Warum Sexarbeit entkriminalisiert gehört

Prostitution Wer Sex anbietet, soll dafür nicht bestraft werden, das fordert nun Amnesty International. Sofort melden sich Kritiker – doch sie bevormunden die betroffenen Frauen
Ausgabe 34/2015
Amnesty setzt sich für die Rechte der Sexarbeiterinnen ein
Amnesty setzt sich für die Rechte der Sexarbeiterinnen ein

Bild: Miguel Medina/AFP/getty

Groß war die Aufregung, als Amnesty International die Entkriminalisierung der Prostitution forderte. Wer Sex anbietet, soll dafür nirgends auf der Welt bestraft werden. Erwartungsgemäß meldeten sich sofort lautstark die Kritikerinnen und Kritiker zu Wort, ganz vorn dabei Alice Schwarzer. Sie sei schockiert vom Amnesty-Beschluss, nun könnten Frauenhändler „unbehelligt ihrem Milliardengeschäft nachgehen“. Was für ein Unsinn. Amnesty ist weiterhin gegen Menschenhandel und selbstverständlich auch gegen Zwangsprostitution. Freiwilliger Sex ist aber in Ordnung.

Warum muss sich Amnesty überhaupt dazu äußern? Verliert die Organisation dadurch nicht Sympathien und Mitglieder? Taktisch mag die Entscheidung womöglich unklug gewesen sein, inhaltlich war sie auf jeden Fall richtig. Amnesty beweist damit Mut in einer schwierigen Diskussion – und setzt sich für die Menschenrechte der Sexarbeiterinnen ein. Diese Rechte lassen sich besser durchsetzen, wenn das Gewerbe von Staat und Gesellschaft anerkannt wird, wenn die Beteiligten sich nicht ständig vor der Polizei fürchten müssen.

Bordell statt Callcenter

Eigentlich ist es doch ganz einfach: Erstens ist Sexarbeit eine Dienstleistung. Dass Zwangsprostitution verboten gehört (und ist), darüber sind sich alle einig. Die Sexarbeiterinnen, um die es also geht, haben sich aus freien Stücken zu ihrem Job entschlossen. Aufgrund ihrer finanziellen Situation sind sie zwar mehr oder weniger zu einer Arbeit gezwungen, das trifft aber auch auf jede andere Erwerbstätigkeit zu. Manche ziehen es nun einmal vor, im Bordell zu arbeiten statt etwa an der Supermarktkasse oder im Callcenter, wo sie lediglich einen Bruchteil des Lohns bekommen würden.

Es bleibt die Entscheidung der betroffenen Personen. Wenn Gegner der Sexarbeit behaupten, niemand prostituiere sich freiwillig, ist das falsch und bevormundet die Frauen. Oder bilden sich manche Sexarbeiterinnen nur ein, sie gingen ihrem Beruf freiwillig nach? Seinen Willen kann man sich nicht einbilden.

Zweitens kann es vorkommen, dass eine Sexarbeiterin psychische oder körperliche Schäden davonträgt, die vorher nicht abzusehen waren. Dabei handelt es sich um ein Risiko, das es in jedem Beruf gibt. Der Bauarbeiter bekommt Probleme mit dem Rücken, der Mitarbeiter im Callcenter wird vielleicht irgendwann von Depressionen geplagt. Nur wenn die Folgen der „handelsüblichen“ Prostitution tatsächlich extrem wären, ließe sich über ein Verbot diskutieren. In diesem Fall hätten Alice Schwarzer und Kollegen schon längst die entsprechenden Studien vorgelegt. Auch die Krankenkassen wären dann vermutlich für ein Verbot.

Zweifelhafte Moral

Drittens gibt es auch männliche Sexarbeiter. Prostitution an sich ist kein Ausdruck einer frauenfeindlichen Gesellschaft, sondern nur die Art der Prostitution und das öffentliche Bild von der Frau als ständig verfügbarem Sexobjekt. Über männliche Sexarbeiter wird selten geredet. Vielleicht auch deshalb, weil viele Gegner der Prostitution in Wirklichkeit altmodische und zweifelhafte Moralvorstellungen pflegen, was Frauen anbelangt, die mit vielen Partnern Sex haben. Sie werden als Schlampen diffamiert.

Und viertens wird die Sexarbeit nicht einfach verschwinden, bloß weil sie verboten ist. In der Illegalität wird es für die Frauen nur schwerer, sich gegen Übergriffe zu wehren, ihren Lohn einzuklagen und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wer gegen Prostitution aus ökonomischen Zwängen kämpfen will, kann sich ja für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen. Das würde den Zwang zur Erwerbsarbeit mindern. Und den Frauen wäre wirklich geholfen.

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