Vernebelte Meiler

Rot-grünes Erbe Im Mai sollen erste Ergebnisse des AKW-Stresstests vorliegen. Auch die Gefahr durch Flugzeugabstürze wird untersucht - dabei sind die meisten Probleme lange bekannt

Der „Thunderbolt“ startete über Laufendorf noch einmal durch, dann stürzte der in Spangdahlem in Rheinland-Pfalz gestartete Kampfjet der US-Armee kurz hinter dem Dorf ab. Man sei, befand Bürgermeister Karl-Josef Junk, „knapp einer Katastrophe entgangen“.

Was Anfang des Monats in der Eifel geschah, wird in diesen Wochen Teil des Stresstests der Reaktorsicherheitskommission sein. Die Ingenieure sollen unter dem Eindruck des GAU von Fukushima prüfen, ob deutsche Atomkraftwerke gegen Erdbeben und Hochwasser gefeit sind – und was Abstürze von Militärjets oder voll betankten Passagiermaschinen den Meilern anhaben können. Von den Befunden soll maßgeblich der Weiterbetrieb abhängen.

Die Opposition hat den Stresstest als Täuschung kritisiert. Die Mängel seien längst bekannt. Auch die Terrorgefährdung durch einen gezielten Flugzeugabsturz ist bereits vor Jahren untersucht worden. Mit erschreckenden Ergebnissen: Die Wand der älteren Meiler könnte durchschlagen werden; in neueren Anlagen verhindern womöglich herumfliegende Trümmer und Brände ein sicheres Herunterfahren.

Was SPD und Grüne nicht sagen: Auch ihre Umweltminister waren für den Schutz der AKW vor Flugzeugabstürzen verantwortlich – und haben sich nicht mit Ruhm bekleckert.

Der 11. September

Ironie der Geschichte: Schwarz-Gelb könnte jetzt davon profitieren. Erstens könnten CDU und CSU mit den Themen Terrorismus und innere Sicherheit bei ihrer Klientel Punkte sammeln. Zweitens spart sich die Regierung eine juristische Auseinandersetzung mit Greenpeace. Die Organisation klagt chancenreich gegen den Weiterbetrieb der Altreaktoren – auch mit dem Argument der Terrorgefahr. Drittens: Schwarz-Gelb kann dieses Risiko der Opposition in die Schuhe schieben. Schließlich war es der grüne Umweltminister Jürgen Trittin, der nach dem 11. September 2001 die Sicherheit der deutschen Meiler überprüfen ließ und 2005 einem fragwürdigen Schutzkonzept der Betreiber seinen Segen gab.

Rund zwei Wochen nach den Anschlägen in den USA erklärte Trittin, es werde nun „hoffentlich nie wieder jemand den Absturz eines Flugzeugs auf ein Atomkraftwerk als ‚Restrisiko‘ verniedlichen“. Das Regelwerk für „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ wurde erweitert, das Umweltministerium forderte Stellungnahmen zur AKW-Sicherheit an und gab eine Expertise bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Auftrag. Im Frühjahr 2003 lag die Geheimstudie vor, und spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Selbst Amateurpiloten können Atomkraftwerke so treffen, dass das Flugzeug die Reaktorwand durchschlägt und große Mengen Radioaktivität freigesetzt werden. Bei den neueren Anlagen sei damit zwar nicht zu rechnen, hieß es. Doch auch dann sei die „Beherrschung fraglich“, wenn etwa die Notstandswarte von Trümmern und Bränden zerstört würde.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte auch die Atomkraft-freundliche Internationale Länderkommission Kerntechnik (ILK), die 1998 als Beratungsgremium der damals unionsgeführten Länder Hessen, Bayern und Baden-Württemberg gegründet worden war – sozusagen als Gegengewicht zur Reaktorsicherheitskommission, in die Trittin auch Atomkraft-kritische Experten berufen hatte. Die ILK hat ihre Arbeit längst wieder eingestellt – kurz nach dem Wahlsieg von Union und FDP 2009.

Die Ergebnisse von GRS und ILK lagen der rot-grünen Bundesregierung vor, und doch wurden bis heute keine effektiven Schutzmaßnahmen ergriffen. Zunächst hatte Trittin vorgeschlagen, die Atomkraftwerke abzuschalten, sobald es Hinweise auf einen Terroranschlag gibt. Doch ein Flugzeugangriff lässt sich nicht so einfach vorhersehen. Zudem dauert das Abschalten Stunden – und selbst dann lagert im Reaktor noch viel radioaktives Material.

Nach vier Jahren Diskussion einigte sich Trittin im September 2005 mit den Anlagenbetreibern schließlich auf ein „integriertes Sicherungs- und Schutzkonzept“. Es sah unter anderem vor, die Meiler im Notfall einzunebeln. Eine riesige künstliche Wolke sollte möglichen Terrorpiloten die Sicht versperren. Doch das Vernebeln allein reicht nicht aus: Es dauert zu lange und Piloten können auch das GPS-Navigationssystem nutzen, um ein Atomkraftwerk zu treffen. Eine GPS-Störung sollte es richten, doch das Bundesverkehrsministerium erklärte im Januar 2006, man erreiche auf diese Weise „keine ausreichende Abweichung von der einprogrammierten Flugbahn“. Bei schnellen Flugzeugen müsste der GPS-Empfangsbereich sehr weiträumig gestört werden – was dann aber den normalen Flugverkehr behinderte. Und im Februar 2006 kam schließlich der nächste Pfeiler in Trittins „Schutzkonzept“ ins Wanken: Das Bundesverfassungsgericht verbot den Abschuss eines entführten Flugzeugs.

Konsens-Druck über allem

Die Schwachstellen des gesamten Schutzkonzepts mit Vernebelung, GPS-Störung und Flugzeugabschuss waren aber bereits vorher bekannt. So dauert es zum Beispiel 40 Sekunden, einen Meiler zu vernebeln – ein 900 km/h schneller Flieger müsste beim Anschalten der Nebelmaschine also noch mindestens zehn Kilometer entfernt sein. Dass sich Trittin dennoch darauf einließ, muss einen politischen Grund gehabt haben: Bauliche Nachrüstungen wie die Verstärkung der Reaktorwände waren schwer durchzusetzen, weil sehr teuer. So teuer, dass sich ein Weiterbetrieb der Kraftwerke wohl nicht mehr gelohnt hätte. Der rot-grüne „Atomkonsens“ hätte also neu verhandelt werden müssen.

Als der 11. September 2001 den Blick darauf nachhaltig veränderte, was an AKW-Risiken denkbar ist, hatten sich Rot-Grün und Energiekonzerne gerade nach schwierigen Verhandlungen auf die Restlaufzeiten geeinigt. Der Gesetzentwurf war bereits im Kabinett beschlossen. Niemand wollte den Kompromiss in dieser Form gefährden. Andernfalls, sagte der damalige Umweltstaatssekretär Rainer Baake, „hätte es wahrscheinlich in der Legislaturperiode 1998 bis 2002 keinen Atomausstieg mehr gegeben“.

Später unternahm auch ein Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) keine nennenswerten Anstrengungen, um die Meiler besser zu schützen. „Über allem stand der Konsens-Druck“, sagt heute Michael Müller, Staatssekretär in der großen Koalition bis 2009. „Keiner wollte vom Konsens weg.“ Und als Norbert Röttgen (CDU) im Zuge der Laufzeitverlängerung die Betreiber 2010 zu baulichen Nachrüstungen gegen Terrorgefahren verpflichten wollte, verschwand eine entsprechende Passage wieder aus dem Gesetzesentwurf.

Mit dem Stresstest, dessen erste Ergebnisse Mitte Mai vorliegen sollen, könnte das Risiko aus der Luft als Argument eine Renaissance erleben. Und sei es nur, um die atompolitische Kurskorrektur der Kanzlerin plausibel erscheinen zu lassen.

Felix Werdermann hat die terroristische Gefährdung von AKW wissenschaftlich erforscht und schreibt für

klimaretter.info

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