. Man habe zur Bankenunion „nichts Substanzielles“ gehört, so der Eindruck. Ein zweiter Anhörungstermin erschien unverzichtbar.

Pierre Moscovici
Nestbeschmutzer

Es war ein regelrechter Kotau, zu dem sich der Franzose Pierre Moscovici gegenüber den Konservativen im EU-Parlament durchringen musste. Ja! Als Kommissar für Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Zoll werde er den EU-Stabilitätsverträgen Geltung verschaffen. Ja! Auch für Frankreich dürfe es keine Ausnahmen geben, es müsse wie alle anderen Eurostaaten Budgetregeln einhalten. Damit hat sich der Sozialist Moscovici gegenüber der sozialistischen Regierung in Paris in eine wenig komfortable Lage manövriert. Die kann sich durch rigides Sparen nicht um die letzte Gunst ihrer Wähler bringen und wird demzufolge manche Rüge des eigenen Kommissars in Brüssel einstecken müssen, den Präsident Hollande unbedingt wollte.

Cecilia Malmström
Freihändlerin

Foto: Thierry Charlier / AFP / Getty Images

Wer geglaubt haben sollte, in der designierten EU-Handelskommissarin jemanden zu finden, der Zweifel an den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA teilt, hat sich getäuscht. Die schwedische Liberale steht vorbehaltlos hinter der EU-Handelspolitik. Auch beim Investorenschutz lässt Malmström – wie Grüne und Linke im EU-Parlament hören mussten – nicht mit sich reden. Außergerichtliche Streitschlichtung zwischen Regierungen und Konzernen hält sie für legitim. An den dazu im Handelsvertrag EU-Kanada (CETA) verankerten Mechanismen solle man nicht rütteln. Was im Klartext heißt: Sie gelten auch für TTIP mit den USA, die EU-Kommission sollte die Verhandlungen vorantreiben.

Miguel Arias Cañete
Ölbaron

Foto: Pablo Blazquez Dominguez / AFP / Getty Images

Von den Abgeordneten wurde er ausgebuht und ausgelacht. Miguel Arias Cañete, ein ehemaliger Ölfirmenchef aus Spanien, soll sich nun in der EU-Kommission um den Klimaschutz kümmern. Zwar hat er seine Anteile an zwei Firmen inzwischen verkauft, aber sein Schwager ist dort immer noch im Vorstand. Einen Interessenkonflikt sieht Cañete nicht, schließlich gehöre der Schwager nicht zur „direkten Familie“. Was jedoch unbestritten ist: Cañete hat enge Kontakte zur fossilen Industrie, als Umweltminister erlaubte er Ölbohrungen. Kritisiert wird der konservative Politiker auch wegen seiner Äußerung, dass Männer den Frauen „intellektuell überlegen“ seien. Dafür hat er sich zwar entschuldigt, trotzdem gilt er als Macho.

Tibor Navracsics
Zensor

Foto: Thierry Charlier / AFP / Getty Images

Das Mediengesetz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán sorgte vor rund vier Jahren für Aufregung: Die EU-Kommission kritisierte, dass ausländische Medien kontrolliert, die Möglichkeiten einer ausgewogenen Berichterstattung beschränkt würden. Ungarischer Justizminister war damals Tibor Navracsics. Jetzt soll der Politiker der nationalkonservativen Fidesz-Partei in die EU-Kommission wechseln und dort für Kultur und Bürgerschaft verantwortlich sein. Bei der Anhörung im Europaparlament versuchte er, sich vom Mediengesetz zu distanzieren. Die Abgeordneten hat das offenbar nicht überzeugt. Der zuständige Ausschuss sprach sich gegen Navracsics aus. Das Votum ist jedoch unverbindlich.

Dimitris Avramopoulos
Abschotter

Foto: John Thys / Getty Images

Bisher ist Dimitris Avramopoulos als Hardliner in Flüchtlingsfragen aufgefallen, nun soll der konservative Politiker in der EU-Kommission für Migration zuständig sein. Als griechischer Verteidigungsminister hatte er die Abschottung gegen Flüchtlingsbewegungen gutgeheißen. „Hinter all diesen Strömen könnten sich Nester zur Reproduktion von Gewalt verbergen.“ Nun hingegen findet er beschwichtigende Worte für die EU-Parlamentarier: Er wolle „definitiv keine Festung Europa“. Abseits dieser Wohlfühlrhetorik kündigte er jedoch an, die europäische Grenzüberwachungsagentur Frontex zu stärken. Es gehe darum, ein „wahrhaft europäisches Grenzsystem“ zu schaffen. Das soll wohl netter als „Festung Europa“ klingen.

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