Tierqual wird politisch

Fluter-Magazin Hunde streicheln, Hühner essen: Die Bundeszentrale für politische Bildung thematisiert das widersprüchliche Verhältnis zu Tieren. Die Positionen sind erstaunlich radikal

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Unser Umgang mit Tieren muss als eine politische Frage behandelt werden
Unser Umgang mit Tieren muss als eine politische Frage behandelt werden

Foto: imago images/INSADCO

„Die Massentierhaltung ist in weiten Teilen ein Monstrum, ein permanenter Gewaltakt in Gestalt hochprofessionell technisierter, gut organisierter und rechtlich abgesicherter, aber letztlich permanent artenwidriger Verhältnisse.“ Und weiter: „Die Kombination aus Marktlogik und einer Alltagskultur der Verdrängung im Namen der Freiheit des Genusses führt ins kalte Herz der heutigen Konsumkultur.“

Diese Sätze stammen nicht etwa aus einem Pamphlet radikaler Tierschützer, sondern aus dem Editorial des Fluter-Hefts. Das Magazin der staatlichen Bundeszentrale für politische Bildung richtet sich vor allem an junge Menschen und knöpft sich in der Herbst-Ausgabe bemerkenswerter Weise unser widersprüchliches Verhältnis zu Tieren vor: Während wir Haustiere verhätscheln, müssen Millionen sogenannter Nutztiere in viel zu engen Ställen leiden, bevor sie umgebracht werden.

Tierleid, Klimawandel, Ressourcenverschwendung: Die Ernährung ist keine Frage des persönlichen Geschmacks, sie muss politisch werden. Es geht nicht um Fleischlust oder veganen Lifestyle. Es geht darum, was wir mit unseren Konsumgewohnheiten anrichten. Daher ist es so wichtig, dass die Frage von der Bundeszentrale für politische Bildung diskutiert wird.

Empörte Agrarlobby

Als die Bundeszentrale vor fünf Jahren das Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ der Philosophin Hilal Sezgin herausbrachte, empörte sich die Agrarlobby: Der Bauernverband Schleswig-Holstein sprach von einem „Unding“, warf Sezgin vor, sie würde „manipulieren“ (ohne dies zu belegen). Was die Lobby so auf die Palme brachte: Sezgin wirbt für eine vegane Lebensweise.

Das Fluter-Heft ist von der politischen Botschaft her zwar nicht ganz so eindeutig wie das Sezgin-Buch, aber trotzdem ziemlich radikal. Es gibt etwa ein Interview mit Marcel Sebastian, der über das Mensch-Tier-Verhältnis forscht. Er sagt beispielsweise: „Ohne Agrarwende ist der Klimawandel kaum abzuschwächen, weil die Klimabilanz der landwirtschaftlichen Tierhaltung so katastrophal ist. Die Klimabewegung müsste also auch das Ende der massenhaften Tierhaltung in der Landwirtschaft als Forderung aufgreifen.“

Bunter Mix

Ein anderer Text behandelt die „ziemlich willkürliche Grenze zwischen den Arten“, stellt also in Frage, ob (nichtmenschliche) Tiere wirklich so viel anders sind als Menschen – was immer wieder als Rechtfertigung für die schlimmste Tierquälerei angeführt wird. Im Heft findet sich ein bunter Mix aus politischen Themen und interessantes Faktenwissen über Tiere. Es geht um das Bienen- und Artensterben, um Tierversuche, aber auch um tiergerechte Architektur (zum Beispiel Brutplätze für Vögel in Hausfassaden). Man erfährt, dass ein Mückenstich juckt, weil er eine allergische Reaktion auslöst. Und dass Mücken wahrscheinlich mehr Menschen auf dem Gewissen haben als alle anderen Tierarten.

Ist der Hype um Vegetarismus und Veganismus nur eine Modeerscheinung, die von der Bundeszentrale aufgegriffen wird? Ein Text klärt auf über die Geschichte der Bewegung. Schon um 600 vor Christus hat es Menschen gegeben, die aus ethischen Gründen auf Fleischkonsum verzichtet haben. Einer von ihnen war der Philosoph und Mathematiker Pythagoras, weswegen Veganer bis ins 19. Jahrhundert hinein als „Pythagoräer“ bezeichnet wurden.

Mutiger Schritt

Klar ist aber auch, dass die Zahl der vegetarisch und vegan lebenden Menschen heute rasant wächst. Insbesondere junge Leute sind offen für die Idee. Vielleicht liegt es daran, dass sie eher bereit sind, ihre Ernährungsgewohnheiten umzustellen, als jahrzehntelange Fleischesser. Vielleicht liegt es daran, dass sie noch auf der Suche sind nach Antworten auf die Frage, wie wir mit Tieren umgehen sollten. Vielleicht liegt es daran, dass die Tierrechtsbewegung heute stärker ist als früher.

Dass das Thema von der Bundeszentrale aufgegriffen wird, ist daher folgerichtig, aber auch durchaus mutig, schließlich stehen die Interessen mächtiger Wirtschaftslobbys auf dem Spiel.

Eventuell bewegt es in den kommenden Tagen den einen oder die andere dazu, noch mal zu überdenken, ob der Weihnachtsbraten aus totem Tier wirklich sein muss.

Fluter, Heft 72: Tiere. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, verantwortlicher Redakteur: Thorsten Schilling. Kostenlos bestellen oder downloaden auf fluter.de

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