Warum die Fußball-WM nationalistisch ist

Schwarz-Rot-Gold Deutschland dreht durch: Zur Weltmeisterschaft sind wieder überall Nationalfahnen zu sehen. Dieser Party-Patriotismus fördert nachweislich die Ausländerfeindlichkeit
Gegen welches Land sind wir heute?
Gegen welches Land sind wir heute?

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Manchmal bin ich gerne der Spielverderber, eine richtige Spaßbremse. Wenn heute abend die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer beginnt und selbst ansonsten vernünftige Menschen auf einmal mit schwarz-rot-goldenen Fahnen wedeln. Alle fiebern dem Titel entgegen und hoffen, dass "wir" gewinnen. Als hätte ich so viele Gemeinsamkeiten mit den superreichen Fußball-Profis, die gerade in Brasilien unterwegs sind. Man kann den alle zwei Jahre wiederkehrenden Party-Patriotismus zu den Fußball-Großevents belächeln und ignorieren. Besser ist, man nimmt ihn ernst und erkennt: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist im Kern nationalistisch.

Natürlich macht der Deutschland-Trubel nicht plötzlich alle Fußballfans zu Nazis. Aber gerade das macht den Party-Patriotismus so gefährlich: Er kommt harmlos daher, in Wirklichkeit beeinflusst er Millionen von Menschen. Angeblich lässt sich der Patriotismus vom Nationalismus klar abgrenzen. Die Begeisterung für die eigene Nation gehe nicht unbedingt mit der Abwertung anderer Nationen einher. Aber das ist Quatsch. Wenn ein Land als besser empfunden wird, werden alle anderen Länder zwangsläufig im Verhältnis als schlechter empfunden.

Wir gewinnen, wenn ihr verliert

Eine Weltmeisterschaft wird gerne als großes Fest der Völkerverständigung gepriesen. International! Alle feiern gemeinsam! Das bringt die Kulturen zusammen! In Wirklichkeit ist es genau anders herum: In der Regel feiern alle gemeinsam – aber nicht weil, sondern obwohl es die Fußball-WM gibt.

Schon die Struktur der WM lässt erahnen, welche Auswirkungen der sportliche Wettkampf auf die "Völkerverständigung" hat. Nationen treten gegeneinander an. Sie können nur gewinnen, wenn die anderen verlieren. Die Mannschaften dürfen auch nicht beliebig zusammengestellt werden. Natürlich gibt es auch Spieler mit Migrationshintergrund, manche werden sogar extra für den Fußball eingebürgert. Aber am Prinzip wird nicht gerüttelt: Bei den Spielern zählt der Pass, sie werden in eine Zwangsgemeinschaft gesteckt, ihre Nationalmannschaft.

Dass die WM ausländerfeindliche Vorurteile in der Bevölkerung fördert, ist inzwischen sogar wissenschaftlich belegt. Vor vier Jahren haben Forscher um den Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer nachgewiesen, dass Personen, die nach der Fußball-WM befragt wurden, "nationalistischer eingestellt" waren als diejenigen, die vorher befragt wurden. Das Ergebnis ist nicht besonders überraschend. Es ist im Grunde ziemlich plausibel.

Es gibt zwar auch Fußballfan-Kampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit. Aber was ist das für eine Logik? Ein Großevent veranstalten, das Nationalismus befördert – und gleichzeitig Gegeninitiativen starten. Das ist doch absurd.

Die Herkunft entscheidet

Aber ist die WM nicht immer noch besser als die Fußball-Bundesliga, in der Vereine wie Wirtschaftsunternehmen handeln, in der Spieler hin- und herverkauft werden? Man muss dieses System nicht gut finden, aber immerhin können hier die besten Spieler in einer Mannschaft zusammengefasst werden, während selbst das größte Fußball-Genie aus Luxemburg wohl nie in einer herausragenden Nationalmannschaft spielen wird. Wegen der Herkunft, qua Geburt.

Man kann es so zusammenfassen: Die Bundesliga entspricht dem Kapitalismus, die Weltmeisterschaft dem Feudalismus. Wer also unbedingt 90 Minuten lang 22 Spieler beobachten möchte, sucht sich am besten einen lokalen Verein – und nutzt die WM-Abende für sinnvolle Dinge.

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