Unbeliebte Tombola

NSU-Prozess Die Presseplätze im Münchner Oberlandesgericht wurden nach dem Losverfahren vergeben. Nun ist die Aufregung groß. Im Hintergrund wird aber schon um Sitze geschachert
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Hauptgewinn: Ein Sitzplatz im Gerichtssaal 101.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Hauptgewinn: Ein Sitzplatz im Gerichtssaal 101.

Foto: Kolvenbach/ imago

Es musste so kommen. Große überregionale Medien sind vom Prozess gegen die rechte Terrorzelle NSU ausgeschlossen – zumindest an den wichtigsten Verhandlungstagen. Es gibt nur 50 sichere Plätze. Dass die Zahl der Bewerber ein Vielfaches dessen würde, war von Anfang an klar. Nun hat es also die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Zeit und die taz getroffen, die leer ausgingen. Und jetzt wird gejammert. Dabei hatten doch alle eine Neuregelung begrüßt, nachdem bei der ersten Platzvergabe die türkischen Medien außen vor geblieben sind. Damals hieß es: Wer zuerst mailt, kommt zuerst.

Die Wahrheit ist: Weder das Windhundprinzip (erster Versuch) noch das Losverfahren (zweiter Versuch) sind angemessen, um die Presseplätze gerecht zu verteilen. Vielmehr muss die Bedeutung der einzelnen Medien berücksichtigt werden. Die Reichweite müsste also eine Rolle spielen.

Unter die türkischen Medien geschmuggelt

Haben Medien abseits des Mainstreams dann überhaupt eine Chance? Ja, wenn man zulässt, dass sich etwa kleinere Zeitungen zusammenschließen können und dann auch ihre Reichweite zusammengerechnet wird. So lässt sich übrigens auch verhindern, dass Medien sich künstlich aufsplitten. So hat sich der arabische Nachrichtensender Al Jazeera auf die Liste der türkischen Medien geschummelt – mit seinem Büro in Istanbul.

Besser als eine Platzvergabe nach Reichweite wäre eine Videoübertragung in einen weiteren Presseraum. Das Oberlandesgericht sträubt sich, aber im Prinzip dürfte das rechtlich möglich sein. Schließlich ist das längst Praxis am Bundesverfassungsgericht – und die Karlsruher Richter werden die Übertragung deshalb wohl kaum in München verbieten.

Das Bundesverfassungsgericht sollte die Videoübertragung sogar durchsetzen, das wollte der Vater eines NSU-Opfers erzwingen und wollte in Karlsruhe gegen die bisherigen Pläne klagen. Doch das Verfassungsgericht lehnte ab – jedoch nur deshalb, weil der Kläger nicht selbst betroffen war. Das könnte nun anders sein, wenn die taz und andere Medien möglicherweise gegen ihren Ausschluss klagen.

Angst vor Verfahrensfehlern

Dass das Oberlandesgericht bei der Videoübertragung so stur ist, liegt an der enormen Angst vor Fehlern. Jedes Detail könnte hinterher ausgeschlachtet werden, um den Prozess samt Urteil juristisch in Frage zu stellen. Eine Prozesswiederholung wäre angesichts der politischen Bedeutung der NSU-Morde die ultimative Katastrophe.

Wird die Platzvergabe nun noch einmal neu geregelt? Das ist unwahrscheinlich, schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht nach dem ersten Anlauf die Vorgabe gemacht, dass auch ausländische Medienvertreter zum Zug kommen müssen und dies ist nun erfüllt.

Auch die Journalisten, die sich jetzt noch wegen ihres Verlosungspechs beschweren, werkeln hinter den Kulissen schon an alternativen Lösungen. Schließlich können sie auch auf dem Ticket eines anderen Mediums in den Saal gelangen, das hat das Gericht ausdrücklich zugelassen. Im Prinzip eine sinnvolle Regelung, in der Praxis dürfte sie aber dazu führen, dass die Prozessteilnahme käuflich wird. Und das kann das Gericht auch nicht gewollt haben. Vielleicht sollte es doch nochmal über die Videoübertragung nachdenken.

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